«Sterilisation verweigern? Das ist unfair»
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Interview mit Aktivistin:«Sterilisation verweigern? Das ist unfair»

Sterilisation von kinderlosen Frauen
Sechs Ärzte wollten sie nicht sterilisieren

Die Medizin unternimmt alles, um bei unerfülltem Kinderwunsch zu helfen, tut sich aber schwer damit, die sicherste Verhütungsmethode zu gewähren: die Sterilisation. Eine Geschichte über verzweifelnde Frauen und Adressen, die unter der Hand weitergegeben werden.
Publiziert: 01.04.2023 um 14:55 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2023 um 18:20 Uhr
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Eva Steub (29) wurde in sechs Arztpraxen abgewiesen, als sie nach einer Sterilisation fragte.
Foto: Siggi Bucher

Eva Steub (29) ist gesund im Kopf. Das hat sie schriftlich. Die Detailhandelsangestellte, die ihre Geschichte hier anonymisiert erzählt, liess sich auf eigenen Wunsch von einer Psychotherapeutin untersuchen. Doch die Bescheinigung nützte nichts: Insgesamt sechs Gynäkologinnen und Gynäkologen in verschiedenen Praxen in der Stadt Basel haben abgelehnt, Eva Steub zu sterilisieren. «Nach dem sechsten Arzt habe ich resigniert», sagt sie bei einem Treffen im Baselbiet.

Laut Bundesamt für Statistik sind in der Schweiz 5 Prozent der Frauen mit Kind und 0,3 Prozent der Frauen ab 15 ohne Kind sterilisiert. Manche Frauen ohne Kinderwunsch, von denen dieser Text handelt, bemühen sich über Jahre um eine Sterilisation. Eine Odyssee mit ungewissem Ausgang.

Nicht jede Frau will Mutter werden

Denn während der Leidensdruck von Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch niemandem erklärt werden muss, fällt es offenbar selbst Fachleuten schwer, sich vorzustellen, dass auch ein Nicht-Kinderwunsch ein Leiden sein kann.

Jean Dubuisson (44) vom Universitätsspital Genf trifft in seiner Sprechstunde immer wieder Frauen wie Eva Steub an. Junge Frauen ohne Kinder, die eine Sterilisation wünschen. «Viele haben einen schwierigen Weg mit vielen Abweisungen hinter sich, bis sie bei uns in der Sprechstunde sind», sagt der Leiter der Abteilung für Gynäkologische Chirurgie.

Die Ärztinnen und Ärzte verschanzen sich hinter Faustregeln wie: Bei Kinderlosen keine Sterilisation vor 35, 40 oder 45. Oder: Eine Sterilisation kommt dann infrage, wenn die Frau schon mindestens 30 Jahre alt ist und zwei Kinder geboren hat.

Ab 18 ist die Sterilisation legal

Dabei schreibt das Schweizer Sterilisationsgesetz nur vor, die sterilisationswillige Person müsse mindestens 18 Jahre alt, urteilsfähig und umfassend informiert worden sein. Zudem muss die Person dem Eingriff frei und schriftlich zustimmen.

Eva Steub (29) will nicht Mutter werden und möchte sich sterilisieren lassen.
Foto: Siggi Bucher

Die Hürden bis zu dieser Unterschrift sind hoch. «In verschiedenen Praxen bekam ich zu hören: Jede Frau möchte Kinder, ich sei zu jung, ich müsse nur den richtigen Mann treffen, ich würde den Eingriff später bereuen», sagt Eva Steub. Jede Zurückweisung schmerzte. Sie wusste schon mit zwölf, dass sie keine Kinder auf die Welt bringen will; die Sterilisation ist ein Bedürfnis, das nicht von einem Partner abhängt.

Anders als andere weist Jean Dubuisson die Frauen nicht einfach weg. Er sagt: «Wir dürfen nicht grundsätzlich ablehnend eingestellt sein. Es ist unsere Aufgabe, uns auf dieses Thema in der weiblichen Bevölkerung einzustellen und professionell damit umzugehen.»

Top informiert zur Konsultation

Alma Lukic (19) hat im Zusammenhang mit der Menstruation mit starken Schmerzen zu kämpfen, mit Anämie, Migräne, Ohnmacht, Krämpfen, Übelkeit, Infektionen, Panikattacken. Und sie weiss seit Jahren, dass sie nie Mutter werden will.

Alma Lukic (19) fühlte sich von Ärzten und Ärztinnen belächelt, beleidigt, bevormundet.
Foto: Siggi Bucher

Beim Gespräch in einem Café beim Hauptbahnhof Zürich sagt die Berufsmaturandin, die anders heisst: «Statt Hilfe bekam ich von meinem Gynäkologen über Jahre nur Rezepte für verschiedene Antibabypillen und Schmerzmittel.» Sie fühlte sich belächelt, beleidigt, bevormundet. Und stellte fest: «Ich muss gleich viel wissen wie der Arzt, damit ich ernst genommen werde.»

Alma Lukic ist untypisch, da sie mit ihren nur 19 Jahren bald vor ihrem persönlichen Happy End steht. Typisch ist aber ihre angelesene Expertise. Am Inselspital Bern führt Michael Mueller (60) seit 30 Jahren Sterilisationen durch, auch bei jungen Frauen ohne Kinderwunsch. Der Chefarzt Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie sagt: «Das sind meistens sehr reflektierte, selbstbewusste Frauen. Häufig ist der Sterilisationswunsch bereits früh aufgetreten, mit 15 oder 16 Jahren.»

Psychische Abklärung

Am Inselspital beleuchten verschiedene Fachleute mit den jungen Frauen die Optionen. Auch eine psychische Abklärung kann ein Thema sein. «Es geht nicht darum, den Personen Hürden in den Weg zu legen, sondern nur darum sicherzustellen, dass der Entscheid sicher ist», sagt Michael Mueller.

Am Universitätsspital Genf berät Jean Dubuisson Sterilisationswünsche interdisziplinär. Weil in der Schweiz eine entsprechende Richtschnur fehlt, orientiert sich das Team an einem Dokument des Ethikausschusses der amerikanischen Gynäkologinnen und Gynäkologen. Dort steht, es sei ethisch vertretbar, bei jungen Frauen ohne Kinderwunsch eine Sterilisation durchzuführen. Und weiter: «Obwohl Ärzte verständlicherweise vermeiden wollen, bei Frauen Reue über eine Sterilisation auszulösen, sollten sie auch eine Bevormundung vermeiden.» Persönliche Ansichten und Vorurteile sollten zudem nicht die Bereitstellung der Behandlung beeinflussen.

So funktionierts bei Frau und Mann

Die Sterilisation: Dabei blockiert die Gynäkologin oder der Gynäkologe den Weg der Eizelle und der Samenzellen zur Gebärmutter. Beide Eileiter werden elektrisch verödet, durchgetrennt oder mit einem Clip abgeklemmt. Der Eingriff erfolgt unter Vollnarkose über eine Bauchspiegelung. Die Sterilisation ist dauerhaft; eine Refertilisierung ist theoretisch möglich, aber das Gelingen der Operation ist unsicher.

Die Vasektomie: In diesem Fall durchtrennt der Urologe oder die Urologin die beiden Samenleiter im Hodensack und verschliesst die losen Enden. So können keine Spermien mehr in die Samenflüssigkeit gelangen. Die Unterbindung ist ein ambulanter Eingriff. Auch beim Mann schwankt die Erfolgsquote einer operativen Refertilisierung stark.

Der Fortpflanzungsapparat einer Frau mit Eierstöcken, Eileitern und Gebärmutter.
Shutterstock

Die Sterilisation: Dabei blockiert die Gynäkologin oder der Gynäkologe den Weg der Eizelle und der Samenzellen zur Gebärmutter. Beide Eileiter werden elektrisch verödet, durchgetrennt oder mit einem Clip abgeklemmt. Der Eingriff erfolgt unter Vollnarkose über eine Bauchspiegelung. Die Sterilisation ist dauerhaft; eine Refertilisierung ist theoretisch möglich, aber das Gelingen der Operation ist unsicher.

Die Vasektomie: In diesem Fall durchtrennt der Urologe oder die Urologin die beiden Samenleiter im Hodensack und verschliesst die losen Enden. So können keine Spermien mehr in die Samenflüssigkeit gelangen. Die Unterbindung ist ein ambulanter Eingriff. Auch beim Mann schwankt die Erfolgsquote einer operativen Refertilisierung stark.

Nicht viele Frauen kommen nach Abweisungen in kleinen Praxen auf die Idee, sich selbst bei einem Zentrumsspital zur Beratung zu melden. Dubuisson und sein Team sprechen pro Jahr etwa mit fünf Frauen unter 30 Jahren ohne Kind, die eine Sterilisation wünschen, und machen zwei Sterilisationen bei Frauen mit demselben Profil. In Lausanne VD gab es ab Mitte bis Ende 2022 fünf Beratungen und drei Sterilisationen von Frauen ohne Kind. Am Inselspital Bern sind es pro Jahr zwei bis drei Sterilisationen von jungen Frauen unter 30 ohne Kind. Andere Frauenkliniken geben keine Auskunft über Zahlen oder melden auf Anfrage, es handle sich um ein marginales Thema.

Sterilisation ist die sicherste Verhütungsmethode

Marginal vielleicht aus Sicht des Spitals, aber zentral, gar lebensbestimmend für betroffene Frauen. Und dies ist auch die Antwort auf die Frage, warum diese Frauen beim Sex nicht einfach mit Kondom, Pille oder Spirale verhüten, um eine Schwangerschaft zu verhindern, so wie andere Frauen auch: Sterilisation ist die sicherste Verhütungsmethode.

Viele Frauen mit geklärtem Nicht-Kinderwunsch empfinden Panik nur schon beim Gedanken an eine Schwangerschaft, machen routinemässig jeden Monat Schwangerschaftstests. Eine Sterilisation bietet Gewissheit, bringt Seelenfrieden.

Gleichgesinnte auf Tiktok und Reddit

Alma Lukic fand auf der amerikanischen Plattform Reddit Childfree-Foren. Die Community der bewusst Kinderlosen hat auf der Plattform 1,5 Millionen Mitglieder. Über Jahre diskutierte sie auf Englisch mit, informierte sich, las die Erfahrungen anderer. Auf Reddit entdeckte sie auch Adressen von Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz, die schon Sterilisationen bei kinderlosen Frauen vorgenommen hatten.

Eva Steub, die in sechs Arztpraxen abgewiesen worden ist, hat doch noch einen Anlauf genommen, inspiriert durch die Tiktok-Posts einer Frau, die über ihren Weg zur Sterilisation berichtete. Schiffbrüchigen gleich, die auf einer rettenden Insel unverhofft ein freundliches Volk antreffen, stellen Frauen mit Sterilisationswunsch auf Social Media oder in Foren fest: Sie sind nicht allein. Es gibt viele andere Frauen, die auch kein Kind haben wollen. In diesen Communitys werden sie nicht verurteilt.

Hilft auch Frauen aus der Schweiz: Sterilisations-Aktivistin Susanne Rau (34) aus Leipzig (D).
Foto: @picthey

In den sozialen Medien stiess Eva Steub auf Posts des Vereins Selbstbestimmt steril aus Deutschland. Hinter dem 2019 gegründeten Verein steht Susanne Rau (34). Sie selbst hatte mit 27 in Leipzig beim zweiten Versuch einen Arzt gefunden, der die Sterilisation durchführte. Doch im Online-Kontakt mit anderen Frauen merkte sie, dass sie bloss Glück gehabt hatte.

Eine Sterilisations-Aktivistin

Herzstück der Arbeit ihres Vereins ist eine Deutschlandkarte mit Adressen von Praxen, die Sterilisationen vornehmen. Der Verein veröffentlicht nur Adressen von Ärztinnen und Ärzten, die einwilligen. Es läuft harzig. Daher gibt der Verein immer wieder auch Adressen unter der Hand weiter.

Regelmässig bekommt die Sterilisations-Aktivistin auch Anfragen aus der Schweiz. So jüngst von Eva Steub. Ihr hat Susanne Rau zwei Adressen von Ärzten in der Nordwestschweiz genannt. Eva Steub hat diese kontaktiert und positive Rückmeldung bekommen.

«Ich kann es noch kaum glauben, aber ich habe endlich die Aussicht, dass ich mich sterilisieren lassen kann», sagt sie. Zuerst muss sie ein paar Monate sparen, bis sie die notwendigen 2000 Franken für den Eingriff aufbringen kann. «An meinem 30. Geburtstag möchte ich die Sterilisation machen», sagt Eva Steub.

Die Aussicht auf den Eingriff entlastet

Alma Lukic hat bereits einen Termin für den Eingriff erhalten. Die Adresse von der Reddit-Plattform war ein Volltreffer. In der Sprechstunde mit der Ärztin an einem Zentrumsspital fühlte sie sich das erste Mal ernst genommen. Wegen ihrer medizinischen Befunde ist für die 19-Jährige nicht die Sterilisation der richtige Weg, sondern eine Gebärmutterentfernung. Die Entfernung des Uterus merzt hoffentlich nicht nur ihre gesundheitlichen Probleme aus, sondern befreit sie gleichzeitig von der Last, möglicherweise schwanger zu werden.

Die Tasse Früchtetee im Café beim Bahnhof ist längst ausgetrunken, als das Gespräch auf den bevorstehenden Eingriff kommt. Alma Lukics Gesicht hellt sich auf. Sie sagt: «Seit ich weiss, dass es tatsächlich passiert, geht es mir gut.» Ihr Happy End ist für sie in Griffnähe.

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