Zeugnis zum Semesterende
Verderben Noten im Sport den Spass an der Bewegung?

In diesen Wochen bringen Schulkinder ihre Zeugnisse nach Hause. Noten gibt es auch im Fach Bewegung und Sport – was Kritik hervorruft.
Publiziert: 18.01.2025 um 19:49 Uhr
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Aktualisiert: 18.01.2025 um 19:58 Uhr
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Wo soll die Messlatte liegen? Leistung wird auch im Schulfach Bewegung und Sport gemessen.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Der Sohn erzählt, der Sportlehrer habe den Parcours für die Basketballprüfung ausgesteckt und den Ablauf vorgezeigt. Seine Leistung gemäss Bewertungsraster: knapp genügend. Wir empfinden ein wenig Schadenfreude. Denn: Bei Leistungstests im Fach Bewegung und Sport bekommt unser 14-Jähriger regelmässig eine Note um die 4. Dass nun auch der Sportlehrer Mühe hatte, beweise doch, dass die Bewertung allzu streng ist? Kurz darauf rehabilitiert der Lehrer sein Image: Er hatte den Parcours versehentlich in der ganzen statt in der halben Halle ausgesteckt, wodurch er dafür länger brauchte. Eine Anekdote – doch wir sind nicht die einzigen Eltern, bei denen die Benotungen im Fach Bewegung und Sport für Irritationen sorgen.

Eltern beklagen Leistungsdruck

Die Mutter einer 13-Jährigen sagt: «Motivierend sind die Benotungen nicht. Selbst der Sporttag wurde sehr streng bewertet. Meine Tochter bekam dort eine 4,3, dabei ist sie sehr sportlich.» Ihr Sohn, der viermal die Woche Hockey trainiert, schaffte es in der Sek nie über eine 4 im Zeugnis.

Der Vater eines Primarschülers berichtet: «Mein Sohn strengt sich gar nicht an, wenn eine Prüfung an Geräten ansteht, weil er weiss, dass er eine schlechte Benotung kassieren wird.» Die Aussicht auf die schlechte Note hemmt ihn, dazuzulernen. Der Vater kritisiert: «Statt Freude an der Bewegung zu fördern, wird im Turnunterricht leider Leistung belohnt.» Dieses System frustriere besonders bewegungsfaule Kinder. «Man verpasst es, sie Bewegung als etwas Freudiges und Soziales erleben zu lassen. Schade: Sie werden den Turnunterricht stigmatisierend in Erinnerung behalten und darum Bewegung nicht freiwillig in ihre Freizeit integrieren.»

Was ist los im Sportunterricht? Was dran an dem Eindruck, dass es nur um Leistung geht? Und: Verderben schlechte Noten die Lust auf Bewegung?

Kathrin Heitz (64) ist Dozentin für Bewegungsförderung und Sportdidaktik im Kindesalter an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Sie gibt dem Vater recht: «Das Prinzip der Leistung wird leider immer noch allzu häufig so interpretiert, dass am Schluss einer – oft zu kurzen – Lerneinheit eine sportmotorische Leistungsprüfung stattfindet, die leider nur auf das Können bezogen ist. Böse ausgedrückt ist es eine motorische Standortbestimmung nach einer kurzen Beschäftigungszeit.»

Ein Beispiel: Die 8. Klassen sollen einen Kilometer schwimmen. Sie üben ein paarmal im Freibad. Wer im Schwimmverein ist, absolviert die Prüfung spielend. Für andere kann sie eine grosse Herausforderung sein. Eine Mutter erinnert sich: «Für meinen Sohn, der nicht gern im Wasser ist, war es eine grosse Leistung, den Kilometer zu schwimmen. Er brauchte aber so lange dafür, dass er eine 2 bekam.» Statt stolz auf seinen Erfolg war er frustriert über die Note.

Sport ist ein Fach wie jedes andere

Tja, die anderen waren halt schneller, werden manche sagen. Letztendlich ist Bewegung und Sport – «Turnen» soll man heute nicht mehr sagen – ein Fach wie jedes andere. Es gibt Noten – in manchen Kantonen schon ab der 2. Klasse. Und gute Noten fallen jenen leichter, die gefördert wurden oder Talent haben. Wie in anderen Fächern auch.

Noten entstehen nicht im luftleeren Raum; Lehrkräfte müssen Rechenschaft über sie ablegen. «Bei messbaren Prüfungen wie etwa einem Ausdauerlauf verwenden alle unserer Schulstufe die gleiche Notenskala. So ist man viel weniger angreifbar und transparenter», sagt Reto Anneler (47), der auf Sekundarstufe in Lenzburg AG Sport unterrichtet.

Er betont, dass er pro Schuljahr auch mehrere Teilnoten vergibt, bei denen nicht die messbare Leistung, sondern andere Kompetenzen im Vordergrund stehen, etwa Taktik, Fairplay oder Ausdruck (zum Beispiel beim Tanzen). Auch Fleiss kann zu einer guten Note beitragen, etwa beim Jonglieren.

Der Notenschnitt soll nicht zu hoch sein

Was aber auch wahr ist: Ist Bewegung und Sport ein Promotionsfach, also ein Fach, das «zählt», darf der Klassenschnitt nicht zu hoch sein. Im Kanton Aargau zum Beispiel schafft den Übertritt ans Gymnasium, wer im letzten Oberstufenjahr einen Schnitt von mindestens 4,7 hat. Lehrpersonen müssen mit ihrer Notengebung dafür sorgen, dass eine Selektion möglich ist. «Es besteht ein spürbarer Druck, dass auch in einem Ergänzungsfach wie Bewegung und Sport der Schnitt nicht zu hoch ist», sagt Reto Anneler.

Der Status als Promotionsfach beeinflusst nicht nur den Notenschnitt, sondern auch die Art der Prüfungen. «Ist Bewegung und Sport ein Promotionsfach, wird wieder allzu viel auf die sportliche Leistung reduziert», sagt Kathrin Heitz. «Schülerinnen und Schüler finden sich am Ende eines Schuljahrs auf einer Leistungstabelle wieder, weil viel gemessen wird, da dies einfach zu begründen ist.»

Heute spielt das Fach nicht in allen Kantonen eine Rolle, wenn es um die Selektion für die Oberstufe, das Gymnasium oder um die Matura geht. Für Flavio Serino (45) von der PH Luzern ein Versäumnis. Der Fachleiter Bewegung und Sport sagt: «Sport ist ein Bildungsfach und trägt zur Gesellschaftsreife und zur Studierfähigkeit ebenso bei wie andere Fächer auch.»

Im Zusammenhang mit der aktuell laufenden Maturitätsrevision hofft er, dass in Kantonen, in denen das Fach Bewegung und Sport bislang nicht promotionsrelevant war, ein Umdenken stattfindet. Serino sieht darin eine Stärkung und Aufwertung für das Fach, dessen Inhalte heute – im Vergleich zum früheren Turnen – «in Richtung eines breit gefächerten, nicht nur leistungsorientierten Sportunterrichts» ausgerichtet seien.

Der Trend geht also nicht in Richtung Abschaffung von Sport-Noten, wie es manche Eltern gern sähen – und auch die eine oder andere Primarlehrperson hinter vorgehaltener Hand sich wünschte. Wissenschaftlich erforscht ist ein Kausalzusammenhang zwischen schlechten Sportnoten und Bewegungsinaktivität nicht, so weit Sportdidaktiker Serino die Studienlage überblickt.

Persönliche Verbesserung statt ständige Vergleiche

Es sind aber nicht nur die Noten, die demotivierend wirken können: Wer in der eigenen Schulzeit immer zu den Letzten gehörte, die ins Team gewählt wurden, oder wer beim besten Willen nie den Felgaufzug schaffte, weiss: Es braucht keine Note, um zu erkennen, wo man steht. Reto Anneler sagt: «Im Sportunterricht exponiert man sich: Die Schülerinnen und Schüler vergleichen sich nonstop. Sie können sich gut einschätzen.»

Wünschenswert wäre etwas anderes, wie Kathrin Heitz sagt: eine persönliche Auseinandersetzung mit Leistung. «Nicht der Vergleich mit anderen sollte im Zentrum stehen, sondern das, was man selber in einer gewissen Zeit zu leisten und zu verbessern mag.» So ist es für die Sportdidaktikerin zentral, Kindern aufzuzeigen, dass Heterogenität das Normalste der Welt ist. «Es geht darum, dass man das Beste aus den eigenen Möglichkeiten herausholt.»

Doch die Praxis sieht anders aus. An den Schulen ist gemäss Heitz «leider noch viel zu häufig» ein traditioneller Sportunterricht anzutreffen, wie er an den PH längst nicht mehr vermittelt wird. Und das nicht nur von älteren Lehrpersonen. «Wir haben leider das Phänomen – nicht nur im Sportunterricht –, dass viele Lehrpersonen die selber gemachten Erfahrungen während ihrer Schulzeit unreflektiert weitergeben», sagt Heitz.

Ein Beispiel: Völkerball oder Sitzball seien weiterhin omnipräsent, obwohl diese Spiele seit gut 30 Jahren an den Pädagogischen Hochschulen nicht mehr empfohlen werden. Es gebe «sinnvollere Spielformen» und «Inhalte, die nachhaltiger wären».

Das Fach Bewegung und Sport hat das Potenzial, Kindern und Jugendlichen eine vielseitige Bewegungskultur vorzustellen. Sie dadurch dazu zu motivieren, ein Leben lang in Bewegung zu bleiben. Dass dieses Ziel, das angehenden Sportlehrpersonen vermittelt wird, eine hohe Dringlichkeit hat, zeigt nicht nur die Zunahme von Übergewichtigen und Adipösen. Sondern auch das deutlich gesunkene sportliche Niveau der Kinder. «Die starken Kinder sind gleich stark wie vor 10 oder 15 Jahren. Aber es gibt heute viele, die sehr schwach sind», sagt Sportlehrer Anneler.

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