Sexualtherapeutin gibt Auskunft
Kann man in Gedanken fremdgehen?

Wenn man sich vorstellt mit einer anderen Person als dem Partner zu schlafen, ist das dann schon betrügen? Blick hat eine klinische Sexualtherapeutin gefragt.
Publiziert: 08.12.2023 um 20:31 Uhr
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Aktualisiert: 08.12.2023 um 20:33 Uhr
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Jeder hat schon einmal über einen Kollegen, einen Star oder einen Fremden fantasiert.
Foto: Shutterstock
Margaux Sitavanc

Der sichere Gang, der neckische Blick und das Lächeln des Mitarbeiters oder der Bürokollegin gefällt einem. Bloss eine objektive Beobachtung? Was ist, wenn man manchmal an diese Person denkt, während man mit dem eigenen Partner intim wird? Ist man untreu, wenn man sich vorstellt, mit dem attraktiven Kollegen oder der hübschen Kollegin zu schlafen? Gar ein Hinweis auf eine schwache Beziehung?

Diese Fragen sind nicht angenehm, werden sich aber viele schon gestellt haben. Gut zu wissen: Fast jeder hat schon einmal über eine andere Person fantasiert, obwohl er in einer Beziehung war. Wenn wir uns heisse Szenarien ausdenken, in denen unsere Nachbarin, unser Sportlehrer, die Freundin unseres besten Freundes oder sogar eine berühmte Persönlichkeit eine Rolle spielt, sind wir nicht gleich besessen oder untreu.

Fantasieren ist ein Zeichen guter Gesundheit

Natalia Pavalachi, klinische Sexologin aus Lausanne, sagt: «Fantasien sind weder unmoralisch noch schändlich. Nur, weil man sich dazu entschliesst, seinem Partner oder seiner Partnerin treu zu sein, heisst das nicht, dass unser Gehirn auf bestimmte Reize nicht mehr reagiert. Die Person in unseren Fantasien kann tatsächlich einigen unserer Anziehungscodes entsprechen und Dinge in uns wecken.»

Laut Pavalachi, die in ihrer Praxis Paare aller Altersgruppen behandelt, sind erotische Szenarien zudem ein Zeichen für eine gute psychische und sexuelle Gesundheit: «Die Fähigkeit, auf Reize zu reagieren, ist positiv. Die Fantasie über eine andere Person zeigt, dass die Libido richtig funktioniert und nicht ausgeschaltet ist, wie es zum Beispiel bei Depressionen oder Angstzuständen der Fall ist.»

Wenn Schuldgefühle einen daran hindern, Spass zu haben

Trotzdem ist es nicht einfach, die Verwirrung und die Schuldgefühle loszuwerden, die diese Fantasien oft auslösen. Laut der Sexologin sind es gerade diese negativen Interpretationen – «das ist unfair gegenüber meinem Partner» oder «ich betrüge sie» – die unsere Chancen auf eine erfüllende Sexualität in der Partnerschaft oder überhaupt auf Genuss ruinieren: «Es ist entscheidend, zu verstehen, dass man diese erotischen Gedanken nicht kontrollieren kann», betont die Expertin. Der Versuch, diese Fantasien zu unterdrücken, führe nur dazu, dass sie einen grösseren Raum einnehmen. Wenn man Sie bittet, unter keinen Umständen an einen Flamingo zu denken, woran denken Sie dann?

Pavalachi ist der Meinung, dass diese Gedankengänge wie ein Booster für unser «reales» Sexleben wirken. Vorausgesetzt man befreit sich von den negativen Gedanken, die sie auslösen können: «Fantasien haben die wunderbare Fähigkeit, das Verlangen zu stimulieren und die Leidenschaft mit dem Partner zu steigern. Da wir sie nicht kontrollieren können, wäre es schade, wenn wir sie nicht nutzen würden, um mit unserem Partner oder unserer Partnerin Spass zu haben.»

Sollte man mit seinem Partner darüber sprechen?

Theoretisch ist es gut, wenn man mit der Freundin oder dem Ehemann über seine Fantasien spricht. Doch wenn es sich um eine dritte Person handelt, wird es schon schwieriger. Pavalachi ist der Meinung, dass es wichtig ist, die Sensibilität des Partners zu kennen, bevor man ihm die Tür zu einer erotischen Fantasie öffnet: «Bei manchen Menschen können solche Offenbarungen Traurigkeit, Selbstzweifel und sogar einen Verlust des Selbstwertgefühls auslösen, während sie in anderen Situationen als Vertrauensbeweis angesehen werden können.» Im Zweifelsfall und um nicht zu riskieren, den anderen zu verletzen, sei es jedoch oft besser, die Fantasien geheim zu halten.

Besteht die Gefahr auf einen Seitensprung?

Während man sich laut Oscar Wilde nur von einer Versuchung befreien kann, wenn man ihr nachgibt, sieht Pavalachi das anders: «Wenn man sich vorstellt, dass man mit jemand anderem als dem Partner oder der Partnerin Sex hat, bedeutet das nicht, dass man ihn oder sie betrügen wird. Man kann diese Fantasien nutzen, um sein Sexualleben befriedigender zu gestalten, ohne dabei eine rote Linie zu überschreiten.»

Aber wenn Fantasien kein Fremdgehen sind, gibt es dann eine Grenze, die nicht überschritten werden darf? Pavalachi meint: «In meiner Praxis habe ich festgestellt, dass es so viele verschiedene Auffassungen von Treue gibt wie Paare.» Um die Diskussion zu eröffnen, stellt die Sexologin ihren Patienten folgende Frage: «Wäre es Ihnen lieber, wenn Ihr Partner mit Ihnen schläft und dabei an jemand anderen denkt, oder wenn er mit jemand anderem schläft und dabei an Sie denkt?» Pavalachi stellte fest, dass Männer eher das erste und Frauen eher das zweite Angebot bevorzugen.

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