«Der Herr weiss, was am besten für mich ist»
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Gläubige Jugendliche:«Der Herr weiss, was am besten für mich ist»

Jung und religiös
Drei Schweizer erzählen von ihrem Glauben

Fatime Bunjaku (19) lebt als gläubige Muslimin, Lukas (17) als orthodoxer Jude, Christopher Höfer (25) als Katholik. Während grundsätzlich jede neue Generation weniger gläubig ist als die vorherige, gehen diese drei einen anderen Weg.
Publiziert: 10.09.2024 um 18:59 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2024 um 14:12 Uhr

Auf einen Blick

  • Fatime Bunjaku entschied sich mit zwölf, das Kopftuch zu tragen
  • Seit dem 7. Oktober 2023 trägt der orthodoxe Jude Lukas die Kippa nicht mehr öffentlich
  • Christopher Höfer hat nach dem Tod seiner Grosseltern zum katholischen Glauben zurückgefunden
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Marisa CaluoriPraktikantin Gesellschaft

«Sie versuchten mir einzureden, dass ich unterdrückt werde»

Fatime Bunjaku sticht mit dem Kopftuch unter Gleichaltrigen hervor.
Foto: Linda Käsbohrer

Fatime Bunjaku (19) lebt als gläubige Muslimin: «Ich bin in einer religiösen Familie aufgewachsen. Mein Vater ist Imam, das hat für meine Glaubensbildung sicher auch eine Rolle gespielt. Aber wir glauben, dass jeder und jede den Glauben selbst finden muss, auch wenn man religiös aufwächst. Bei mir war das mit 16 der Fall, als ich darüber reflektiert habe, weshalb ich Teil vom Islam sein möchte.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass alles aus dem Nichts entstanden ist. Ich glaube auch, dass wir alle aus einem Grund da sind. Meinen Lebenssinn sehe ich darin, Gott zu dienen. So komme ich nach diesem Leben hoffentlich ins Paradies.

Ich lebe mein Leben nach islamischen Prinzipien. Es gibt nichts, was ich nicht befolge. Dazu gehören fünfmal am Tag beten, im Ramadan fasten und Almosen spenden. Ausserdem lese ich fast täglich im Koran und trage ein Kopftuch.

Mit zwölf, bevor ich ans Gymnasium kam, entschied ich mich, das Kopftuch zu tragen. Ursprünglich wollte ich es schon früher tragen, aber meine Eltern liessen mich nicht. Sie hatten Angst, dass ich diskriminiert werde.

Als ich es anzog, sagte mir mein Vater einen Satz, der hängen blieb: ‹Der Weg des Kopftuchs ist ein steiniger Weg. Erwarte nicht, dass dich alle Leute mit Rosen empfangen.›

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Am Gymnasium war ich die einzige erkennbare Muslimin. Ich habe schon gemerkt, dass meine Mitschüler und Mitschülerinnen etwas reserviert waren. Sie kamen zuerst nicht wirklich auf mich zu. Mit der Zeit konnte ich diese Vorurteile zum Glück abbauen und hatte gute Freundschaften im Gymnasium. Aber es gab immer wieder Aussagen, an denen ich merkte, dass ihnen mein Kopftuch missfiel.

Interessanterweise haben mich die Jungs mehr akzeptiert als die Mädchen. Die versuchten, mir einzureden, dass ich unterdrückt werde. Sie sagten, ich hätte eine Gehirnwäsche bekommen. Dabei habe ich ihnen mehrmals erklärt, dass ich mich selbst entschieden habe und dass mir auch wichtig ist, dass jeder selbst entscheiden darf, was er anzieht.

Dass ich das Kopftuch trage, bringt mich einerseits näher an meinen Glauben und hat mich andererseits auch als Person stärker gemacht. All diese Vorurteile, mit denen ich zu kämpfen hatte, und die vielen Diskussionen, die ich führen musste, haben mich erwachsener gemacht. Heute ist das Kopftuch ein Teil von mir und meiner Identität, den ich nie aufgeben werde.

Auf der Strasse werde ich deswegen manchmal mit ‹Taliban› oder ‹IS› beschimpft. Es gibt diese extremistischen Gruppen, über die auch in den Medien sehr viel berichtet wird. Deshalb hat man ständig ein negatives Bild vom Islam im Kopf. Auch mich stören diese Extremisten, die unser Image beschmutzen. Aber das ist kein Grund, diese falschen Interpretationen des Islams zu generalisieren und alle Muslime zu verurteilen. Wir sollten miteinander leben und nicht gegeneinander.»

«Am Anfang war meine Familie schockiert»

Lukas ist als einziger in seiner Familie und an seiner Schule orthodoxer Jude.
Foto: Linda Käsbohrer

Lukas (17) beschäftigte sich während der Pandemie intensiv mit den jüdischen Schriften: «Ich lebe seit drei Jahren orthodox, davor war ich nicht wirklich gläubig. Der Rest meiner Familie ist mehrheitlich jüdisch, aber nicht orthodox.

Zu meinem Glauben habe ich eigentlich durch Neugier gefunden: Während der Corona-Pandemie war mir langweilig, weswegen ich begann, jüdische Schriften und Kommentare zur Tora zu lesen. Mit der Zeit sprach mich das immer mehr an, bis ich an den Punkt kam, an dem ich den jüdischen Glauben auch ausleben wollte. Ab da habe ich Schritt für Schritt damit begonnen.

Inzwischen halte ich mich an die meisten Vorschriften: Das bedeutet vor allem, dass bei mir am Ruhetag vom Freitagabend bis Samstagabend wenig läuft, dass ich mich koscher ernähre und dass ich dreimal am Tag bete.

Im Judentum wird viel Wert aufs Studium gelegt, was mir sehr gefällt. Ich finde es gedankenanregend, sich mit den jüdischen Schriften zu befassen. Ausserdem finde ich es schön, zu wissen, dass schon mein Grossvater, mein Urgrossvater und meine Vorfahren seit 3000 Jahren genau das Gleiche machen. So bin auch ich irgendwie Teil der Geschichte. Deshalb hoffe ich, den Glauben auch meinen Kindern weitergeben zu können.

Am Anfang war meine Familie etwas schockiert über meine Entscheidung, orthodox zu leben. Meine Mutter hatte sich zuvor auch schon etwas über die Orthodoxen lustig gemacht. Deshalb habe ich meinen Glauben am Anfang für mich behalten und meiner Familie nichts gesagt. Inzwischen akzeptieren sie es. Wenn ich am Freitagabend zum Beispiel die Sabbatkerzen anzünde, ist meine Mutter dabei, aber danach geht sie wieder an ihr Handy, während für mich dann die Ruhezeit beginnt.

Ein wenig mehr Gemeinschaft würde ich mir aber schon wünschen. In meinem Wohnkanton gibt es zum Beispiel keine jüdischen Jugendverbände. Aber es stärkt einen auch, dass man auf sich gestellt ist.

Dass viele Jugendliche an nichts glauben, hat vermutlich damit zu tun, dass sich die Menschen nicht genug damit auseinandersetzen. Es gibt dieses Stereotyp von religiösen Menschen, die alle gegen die Wissenschaft sind und auf dem Land leben. Das sind sicher Vorurteile, die mit hineinspielen.

Seit dem 7. Oktober 2023 trage ich die Kippa in der Öffentlichkeit nicht mehr. Auch wenn mich jemand auf der Strasse fragen würde, ob ich jüdisch bin, würde ich es ihm wahrscheinlich nicht direkt sagen. Ich bin diesbezüglich schon etwas vorsichtiger geworden. In der Schule trage ich sie trotzdem. Auch wenn ich der Einzige mit Kippa bin, fühle ich mich dort sicher. Ich hoffe, dass ich sie bald wieder überall tragen kann.»

«Jesus erschien mir im Traum»

Christopher Höfer fand in einer persönlichen Krise zurück zum Glauben seiner Kindheit.
Foto: Linda Käsbohrer

Katholik Christopher Höfer (25) findet in er Bibel Kraft: «Ich bin katholisch aufgewachsen. Meine Mutter ist ebenfalls gläubig, mein Vater nicht. Als Jugendlicher habe ich den Glauben leider stark vernachlässigt. Als vor drei Jahren meine Grosseltern gestorben sind, habe ich zum Glauben zurückgefunden.

Zu dieser Zeit war ich ziemlich am Boden und wusste nicht weiter. Ich habe dann erneut angefangen, die Bibel zu lesen, die ich wiedergefunden habe. Das hat mir enorm Kraft gegeben. An einem Abend war ich total kaputt und wusste wirklich nicht mehr weiter. In dieser Nacht sah ich im Traum die Gestalt von Jesus.

Heute versuche ich, mindestens einmal pro Woche in die Kirche zu gehen. Ausserdem bete ich jeden Tag dreimal und lese regelmässig in der Bibel.

Manchmal fällt es mir schwer, mich an die Vorschriften des Christentums zu halten. Tattoos sollte man beispielsweise nicht haben. Meine stammen aus der Zeit, in der ich den Glauben vernachlässigt habe, was ich bereue, also den Glauben vernachlässigt zu haben. Jeder Mensch sündigt, und Gott vergibt das auch. Man darf es aber nicht ausnutzen. 

Mein Umfeld reagierte eigentlich meistens positiv und interessiert auf meinen Glauben. In der Kindheit gab es manchmal Sprüche, aber grösstenteils war es kein Problem.

Aber ich bin sowieso keine Person, die urteilt. Deshalb sage ich meistens nichts, wenn sich jemand gegen meinen Glauben oder mich ausspricht, ausser natürlich es ist ganz heftig. Normalerweise denke ich mir: ‹Sag, was du willst, Gott wird richten.› 

Im Christentum fühlt man sich nie alleine. Gott ist immer bei einem. Ich kann nicht beurteilen, wie es für die Leute ist, die an nichts glauben oder einen anderen Glauben haben, aber ich fühle, dass ich nie alleine bin.

Gott gibt mir Halt, Hoffnung und Stabilität. So kann ich auch meine Ängste loswerden. Wenn es eine Situation in meinem Leben gibt, auf die ich eine Antwort brauche, schlage ich die Bibel auf und finde darin immer eine Antwort.

Ich denke, dass sich viele Jugendliche nicht für den Glauben interessieren, weil sie mit dem, was gerade in der Welt geschieht, überfordert sind. Es sind zu viele Informationen von allen Seiten. Deswegen fehlt einem der klare Blickwinkel. Man müsste wahrscheinlich vieles reduzieren, um sich wieder besser auf den Glauben fokussieren zu können.

In jeder Religion gibt es Schattenseiten, aber das ist nur so ein kleiner Teil. Ich finde es dumm, wenn Gläubige dafür niedergemacht werden, egal in welcher Religion.»

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