Auf einen Blick
- Flüchtlinge Betiel Michael und Mehrab Rahmati stehen kurz vor Abschluss ihrer Pflegelehre
- Integration durch Spracherwerb, Ausbildung und Unterstützung des Roten Kreuzes
- 52 Prozent der jungen Flüchtlinge schliessen Ausbildung ab, Ziel: zwei Drittel
Im Büro des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) des Kantons Zürich sitzen Betiel Michael und Mehrab Rahmati (beide 21). Sie ist vor fünf Jahren aus Eritrea, er vor drei Jahren aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet. Heute stehen beide kurz vor dem Abschluss ihrer Pflegelehre.
Ihr Beispiel steht für den Erfolg der Schweizer Integration: Im Jahr 2017 befanden sich noch 37 Prozent der fünf Jahre zuvor im Alter zwischen 16 und 25 Jahren eingereisten Flüchtlinge in einer nachobligatorischen Ausbildung. Im Jahr 2022 waren es bereits 52 Prozent, wie das Bundesamt für Statistik kürzlich meldete.
Der aktuelle Trend entspricht dem Ziel der Integrationsagenda Schweiz (IAS). Danach sollen zwei Drittel der jungen Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen zwischen 16 und 25 Jahren fünf Jahre nach ihrer Einreise eine Ausbildung absolvieren.
Die grösste Herausforderung nach ihrer Ankunft war für Betiel Michael und Mehrab Rahmati die Sprache. Die Eritreerin erinnert sich: «Ich konnte kein Wort Deutsch. Bis vor dreieinhalb Jahren habe ich am Sprach-Treff des Roten Kreuzes teilgenommen.» Heute sprechen beide fliessend Hochdeutsch, wobei sie manchmal auch schweizerdeutsche Wörter einstreuen. Neben der Sprache ist die Arbeit im Alters- und Pflegeheim herausfordernd: «Fast jede Woche sterben ein bis zwei Personen», sagt Rahmati. Das belastet die jungen Menschen.
Beim gemeinsamen Kochen die Schweizer Kultur kennenlernen
«Jugendliche wie Mehrab und Betiel leisten unglaublich viel und sind motiviert, hier eine Zukunft aufzubauen», sagt Anna Bossart (46). Sie ist Leiterin Integration beim Zürcher Roten Kreuz. SRK-Freiwillige helfen Geflüchteten, ihren Alltag zu meistern. Betiel Michael trifft sich wöchentlich mit einer Mentorin, die sie beim Schulstoff und bei persönlichen Angelegenheiten unterstützt. Mehrab Rahmati lernt von seinem Freiwilligen des SRK-Programms «mitten unter uns» beim gemeinsamen Kochen die Schweizer Kultur und Sprache besser kennen. Es braucht aber weitere Freiwillige: «Die Liste geflüchteter Jugendlicher, die auf unterstützende Freiwillige warten, ist lang», sagt Bossart.
Der Weg zur Lehrstelle ist für Geflüchtete, die als junge Erwachsene in die Schweiz kommen, besonders harzig. Nach seiner Ankunft in der Schweiz im Jahr 2021 besuchte der damals 18-jährige Afghane Rahmati sechs Monate einen Deutschkurs, danach ein Berufsvorbereitungsjahr. Er schrieb sechs Monate unzählige Bewerbungen, bis er eine Zusage für eine Lehrstelle erhielt.
Die Eritreerin Michael kam 2019 als 16-Jährige in die Schweiz und besuchte verschiedene Integrationsschulen. Ein einjähriges Praktikum in der Pflege ebnete ihr den Weg zur Lehrstelle: Auf ihre erste Bewerbung erhielt sie sofort eine Zusage. Die junge Frau mag ihre Arbeit; manche der Bewohnerinnen erinnern sie an ihre Grossmutter in Eritrea, die für sie wie eine Mutter ist. Kontakt zu ihr hat sie nur telefonisch: «Ich höre ihre Stimme, sehe aber nicht, wie sie heute aussieht. Sie fehlt mir sehr.»
Seine Familie kann er nicht einfach anrufen
Die Trennung von seiner Familie ist auch für Mehrab Rahmati schmerzhaft. «Meine zwei Brüder und meine Schwester können in Afghanistan nicht zur Schule gehen. Sie haben aber ein Buch gekauft, um zu Hause zu lernen.» Um der Familie zu helfen, schickt er ihr manchmal einen Teil seines Lehrlingslohns zu. Kontakt zur Familie ist schwierig. «Ich muss aufpassen, dass die Regierung nicht rauskriegt, dass ich hier in der Schweiz bin. Deshalb kann ich meine Familie nicht anrufen und sagen, dass ich sie vermisse, sondern muss auf ihren Anruf warten», sagt er.
Der Afghane führt als Lehrling schon ein Erwachsenenleben. Er lebt in einer 5-er-WG. «Ich habe weniger Zeit und mehr Aufgaben als andere Lernende.» Seine knappe Freizeit nutzt er am liebsten für Sport.
Betiel Michael hört in ihrer Freizeit gerne eritreische Musik, tanzt und singt dazu. Das macht sie neben der Hausarbeit. Anders als Mehrab Rahmati lebt sie mit ihrer Mutter in der Schweiz. Sie sei wie eine grosse Schwester: «Mit ihr kann ich über alles reden.»
Beide haben Freundschaften geknüpft, und Rahmati ist zudem in einer Beziehung. Sein Traum ist es, später einmal Arzt zu werden. «Das wollte ich schon lange, bevor ich in die Schweiz gekommen bin. Darum habe ich auch in der Pflege angefangen», sagt er. Nach seinem Lehrabschluss will er Weiterbildungen machen und irgendwann Medizin studieren. «Ich habe als Kind auch immer gesagt, dass ich Ärztin werden will», sagt Betiel Michael. «Aber jetzt glaube ich, das ist nichts für mich.» Sie möchte zwar die Höhere Fachschule machen, aber die lange Zeit eines Medizinstudiums lasse sich schwer mit ihrem Ziel einer eigenen Familie vereinbaren.