Herr Tobler, wie lebt es sich als Enkel des Schoggibarons Theodor Tobler?
Andreas Tobler: In meiner Kindheit war Toblerone kein grosses Thema. Wir machten weder einen Fabrikbesuch, noch assen wir die Schoggi jeden Tag. Im Gegenteil: Mein Vater mochte am liebsten schwarze Lindt Crémant. Ich hatte einzig einen Spielzeug-VW-Bus mit der Aufschrift Toblerone.
Wir stehen vor dem ehemaligen Haus Ihres Grossvaters im Berner Länggassquartier. In einer Nacht vor 115 Jahren schepperten hier Pfannendeckel und Schwingbesen, aus dem Fenster waberte ein süsslicher Geruch.
In dieser Küche tüftelten mein Grossvater und sein Cousin Emil Baumann 1908 mit Milchschokolade und Mandelnougat …
Der so schön zwischen den Zähnen klebt.
… und erfanden das Toblerone-Rezept. Das ist aber eine Anekdote, schriftlich hat sich mein Grossvater nie zur Toblerone geäussert.
Weshalb eigentlich die Dreiecksform? Ist die nicht ziemlich unpraktisch?
Doch, total. Weil sie sich nicht gut stapeln lässt, weigerten sich einige Händler zuerst, Toblerone ins Sortiment aufzunehmen. Sie ist ein bisschen sperrig, aber ich finde, das passt ganz gut zur Schweiz.
Was für ein Mensch war Ihr Grossvater?
Man beschrieb ihn als schillernde Persönlichkeit, die gerne auf des Messers Schneide tanzte, er war also sehr wagemutig. Nicht allen gefiel das. 1899 gründete er mit seinem Vater die Schokoladenfabrik Tobler. Er starb 1941, bevor ich zur Welt kam. Als wir das Haus meiner Grossmutter räumten, kamen viele seiner Habseligkeiten zum Vorschein. Alte Tobler-Sammelbildchen, Schokoladenbüchsen und ein Manuskript voller Jugenderinnerungen.
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Sind Sie ihm dadurch nähergekommen?
Ja, auch durch meine mit Patrick Feuz verfassten Bücher über Tobler. Vorher war da eine Distanz, doch beim Recherchieren und Schreiben kam die Vergangenheit Stück für Stück wieder zum Vorschein. Ich war beeindruckt von seinem Innovationsgeist und dass er trotz Rückschlägen immer wieder aufgestanden ist. Es ist eine bittersüsse Geschichte.
Bevor wir dazu kommen – wie sah die Schokoladenlandschaft damals aus?
In der Schweiz herrschte geradezu ein Boom, nachdem Daniel Peter 1875 die Milchschokolade und Rodolphe Lindt 1879 die Chocolat fondant entwickelt hatten. 1888 gab es mehr als zehn Schokoladenfabriken. Deshalb musste man sich mit aussergewöhnlichen Produkten von der Konkurrenz abheben.
Und die Schokolade dreieckig machen.
Zum Beispiel. Um die Dreiecksform der Toblerone gibt es mehrere Legenden. Seinen Söhnen erzählte mein Grossvater, dass er die Idee auf einer Geschäftsreise nach Paris hatte: als er Cancan-Tänzerinnen zuschaute, die sich seitlich in einer Reihe vornüberbeugten.
Aha!
Eine andere Vermutung ist, dass das Dreieck eine Anlehnung an die Freimaurer-Symbolik ist, denen er sich angeschlossen hatte. Und dann ist da natürlich die Inspiration durch das Matterhorn. Damals bildete man Schokolade sehr häufig mit Bergen ab, um die Schweiz als reine Naturlandschaft und Milch in der Schoggi als gesundes Produkt zu propagieren.
Sie schrieben einst, Legenden seien gut fürs Geschäft.
Klar, je mehr Legenden, desto legendärer das Produkt.
Weil Toblerone ab Juli auch in der Slowakei produziert wird, muss das Matterhorn von der Packung verschwinden. Finden Sie das richtig?
Rechtlich, mit dem Swissness-Gesetz, ist das klar. Der Aufschrei hat mich aber schon überrascht. Schliesslich ziert das Matterhorn erst seit rund 50 Jahren die Packung – vorher war dort ein Adler und zuvor ein Bär. Mich erinnert die Toblerone eher an eine beliebige Alpenkette. Das neue Logo ähnelt der Spitze des Niesens.
Aber das Matterhorn symbolisiert die Schweiz viel stärker als alle anderen Berge.
Ja, in der aktuellen Debatte treffen gleich zwei wichtige Symbole der Schweiz zusammen: Matterhorn und Schokolade. Das ist wohl der Grund, weshalb die Leute derart emotional reagieren. Doch man darf nicht vergessen, dass Toblerone früher jahrelang auch in Deutschland, England oder Südamerika produziert wurde. Erst seit 1990 stellte man sie ausschliesslich in der Schweiz her.
Schokolade, Matterhorn, Bankenkrise, die Neutralität im Krieg: Die Schweizer Identität hat es derzeit nicht leicht.
Ja, das grenzt an eine Identitätskrise, neu ist das aber nicht. 1995 gab es einen ähnlichen Aufschrei. Schokolade sollte zu fünf Prozent aus anderen Fetten wie Palmöl bestehen dürfen, es musste nicht mehr zu hundert Prozent Kakaobutter sein. Die Bevölkerung war entrüstet – ein Angriff auf die Reinheit der Schokolade! In kürzester Zeit sammelte man hunderttausend Unterschriften, um die geplante Änderung der Lebensmittelverordnung abzuschmettern. Ohne Erfolg.
Wieso ist so etwas Leckeres wie Schokolade derart emotional aufgeladen?
Weil wir so stolz auf sie sind. Viele Schweizerinnen und Schweizer bringen ihren Bekannten im Ausland Schokolade mit, darunter auch Toblerone.
Ich auch, bis ich merkte, dass es Toblerone und Lindt in den meisten Ländern in jedem Supermarkt gibt.
Genau. Die Toblerone ist schon lange weltweit verbreitet. Aber kommen Sie, jetzt gehen wir ein paar Meter ums Eck zur Universität.
Hat die Uni auch mit Schokolade zu tun?
Und wie! Die Unitobler war früher die Schokoladenfabrik Tobler.
Toblerone – woher kommt eigentlich der Name?
Es ist ein Wortspiel aus Tobler und Torrone, dem italienischen Wort für Nougat. Urs Berger, der sich mit der Geschichte der Schokoladenmarken befasst, fand kürzlich heraus, dass das Haus Frey bereits 1904 eine Schokolade namens Freyone registrieren liess.
Gab es deswegen keine Klagen?
Nein, das wüssten wir wohl (lacht). Auch gab es bei anderen Firmen bereits vorher Schokolade mit Torrone oder eine dreieckige Verpackung – allerdings für Schokoladenpulver.
Wieso schaffte es ausgerechnet Toblerone zum Welterfolg mit Kultstatus?
Neu waren die Zacken und das Mandelnougat, auch die Werbung war ein wichtiger Punkt. Schon 1903 hiess es in den Geschäftsberichten, dass man viel Geld in die Reklame stecken müsse. Mein Grossvater hatte viele originelle Ideen. Er machte eine frühe Form von Promi-Unterstützung, liess in London Toblerone verteilen, sandte Werbedias bis nach Australien.
In Ihrem Buch «100 Jahre Toblerone» steht, Bern sei mit Plakaten überhäuft gewesen. Wer mit dem Zug in die Stadt gefahren sei, habe zuerst achtzig Toblerone-Plakate passiert.
Ja, das machten damals alle Firmen so, vor allem mit Emaille-Schildern. Man nannte es die «Blechpest».
1899 stieg die Familie Tobler von Bonbons auf Schokolade um – und baute die Fabrik in der hinteren Länggasse in Bern. 1908 erfinden die Chocolatiers Theodor Tobler und Emil Baumann die Toblerone. Damals war sie mit 15 Rappen pro Stück ein Luxusprodukt. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Stundenlohn der Arbeiterinnen und Arbeiter betrug 43 Rappen. Neben Toblerone wurde in der Fabrik auch rhombusförmige Sportschokolade und sechseckige Toblerido produziert.
Mit rund sechshundert Angestellten war Tobler vor dem Krieg einer der grössten Arbeitgeber Berns. Ab 1931 wurde die Berner Firma übernommen und weiterverkauft: zuerst die Fusion mit Suchard, dann der Verkauf an den Bremer Kaffeeröster Jacobs und schliesslich an Philip Morris. Heute gehört die Toblerone zum US-Konzern Mondelez. 1985 wurde die Produktion nach Bern-Brünnen verlegt.
Die Toblerone gehört zu den erfolgreichsten Produkten der Schweiz. Jedes Jahr werden derzeit rund 7 Milliarden der dreieckigen Schokoriegel produziert. 97 Prozent davon werden in 120 Länder exportiert. Ab Ende 2023 wird ein Teil der Toblerone-Produkte in der Slowakei hergestellt.
1899 stieg die Familie Tobler von Bonbons auf Schokolade um – und baute die Fabrik in der hinteren Länggasse in Bern. 1908 erfinden die Chocolatiers Theodor Tobler und Emil Baumann die Toblerone. Damals war sie mit 15 Rappen pro Stück ein Luxusprodukt. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Stundenlohn der Arbeiterinnen und Arbeiter betrug 43 Rappen. Neben Toblerone wurde in der Fabrik auch rhombusförmige Sportschokolade und sechseckige Toblerido produziert.
Mit rund sechshundert Angestellten war Tobler vor dem Krieg einer der grössten Arbeitgeber Berns. Ab 1931 wurde die Berner Firma übernommen und weiterverkauft: zuerst die Fusion mit Suchard, dann der Verkauf an den Bremer Kaffeeröster Jacobs und schliesslich an Philip Morris. Heute gehört die Toblerone zum US-Konzern Mondelez. 1985 wurde die Produktion nach Bern-Brünnen verlegt.
Die Toblerone gehört zu den erfolgreichsten Produkten der Schweiz. Jedes Jahr werden derzeit rund 7 Milliarden der dreieckigen Schokoriegel produziert. 97 Prozent davon werden in 120 Länder exportiert. Ab Ende 2023 wird ein Teil der Toblerone-Produkte in der Slowakei hergestellt.
Wollen wir in die Mensa sitzen?
Gerne. Sehen Sie die Bibliothek hier gleich nebenan? Das war früher der Innenhof der Schokoladenfabrik.
Sie sagten vorher, Sie hätten die Fabrik nie besucht.
Nein beziehungsweise erst viel später, als sie zur Uni umgebaut wurde. Da gab es eine Neujahrsparty, an der ich ausgelassen feierte.
Haben Sie als Kind nie damit angegeben, dass Ihr Grossvater Toblerone erfunden hat? Ich weiss noch, wie ich einmal nur schon damit angab, dass meine Mutter im Nachbardorf von DJ Bobo aufgewachsen ist.
Nein, ich habe das nie an die grosse Glocke gehängt. Vielleicht haben wir das auch etwas verdrängt, schliesslich haben wir solch ein Prunkstück verloren. 1931 wäre beinahe Schluss gewesen mit Toblerone, die Firma Tobler steckte in Zahlungsschwierigkeiten. Die Führung wurde ausgewechselt. Obwohl mein Grossvater später die erfolgreiche Firma Typon gründete und eine Bonbonfabrik übernahm, hat er es nie verkraftet, sein Lebenswerk zu verlieren.
Haben Sie sich unterdessen mit diesem Schicksal ausgesöhnt?
Ich denke ja, indem ich mich intensiv mit der Familiengeschichte beschäftigt habe. Ausserdem habe ich hier in der Unitobler mein Studium abgeschlossen. Man könnte also sagen, der Kreis hat sich geschlossen.