Michael von der Heide
«Ich träume davon, auf einen kleinen Bauernhof zu ziehen»

Michael von der Heide (51) prägt die Schweizer Popkultur seit über zwanzig Jahren. Mit René Scheu diskutiert er über seinen Weg vom Landbuben zum Stadttypen – und wieso es ihn zurückzieht.
Publiziert: 23.04.2023 um 17:50 Uhr
|
Aktualisiert: 23.04.2023 um 17:54 Uhr
1/6
Michael von der Heide sprach mit René Scheu über seine Karriere.
Foto: Keystone
FRONT_SCHEU2_Scheu_37.JPG
René ScheuPhilosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP)

Herr von der Heide, Sie stehen seit 30 Jahren auf der Bühne, Sie sind die Verkörperung des Chansonniers. Was ich mich plötzlich gefragt habe: Können Sie selbst mit dem Begriff etwas anfangen?
Michael von der Heide:
Die Musikkritiker haben mir diese Bezeichnung übergestülpt. Ich sang schon früh auf Französisch, das ist unüblich in der deutschsprachigen Schweiz. Pop passte irgendwie nicht. Mundartrock ging sowieso nicht, ebenso wenig Schlager. Also hat man mich in diese Schublade gesteckt: ein Chansonnier!

Schlimm?
Nein, gar nicht. Ich lebe gut damit. Dieser Titel hat was Elegantes, und die Eleganz passt zu Männern im mittleren Alter. Neuerdings gilt auch Stephan Eicher, eigentlich ein prima Rocksänger, als Chansonnier, als Rock-Chansonnier, ich bin also nicht mehr allein. (Lacht.) Eigentlich ist aber der Chansonnier nichts anderes als ein Liedermacher – wie Reinhard Mey, nur eben mit französischem Einschlag.

Was will denn aber eigentlich der Liedermacher – unterhalten, nachdenken oder sanft belehren?
Bloss nicht moralisch werden! Der Liedermacher besingt die Liebe, das Leiden, die Freuden, das Leben. Ein Lied muss trösten können, versöhnen, zum Nachdenken anregen. Der Liedermacher will die Sinne öffnen für das reiche menschliche Leben – und dabei gehoben unterhalten.

Gehoben muss es also sein.
Ja, unbedingt – das ist der Anspruch! Ich produziere keine Après-Ski-Hits, die total ihre Berechtigung haben, weil der Mensch auch gerne ausgelassen tanzt und trinkt. Aber ich stelle mir eher vor, dass sich meine Hörer ein Kaminfeuer machen, sich auf die Couch fläzen und ein ganzes Album gönnen.

Michael von der Heide als breites Hintergrundrauschen, das aus dem Radio erklingt – ein Graus?
Neinnein! Da macht man ja auch gerne Kompromisse. In jedem Album brauchts ein oder zwei kommerziell erfolgreiche Ohrwürmer – im Idealfall, denn das ist nicht so einfach. Ich mache die Musik nicht nur für ein paar Kenner, ich lanciere ein Angebot für alle.

Sie haben mit Martin Suter und Milena Moser zusammengearbeitet, zwei bekannten Schweizer Bestsellerautoren. Wie wärs mal mit etwas ausgefalleneren Schriftstellern – zum Beispiel Christian Kracht oder Thomas Hürlimann?
Gute Idee! Sie haben sich bei mir nie gemeldet – und ja, stimmt, ich mich auch nicht bei ihnen. Aber das kann sich nach diesem Gespräch ändern. Beide sind ja Sprachartisten und Erzählweltmeister. Martin Suter und Milena Moser habe ich übrigens nicht aktiv gesucht, sondern bei gemeinsamen Freunden spontan kennengelernt. Wir verstanden uns auf Anhieb. Aber halt, da fällt mir was ein.

Ja, bitte – was denn?
Eine Erinnerung. Thomas Hürlimann bin ich vor Urzeiten begegnet, es muss in den 1980er-Jahren gewesen sein. Seine damalige Partnerin, die Schauspielerin Kathrin Brenk, sang an einem Liederabend Gedichte von ihm und von Martin Suter, die der Komponist Daniel Fueter in Ton gesetzt hatte. Das war vom Feinsten!

Sie stammen aus Amden über dem Walensee. Mit Martin Suter haben Sie vor Jahren ein Lied dazu verfasst, «Nu schnell». Sie, der Urbane, sind eigentlich ein Landbub. Bis heute?
Nicht bis heute – aber heute wieder mehr. Seit einiger Zeit wohne ich in Rümlang, im Zürcher Unterland, da sagen sich Fuchs und Hase Gutenacht.

Er lässt Gold regnen

Michael von der Heide, 1971 in Amden SG geboren, ist einer der bekanntesten Sänger der Schweiz, Theaterschauspieler und ausgebildeter Krankenpfleger. Er hat über ein Dutzend Alben herausgebracht (zuletzt «Echo» und «Mini Wiehnacht»). Die wohl bekannteste Single ist «Il pleut de l’or», mit der er 2010 auch am Eurovision Song Contest auftrat. Von der Heide singt auf Französisch, Deutsch und in Mundart. Diesen Spätsommer erscheint sein neues, dreisprachiges Album «Nocturne».

Michael von der Heide, 1971 in Amden SG geboren, ist einer der bekanntesten Sänger der Schweiz, Theaterschauspieler und ausgebildeter Krankenpfleger. Er hat über ein Dutzend Alben herausgebracht (zuletzt «Echo» und «Mini Wiehnacht»). Die wohl bekannteste Single ist «Il pleut de l’or», mit der er 2010 auch am Eurovision Song Contest auftrat. Von der Heide singt auf Französisch, Deutsch und in Mundart. Diesen Spätsommer erscheint sein neues, dreisprachiges Album «Nocturne».

Von Amden nach Rümlang – können Sie die Geschichte im Schnelldurchlauf erzählen?
Ich bin in Amden aufgewachsen, und natürlich träumten wir vom aufregenden Leben in der Grossstadt. Die Grossstadt war damals Zürich, Ziel aller Träume. Am Mittwoch- und Samstagnachmittag habe ich mich unter dem Vorwand, ins Seedammcenter in Pfäffikon zu gehen, fortgestohlen und fuhr mit Kollegen ins sündige Zürich. Wir haben uns im Niederdorf herumgetrieben und besuchten mit den Älteren aus dem Dorf das Mascotte. Ich arbeitete als Au-pair in der Romandie. Später wohnte ich in Paris und London. Aber heute, nun ja, heute mag ich es wieder etwas stiller.

Hand aufs Herz: Sind Sie im mittleren Alter – Ihr Ausdruck! – konservativer geworden?
Im guten Sinne, ja. Ich finde Rituale und Traditionen im Alltag wichtig. Freundschaften. Weisse Tischtücher, schön drapierte Servietten. Kommerzfreie Sonntage. Ich träume davon, mal noch ganz aufs Land zu ziehen, auf einen kleinen Hobby-Bauernhof, mit Garten, Hühnern und so, meinem kleinen Reich.

Sind Sie ein Kirchengänger?
Ui, klang das jetzt so? Sie werden es nicht glauben, aber als Kind war ich ständig in der Kirche, ganz allein, freiwillig. Ich war ganz fromm. Später haderte ich mit der Kirche und trat aus. Aber die kulturelle Klugheit, die sie bis heute bewahrt hat, finde ich grossartig. Das Runterfahren. Die Fokussierung. Das Zusammenkommen. Weihnachten. Und eben: die Rituale. Die sind wohltuend, zumal in einer Durcheinanderwelt wie der aktuellen.

Wie passt dazu, dass Sie einmal mit dem Urgestein des deutschen Punkrocks, Nina Hagen, durch Deutschland getourt sind?
Erst mal ist Nina blitzgescheit, hochsensibel und sehr poetisch. Und zweitens ziehen sich Gegensätze an. Nina – ganz gross!

Wie halten Sie es mit Mani Matter?
Den habe ich in der Schule kennengelernt. Toll, klar. Ich verstehe mich auch gut mit Meret Matter, seiner Tochter, und Joy Matter, seiner Frau, sie kommt sogar an meine Konzerte. Ich verehre Mani Matter, aber er ist für mich jetzt auch nicht das Nonplusultra. Das hat wohl damit zu tun, dass mir das Berndeutsch lebensweltlich doch etwas fernliegt, obwohl es mir klanglich sehr gefällt.

Vor allem in Ihren frühen Jahren haben Sie viele Mundartlieder komponiert – würde das nicht passen zum neuen ländlichen Michael von der Heide?
Doch, schon. Und ich arbeite im Studio auch tatsächlich an einem neuen Album mit viel Mundart. Es soll etwas poetisch und alpin sein, dazu viel Streicher und Bläser. Der Mundartrock, eine grosse Mode der letzten Jahre, ist meine Sache nicht. Und ich könnte es abgesehen davon auch nicht – da brauchts den Berner Dialekt oder eine Sina, mit Walliser Mundart. Mein Ostschweizer Dialekt ist zu hell, der ist im Rock-Bereich nicht sexy genug. Für den poetischen oder kabarettistischen Bereich passt er aber wunderbar.

Dazu passt auch Ihr Name: Michael von der Heide. Ist der wirklich echt – oder haben Sie den en passant erfunden?
Total echt! Als ich zu singen begann, wollte ich mir tatsächlich einen Künstlernamen zulegen, weil mir mein eigener nicht behagte. Ich war in der Schule immer gehänselt worden: Michael von der Scheide, Michael von der Scheide! «Leander» stand hoch im Kurs, dann «Micha». Am Ende blieb ich jedoch bei meinem echten Namen, weil mich Freunde darauf aufmerksam machten, dass der ja schon wie ein Künstlername klingt. Das Geschlecht stammt aus Deutschland, aus der Lüneburger Heide, und ganz früher war der von der Heide ein Raubritter.

Sie sind einer der erfolgreichsten Sänger der Schweiz …
… weil ich vielleicht bald noch der einzige bin! (Lacht schallend.)

Die einen sterben, die anderen geben auf …
… ja, leider. Aber was wollten Sie mich fragen?

Wie hat sich die Schweiz in den letzten drei Jahren verändert?
Alles ging so schnell: Corona, Krieg, Credit Suisse. Ziemlich verwirrend, das Ganze. Und natürlich auch tragisch.

Sie sind ausgebildeter Krankenpfleger. Eine verrückte Zeit?
Ja, sicher. Einerseits habe ich in der Pandemie ältere Menschen betreut – was mich überraschte, war, wie viele von ihnen gelassen mit der zunächst höchst bedrohlichen Situation umgingen. Die hatten keine Angst. Und zugleich war ich erstaunt, an mir selbst festzustellen, wie sehr mich die beiden Jahre wieder geerdet haben. Natürlich war diese Zeit aber für viele Kunstschaffende der reinste Albtraum. Sie konnten nicht mehr auftreten, ihre künstlerische Existenz stand plötzlich auf dem Spiel.

Sie tut es bis heute. Die Kulturbranche hat sich noch nicht wieder erholt. Das Publikum bleibt aus. Die Kulturschaffenden jammern. Ein Zustand?
Schlimm, natürlich. Aber zugleich kann man die Leute ja nicht in die Theater, Kinos und Konzerthallen prügeln. Sie haben ihre Gründe, weshalb sie nicht mehr jede Woche drei Konzerte besuchen. Es war jahrelang alles zu viel, zu viele Events, zu viel Programm. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich halte es so: Ich nehme die Situation, wie sie ist, und mache das Beste daraus.

Wie?
Ich spiele im kleineren Rahmen – und tue es mit wachsender Freude. Vielleicht entdecken wir das Intime, Echte, Ehrliche neu.

Das Showbiz verändert sich rasant, mit Streaming und Social Media. Mir fällt auf, dass Sie noch am Konzept des Albums festhalten. Streaming ist das Gegenteil: Es hat immer schon begonnen, und es hört nie auf. Es ist gleichsam die ewige Tonspur der Begleitmusik.
Absolut. Da bin ich eben doch ein Nostalgiker! Ich bleibe mir selbst treu, ich setze auf die Dramaturgie eines Werks. Ich besetze eine Nische und biedere mich nicht mit dem Mainstream an. Auf den Streamplattformen sahnen nun mal die internationalen Topshots ab, die vor allem auf Englisch singen. Alle anderen erhalten kleinere oder grössere Brosamen. Aber jammern bringt auch hier nichts.

Früher war das Konzert Promo für das Album – heute ist die gestreamte Musik Promo für die eigenen Konzerte. Ist das gut oder schlecht?
Ich liebe Konzerte! Es gilt, die Ärmel hochzukrempeln. Ein Liedermacher ist eben wirklich ein Macher. Musiker, Künstler, wir arbeiten im Schweisse des Angesichts. Das ist aber nichts Schlimmes, das ist grossartig – für uns und fürs Publikum.

Sie nagen nicht am Hungertuch?
Ich lebe gut, aber ich bin auch nicht reich und abgehoben geworden.

Was ist für Sie Erfolg?
Früher hätte ich gesagt: Erfolg heisst, hochzukommen, Bekanntheit zu erlangen. Heute würde ich sagen: Erfolg ist, auf dem Plateau zu bleiben, seine Nische zu finden. Zuerst die Explosion, dann die Konstanz. Und aus eigener Erfahrung weiss ich: Letzteres ist noch schwieriger als Ersteres.

Was heisst es, sich zu treu zu bleiben?
Nein sagen können – ganz schwierig. Und man kann sich im Spiegel anschauen und zuzwinkern. Dann ist man im Reinen mit sich. Das klingt jetzt moralisch, oder?

Nein. Weil Sie ja nicht sagen, was es bedeutet, mit sich im Reinen zu sein – das entscheidet jeder für sich.
Okay, gut. Dann sage ich ein paar letzte Sätze: Wer es schafft, so zu sein, strahlt von innen. Das ist Lebensqualität. Daran arbeite ich – mit Freude und Überzeugung.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?