Kostenlose Verhütungsmittel für alle: Das gilt seit dem 1. April im Grossherzogtum Luxemburg. Ob Pille, Verhütungspflaster, Spirale oder Sterilisation bei Frau oder Mann: Der Staat trägt die Kosten. Ausgenommen sind Kondome – hier verweist die Regierung auf laufende Programme mit Gratis-Abgabestellen.
Wie der Europäische Verhütungsatlas 2022 zeigt, gibt es gut zwei Dutzend Länder in Europa, die Verhütungsmittel kostenlos abgeben. Sei dies für alle, sei dies nur für Junge oder sozial schwache Bevölkerungsgruppen.
Europäischer Verhütungsatlas
Die Schweiz ist auf dem Europäischen Verhütungsatlas mit 46 aufgelisteten Ländern im Mittelfeld platziert – dank guten Bewertungen bei den Faktoren Zugang zu Beratung und Online-Information. Gratis-Verhütung gibt es hierzulande aber nicht.
Das stösst auf Kritik: «Der heutige Zustand in der Schweiz ist unhaltbar: In einem der reichsten Länder der Welt gibt es Bevölkerungsgruppen, die sich Verhütung fast nicht leisten können», sagt Sonja Merten (56).
Die Ärztin ist in leitender Position am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) tätig. Zudem ist sie Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen und hat sich in dieser Funktion im März mit einem Positionspapier zu Wort gemeldet.
«Ein Armutszeugnis für unser Land»
Darin weist sie darauf hin, dass bei verheirateten Paaren eine von fünf Schwangerschaften nicht geplant ist, bei unverheirateten Frauen sogar jede dritte. Sonja Merten spricht von einem Problem mit der Chancengleichheit: «Je länger, je mehr Daten gibt es, die immer dasselbe zeigen: Bestimmte Bevölkerungsgruppen verhüten weniger als andere, und zwar Leute mit tieferem Einkommen und Menschen mit Migrationshintergrund.»
Die Kosten für Verhütungsmittel seien ein wichtiger Grund für ökonomisch schlechter gestellte Frauen, nicht zu verhüten. «Wenn eine Frau, die sich nicht leisten kann, für Verhütung zu bezahlen, ungeplant schwanger wird und abtreiben muss, ist das eine persönliche Tragödie. Zudem ist es ein Armutszeugnis für unser Land», sagt Merten.
Dass Schwangerschaftsabbrüche von der Krankenkasse bezahlt werden, Verhütungsmittel aber nicht, sei zudem ein finanzieller Fehlanreiz. Für die Spezialistin auf dem Gebiet Mutter- und Kind-Gesundheit ist Verhütung genau dies: ein Gesundheitsthema.
Wiederkehrendes Thema im Parlament
Die Wissenschaftlerin ist nicht die erste, die kostenlose Verhütung fordert. Im eidgenössischen Parlament gab es zum Thema in den vergangenen 15 Jahren mehrfach Vorstösse.
Letzten Monat erst wurde eine Motion von Grünen-Nationalrätin Stefania Prezioso Batou (54) abgeschrieben, weil das Parlament diese nicht innert zwei Jahren behandelt hatte. Eine ablehnende Antwort vom Bundesrat liegt aber vor. Er schreibt, dass eine Gesetzesanpassung erforderlich wäre, um den Leistungskatalog der Grundversicherung auf Verhütungsmittel auszudehnen. Und mahnt zur Zurückhaltung angesichts steigender Gesundheitskosten.
Dies lässt Sonja Merten nicht gelten. «Es braucht eine Lösung! Wir – verschiedene Wissenschaftler und Kommissionsmitglieder – befürworten einen freien Zugang zu Verhütungsmitteln oder, falls das politisch chancenlos ist, zumindest für die sozial Schwächsten.»