Erklärvideo zum Samenleiterventil
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Neue Verhütungsmethode:Erklärvideo zum Samenventil

Unfruchtbar per Knopfdruck
Ein Schalter im Hodensack sollte die Verhütung revolutionieren

Die Erfindung von Clemens Bimek klingt effizient. Ein Schalter im Hodensack, ein Knopfdruck zur Verhütung. Anfangs sah auch alles vielversprechend aus, doch dann kam der Fortschritt ins Stocken.
Publiziert: 19.08.2024 um 00:29 Uhr
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Aktualisiert: 19.08.2024 um 13:57 Uhr
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Mit diesem Schalter hätten Millionen von Männern verhüten sollen.
Foto: Thomas Meier
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Robin BäniRedaktor

«Er hat keine Lust mehr», sagt der Unternehmer Peter Schnückel (62) ohne die geringste Regung. Vor ihm liegt ein winziger Schalter. Zwei Gramm schwer und so gross wie ein Gummibärchen. Es ist ein kurioses Objekt, für das Schnückel schon oft belächelt wurde. «Dabei gibt es nichts zu lachen», sagt er.

Der Schalter liegt auf einem runden, weissen Tisch, der leicht glänzt, so als hätte gerade jemand mit einem feuchten Lappen die Flecken weggewischt. Der Boden hier in einem renovierten Kornhaus in Romanshorn TG ist makellos sauber, und selbst das hellweisse Licht der Stehlampen wirkt steril.

In dieser schnörkellosen Umgebung liegt nun dieser kleine Schalter, mit dem Millionen von Männern auf Knopfdruck verhüten könnten. Um ihn geht es in dieser Geschichte – und um die Frage, warum keine neue Verhütungsmethode für den Mann auf den Markt kommt, obwohl seit Jahrzehnten daran geforscht wird.

Die Mission beginnt vor einem Fernseher

Der Mann, der keine Lust mehr hat, heisst Clemens Bimek (57). Vor vielen Jahren entwickelte er einen Schalter, der in den Hodensack implantiert werden soll. Einmal eingebaut, genügt ein Klick, und das Sperma ist aus. Verhütung auf Knopfdruck also. Die Erfindung sollte die Welt verändern, jedenfalls hatte es der Erfinder so verkündet. Doch dann ging etwas schief.

Heute spricht Bimek nicht mehr mit Journalisten. Die Medienarbeit hat Schnückel übernommen. Nach all den Jahren ist er vielleicht die einzige Person, die in Sachen Hodenschalter noch zu Bimek hält – der letzte Begleiter auf einer ungewöhnlichen Mission.

Begonnen hat das Unterfangen 1998, vor einem Fernseher in der Nähe von Berlin. Bimek macht gerade Feierabend und schaut eine Doku über Vasektomie. Bisher galt sein Interesse vor allem der Beschaffenheit von Holz, schliesslich arbeitete er als Möbeltischlermeister. Nun aber wird er in die Anatomie des Menschen eingeführt. Und als Bimek realisiert, dass bei einer Vasektomie die Samenleiter durchtrennt werden, fragt er sich spontan: «Warum baut man da nicht einfach ein Ventil ein?»

«Damit übernimmt der Mann die Verhütung»
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Schnückel über das Ventil:«Damit übernimmt der Mann die Verhütung»

Bimek will den Samenleiter eines Toten

Manche würden solch einen Einfall als Schnapsidee abtun. Bimek gibt der Gedanke keine Ruhe. Auf dem Weg zur Arbeit fährt er täglich am Patentamt Berlin-Kreuzberg vorbei, bis er eines Tages anhält, zu den Beamten geht und fragt, ob jemand bereits ein Patent auf ein solches Ventil angemeldet hat. Die kurze Antwort lautet: Nein. Also beginnt Bimek zu tüfteln.

Er wälzt Fachliteratur, bildet sich selbst weiter, spricht mit Andrologen, Urologen, sogar mit Pathologen, weil er den Samenleiter eines Toten möchte, um den Durchmesser des Ventils berechnen zu können. Nicht alle nehmen Bimek ernst, doch der Erfinder gibt nicht auf und meldet ein Patent an. Es trägt den Namen: «Absperrvorrichtung zur Kontrazeption zur Anwendung beim Mann».

Bimek kämpft fortan für seine Vision und überwindet alle Hindernisse. Selbst die schwierige Suche nach einem Medizintechunternehmen, das so ein Ventil herstellen kann, gelingt. Einige Implantatmaterialien muss Bimek in der Schweiz ordern. Er wandert dann auch in den Kanton Aargau aus, wo er bis heute lebt.

Erste Implantation des Hodenschalters

2009 folgt der nächste grosse Schritt: Bimek will sich ein Ventil in den Samenleiter operieren lassen und den Eingriff zu Forschungszwecken filmen. Da es im Hodensack zwei Spermienleiter gibt, braucht es auch zwei Ventile. Noch gibt es aber keinen Arzt, der ein Ventil in ein männliches Geschlechtsorgan verpflanzt hat. Nur Bimek hat sich damit befasst, und deshalb bleibt er während der Operation bei Bewusstsein, um den Chirurgen anzuleiten. Nach der ersten OP ist das Ventil nicht wie vorgesehen angebracht. Es braucht mehrere Anläufe, doch dann gelingt das Husarenstück. Erste Ergebnisse zeigen sogar, dass Bimeks Ejakulat frei von Spermien ist.

2012 stösst der Unternehmer Schnückel auf den Erfinder Bimek. Wie sie sich kennengelernt haben, weiss Schnückel nicht mehr genau. «Ist ja auch schon lange her», sagt er. Hängen geblieben ist dafür Bimeks Auftreten: «Schon damals konnte Bimek jeden Professor, der seine Idee kritisierte, in Grund und Boden argumentieren.» Schnückel lässt sich vom wortgewaltigen Autodidakten überzeugen. Der Hodenschalter begeistert ihn derart, dass er Geschäftspartner wird und beginnt, Geld zu investieren. Wie viel, bleibt ein Geheimnis. Schnückel winkt bei der Geldfrage ab, sagt dann aber: «Einen tiefen siebenstelligen Betrag.»

Fortan agiert das Zweigespann im Verborgenen. Die beiden glauben, die Pharmaindustrie wolle ihren Hodenschalter verhindern, sobald sie davon erfährt. Ihre Devise lautet, möglichst im Schatten zu bleiben, möglichst keine Medien – bis das Ventil auf den Markt kommt.

Alles für die Hodenrevolution

Vorerst geht die Strategie auf, doch dann stossen sie auf ein unüberwindbares Hindernis. Es ist ein medizinisches Zulassungsverfahren, das drei Millionen Franken kostet. Ohne dieses Verfahren darf das Ventil nirgends auf den Markt. Schnückel versucht deshalb, weitere Investoren zu finden. «Ich wollte nicht nur in der eigenen Suppe schwimmen», erklärt er. Nur will niemand für den Hodenschalter Geld lockermachen.

Schnückel und Bimek beschliessen daher, aufs Ganze zu gehen. Die zwei Wagemutigen engagieren eine PR-Agentur mit einem klaren Auftrag: maximale Aufmerksamkeit für die erhoffte Hodenrevolution. Es gelingt eine kometenhafte PR-Offensive, von der jedes Start-up nur träumen kann.

Ende 2015 taucht der Anti-Spermien-Schalter zum ersten Mal in den Medien auf. Dann geht es schnell. Binnen weniger Monate erscheinen über 400 Artikel. Australien, Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Indien, die USA, Vietnam, Zimbabwe – die Liste der Länder, in denen darüber berichtet wurde, liesse sich problemlos fortsetzen.

Infolge der Berichte melden sich über 8000 Männer, die einen Schalter in ihren Hodensack operiert haben wollen. Und tatsächlich erklärt sich ein führender deutscher Urologe bereit, eine Studie durchzuführen.

«Es ist verrückt!»

An diesem Punkt hätte man denken können, der Hodenschalter werde eine Erfolgsgeschichte. Doch dann gings nur noch bergab – so wie bisher immer bei neuen Verhütungsmethoden für den Mann. Die Ideen landen in den Medien, aber nicht auf dem Markt.

«Nach all den Artikeln hatten wir das Gefühl: Jetzt muss was passieren!», erinnert sich Schnückel. Doch es geschah nichts. Kein Investor meldete sich. Schnückel ging deshalb offensiv auf mögliche Interessenten zu und führte «unendlich viele Gespräche». Aber auch dann: nichts. «Dabei wird in allerlei Blödsinn investiert», sagt Schnückel und schüttelt ungläubig den Kopf. «Es ist verrückt!»

Schnückel ist ein Mann, der weiss, was Investoren wollen. Im deutschen Ostwestfalen geboren, zog er als junger Mann in die Schweiz und absolvierte an der HSG ein Wirtschaftsstudium. Später gründete er mehrere IT-Firmen. Heute lebt er in Romanshorn, in einem historischen Kornhaus, das er für 45 Millionen Franken in Wohnraum und in ein Eventlokal verwandelt hat. Schnückel hat in seinem Leben viele Erfolge gefeiert. «Doch so ein Ventil, das weltweit Nutzen stiften würde, lässt sich nicht realisieren», sagt er enttäuscht.

Was denkt ein Experte über den Hodenschalter?

Doch ist das wirklich so? Könnte der Hodenschalter weltweit Nutzen stiften? Oder ist die Idee zu absurd? Am besten, man fragt einen Experten. Jemanden wie Julian Cornelius (37), einen Arzt des Urologie-Netzwerks Uroviva. Wenn Cornelius sein Fachgebiet erwähnt, die Andrologie, dann muss er sich normalerweise erklären. Jede Frau weiss, was eine Gynäkologin macht. «Aber wie viele Männer können sich unter einem Andrologen etwas vorstellen?», sagt Cornelius und findet, das sage viel über die gesellschaftliche Akzeptanz von männlicher Verhütung aus. Andrologen befassen sich mit dem «männlichen Fortpflanzungsapparat», wie es im Fachjargon heisst.

Was denkt nun Cornelius über den Hodenschalter? Zuerst sagt er, die Idee sei genial. Schliesslich brauche es dringend Innovationen in der eintönigen Welt der männlichen Verhütung. Doch würde er in den Schalter investieren? «Nein, da gäbe es verschiedene Bedenken», antwortet er.

Das Ventil ist als langfristige Lösung vorgesehen. Wer es schliesst, müsste anschliessend etwa 30 Mal ejakulieren und mindestens drei Monate warten, bis er unfruchtbar wäre. Bimeks Erfindung wäre daher für Männer interessant, die mit der Familienplanung abgeschlossen haben und deren Partnerin fruchtbar ist. «Das ist eine relativ kleine Zielgruppe», meint Cornelius. Und die meisten aus dieser Zielgruppe würden sich wohl weiterhin für die etablierte Methode entscheiden, also für eine Vasektomie.

Dann müsse man, aus Sicht des Experten, auch die potenziellen gesundheitlichen Risiken sorgfältig abwägen. Denkbar wären eine Narbenbildung am Samenleiter, Schmerzen oder eine irreversible Unfruchtbarkeit. Nur weiss man das eben nicht, weil es bisher nie ein medizinisches Zulassungsverfahren gab.

Kondom oder Sterilisation

Und hier gelangt man an ein Problem, das den Spermienschalter übersteigt. Denn nicht nur Bimeks Erfindung hatte bisher keinen Erfolg. Andernfalls gäbe es ja längst eine Pille für den Mann, so wie es sie für die Frau seit Jahrzehnten gibt – ebenso wie Spiralen, Ringe oder Pflaster. Dem Mann bleiben aber als verlässliche Methoden lediglich das Kondom oder die Vasektomie.

Das hat zum einen mit den medizinischen Zulassungsverfahren zu tun. Diese können über zehn Jahre dauern – ohne Garantie auf Zulassung. Für Investoren ist das eher unattraktiv. Also bräuchte es einen Idealisten, der einfach aus Überzeugung investiert. Oder es bräuchte grosse Pharmakonzerne, die Geld in die Hand nehmen. Nur forschen diese nicht (mehr) an männlichen Verhütungsmitteln.

Besonders bekannt ist ein Entscheid des deutschen Pharmaunternehmens Bayer. 2006 kaufte Bayer eine Firma auf, die eine hormonelle Verhütung für Männer vorantrieb. Angedacht waren ein Implantat und eine Spritze. Erste Tests zeigten, dass die Mittel wirkten und die Nebenwirkungen tolerierbar waren. Dann stellte Bayer die Forschung ein. Auf Anfrage begründet das Unternehmen den Entscheid damit, dass «diese Kombination (Implantat und Spritze, d. Red.) von den Männern nicht genügend akzeptiert würde.» Heisst konkret: Die Männer würden es nicht kaufen.

Es geht um ein Milliardengeschäft

Zahlreiche Studien untersuchten, ob Männer ein Verhütungsmittel nehmen würden. Eine 2021 veröffentlichte Auswertung in der «Zeitschrift für Sexualforschung» verglich 32 Studien, um die Datenlage zusammenzufassen. Demnach schwankt die Zahl der Männer, die sich bereit erklären, je nach Studie zwischen 34 und 82,3 Prozent. Ein anderes Forscherteam schätzte den Marktwert neuer männlicher Verhütungsmittel auf bis zu 200 Milliarden US-Dollar – ausgehend von einer Marktgrösse von weltweit 50 Millionen Männern. Der Marktwert wäre um ein Vielfaches höher, würde nur schon ein Drittel der Männer ein Verhütungsmittel nehmen.

Die Pille für den Mann wäre also ein Milliardengeschäft. Vielleicht sollte daher noch Folgendes erwähnt werden: Der Pharmariese Bayer besitzt ein Quasimonopol auf die Pille für die Frau. Und diese ist bereits ein Milliardengeschäft. Warum also einen Verkaufsschlager vom Thron stossen?

Wer sich ein männliches Verhütungsmittel wünscht, könnte nun die Hoffnung verlieren. Doch der Androloge Cornelius sagt: «Ich glaube, wir können hoffen.» Auch wenn er seinen Optimismus zurückhaltend formuliert. Denn an Universitäten wird weiterhin dazu geforscht. Und in der Privatwirtschaft gibt es verschiedene Start-ups und Kleinunternehmen, die an Verhütungsmethoden für Männer arbeiten.

Die Hodenrevolution ist nicht abgesagt

2022 schaffte es ein männliches Verhütungsmittel erstmals in eine Phase-III-Studie. Es handelt sich um ein Hormongel, das sich Männer auf die Schultern reiben, um die Spermienproduktion zu reduzieren. Bisher scheint es zu funktionieren. Nur ist das kein Garant. An Verhütungsgels wird seit über 50 Jahren experimentiert. Und in den vergangenen Jahrzehnten hiess es immer wieder, ein Verhütungsmittel für den Mann stehe kurz vor dem Durchbruch.

Die Geschichte der männlichen Antibabypille verlief bislang schleppend. Weiterhin tragen vor allem Frauen die Last der Schwangerschaftsverhütung – und das seit über 60 Jahren. Aber wer weiss? Vielleicht geht alles irgendwann schnell.

Der Unternehmer Peter Schnückel gibt den Hodenschalter jedenfalls nicht auf. «Wenn wir drei Millionen zusammenbringen, treibe ich das Projekt voran», verkündet er. Die Hodenrevolution, sie ist nicht abgesagt. Einfach verschoben.

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