Sie will Brücken bauen zwischen Katholiken
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Isabel Vasquez:Sie will Brücken bauen zwischen Katholiken

Isabel Vasquez leitet in der katholischen Kirche den Bereich Migration
«Es gibt nicht nur die Kirche der Skandale»

Ohne die Zuwanderung von anderssprachigen Gläubigen würde die katholische Kirche in der Schweiz schnell schrumpfen. Oberste Zuständige für Migration ist die Spanierin Isabel Vasquez (51). Ein Gespräch über Kraftquellen, Begräbnisstimmung im Gottesdienst und Sicherheit.
Publiziert: 03.09.2023 um 14:09 Uhr
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Die erste Frau: Isabel Vasquez ist seit einem Jahr Nationaldirektorin von Migratio, der Dienststelle von der Schweizer Bischofskonferenz für Migration.
Foto: Thomas Meier
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Die Zukunft der katholischen Kirche in der Schweiz sind die Migrantinnen und Migranten. Einverstanden?
Isabel Vasquez: Ja. Migranten machen landesweit 40 Prozent der Gläubigen aus. In manchen Pfarreien ist der Anteil markant höher. Sie sind auch aktiver: Wenn man eine Aktivität anbietet, nehmen ein Drittel Schweizer teil, zwei Drittel Migranten. 

Der Gottesdienst für die deutschsprachigen Gläubigen ist am Sonntagmorgen fast leer, in derselben Kirche sitzen ein paar Stunden später, wenn zum Beispiel die portugiesischsprachigen Katholiken zusammenkommen, ein paar Hundert Leute.
Ja, und es ist laut und fröhlich!

Was kann man sich abschauen von den Missionen, also den muttersprachlichen Gemeinden?
Vielleicht den Gottesdienst später ansetzen? In unserer Leistungsgesellschaft wollen sich viele am Sonntag erst mal erholen. Die moderne Generation wird nicht mehr erzogen mit dem Druck, die Kirche zu besuchen. 

Integrative Kirchenfrau

Isabel Vasquez (51) ist seit einem Jahr Nationaldirektorin von Migratio, der Dienststelle von der Schweizer Bischofskonferenz für Migration. Sie wuchs in Guatemala auf, migrierte dann mit ihren Eltern und fünf Schwestern nach Spanien, wo ihre Vorfahren herstammen. Vasquez ist Pädagogin, Psychologin und hat langjährige Erfahrung in der interkulturellen und interpastoralen Arbeit in der Kirche. Aktuell arbeitet sie an ihrem Masterabschluss in Spiritueller Theologie. Sie ist mit einem Österreicher verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt seit rund 20 Jahren in Zürich.

Isabel Vasquez leitet den Fachbereich Migration in der katholischen Kirche.
Thomas Meier

Isabel Vasquez (51) ist seit einem Jahr Nationaldirektorin von Migratio, der Dienststelle von der Schweizer Bischofskonferenz für Migration. Sie wuchs in Guatemala auf, migrierte dann mit ihren Eltern und fünf Schwestern nach Spanien, wo ihre Vorfahren herstammen. Vasquez ist Pädagogin, Psychologin und hat langjährige Erfahrung in der interkulturellen und interpastoralen Arbeit in der Kirche. Aktuell arbeitet sie an ihrem Masterabschluss in Spiritueller Theologie. Sie ist mit einem Österreicher verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt seit rund 20 Jahren in Zürich.

Viele Menschen fühlen sich schlicht vom kirchlichen Angebot nicht angesprochen.
Man sollte den Mut haben, etwas Neues zu probieren. Mehr Lebendigkeit und Offenheit, mehr Mitwirkungsmöglichkeit: Das könnte Türen öffnen. 

Viele treten aus der katholischen Kirche aus, weil sie genug haben von den ewigen Skandalen. Warum tun dies Migrantinnen und Migranten weniger?
Für sie ist der Glaube zentral, nicht das kirchliche Personal. Für viele Migranten ist Kirche der Ort, wo sie sich begegnen, ihre Muttersprache sprechen, ihre Kultur ein bisschen leben können. Das ist anders als bei Schweizern in gewohnter Umgebung. Für sie ist Kirche nur Kirche. Für Migranten ist sie viel mehr.

Ein Stück Heimat?
Spiritualität ist eine Ressource im Migrationskontext. Migranten haben vielleicht alles verloren, aber der Glaube bleibt ihnen noch. Religion gibt ihnen Kraft. 

Wo finden Sie persönlich Kraft und Halt?
Um meine Traditionen zu erleben, gehe ich in die spanische oder französische Mission. Doch ich fühle mich auch in Gottesdiensten auf Deutsch wohl, da ich die Sprache und Kultur mittlerweile verstehe. Manchmal tut mir diese Ruhe gut. Kraft schöpfe ich auch in der Natur. 

Wie erlebten Sie Religion als Kind in Guatemala?
Mein Vater war sehr katholisch, sehr gläubig. Wir waren jeden Sonntag in der Kirche, im schönsten Kleid. Er hat mir beigebracht, dass man auch zum Dankesagen in die Kirche gehen soll, nicht nur zum Beten und zum Gottesdienst.

Wie soll man sich einen katholischen Gottesdienst in Guatemala vorstellen?
Rituale verschiedener Kulturen mischen sich: katholische Riten mit solchen aus der indigenen Maya-Kultur. In der Karwoche gibt es Prozessionen und Teppiche aus Blumen und so. Diese Farbe in Verbindung mit Religion, das bewegt mich sehr. 

Hatten Sie einen kleinen Schock, als Sie das erste Mal in der Schweiz einen Gottesdienst besuchten?
Tatsächlich waren mir Gottesdienste ausserhalb des spanischsprachigen Raums zu Beginn sehr fremd. Ich erinnere mich an meine ersten Weihnachten in Österreich mit der Familie meines Mannes. Die Lieder klangen für mich wie an einem Begräbnis. Diese Orgel, diese Seriosität. Ich habe erst später anhand der Texte realisiert, dass die Lieder eigentlich von Freude sprechen. In Guatemala wie auch in Spanien sind die Lieder lustiger, lebendiger. Diese Lebendigkeit habe ich vermisst. 

Isabel Vasquez beim Eingang der Altstadt von Freiburg, beim Sitz der Schweizer Bischofskonferenz.
Foto: Thomas Meier

Unter welchen Umständen haben Sie damals Guatemala verlassen?
Bis ich etwa zehn Jahre alt war, erlebte ich eine unbeschwerte Kindheit. Doch dann flammte der Bürgerkrieg wieder auf. Ich würde nicht sagen, dass ich traumatisiert bin, aber die Gefühle der Angst und Verzweiflung aus jener Zeit sind immer noch präsent: Wenn man Schüsse hört, der Strom plötzlich weg ist, Hubschrauber am Himmel kreisen. Daher kann ich die Gefühle der Menschen, die unter ähnlichen Umständen migrieren, gut nachfühlen. 

Wie war die Situation für Ihre Familie?
Als Familie spanischer Herkunft fühlten wir uns zunehmend unsicher. Besonders schlimm war es für uns, als die spanische Botschaft brannte; es gab viele Tote. Mein Vater hatte ein paar Geschäfte und wurde unter Druck gesetzt, sich auf die eine oder andere Seite zu stellen. Er entschied, dass es zu unsicher ist, im Land zu bleiben. 

Ihre ganze Familie verliess das Land?
Ja, in Etappen. Ich war damals in der Sekundarschule. In Madrid hatte ich keinen leichten Start. Erneut war ich die mit der komischen Aussprache. In Guatemala hatten wir Hausangestellte, die kochten, putzten, uns Kinder betreuten. In Spanien hütete ich später selbst Kinder, um mein Psychologiestudium zu finanzieren, weil mein Vater mich nur unterstützt hätte, wenn ich Ärztin geworden wäre.

Das Migrationsthema zieht sich in Ihrer Geschichte weiter.
Ich plante, im Ausland Deutsch zu lernen, um bessere berufliche Perspektiven zu haben. Aber leben wollte ich in Spanien. Noch in Madrid lernte ich meinen späteren Mann kennen. Zusammen gingen wir nach München, wo ich Deutsch lernte. Nach einem Jahr heirateten wir. Unsere Töchter wuchsen die ersten Jahre in München auf, dann erhielt mein Mann ein Jobangebot der UBS, seither leben wir in der Schweiz – fast 20 Jahre. 

Kannten Sie die Schweiz schon?
Nein, nur Schlagworte: Alpen, Schokolade und Heidi. Das Land ist tatsächlich wie ein Märchen. Ich mache viele Landschaftsfotos, um zu beweisen: Es ist wirklich so schön. Dass meine Kinder in dieser Sicherheit und Gesellschaft aufwachsen durften, ist ein Geschenk. 

Wie blicken Sie als Migrantin auf die Schweiz?
Es ist eine gewisse Offenheit gegenüber Migranten da; es gibt Strukturen, die helfen, dass man sich im Kontext der Migration entwickeln kann. Schade finde ich, dass es kein Wahlrecht für Migranten gibt. In München konnte ich als Ausländerin zum Beispiel den Bürgermeister wählen. Es gibt sehr viele Menschen in der Schweiz, die aktiv an der Gesellschaft teilhaben, aber ohne Schweizer Pass nicht stimmen und wählen können. Da geht etwas verloren. 

Ist die Kirche Ihrer Ansicht nach genügend präsent in der Flüchtlings- und Migrationsthematik?
Tatsächlich wissen viele nicht, was die Kirche und die Missionen in der Schweiz für Migranten leisten. Wir dürften selbstbewusster zeigen: Es gibt nicht nur diese Kirche der Skandale. Es gibt auch eine Kirche, die solidarisch da ist für Migranten und Flüchtlinge, die eine Beheimatung anbieten möchte. 

Tamilische Katholiken in der Klosterkirche Einsiedeln.
Foto: Tamilenmission

Was konnten Sie in Ihrem ersten Jahr als Nationaldirektorin von Migratio bewegen?
Zuerst musste ich Ordnung in das Chaos bringen. Die Strukturen in meinem Arbeitsbereich sind teils sehr veraltet. Hier setze ich an, damit es Personen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft problemlos möglich ist, ihren Glauben zu leben. Es ist auch den Bischöfen ein grosses Anliegen, dass es funktioniert. Im Asylbereich bewegen wir bereits mehr und haben neue Angebote. 

Sie arbeiten auch darauf hin, dass die Gottesdienste der verschiedenen Sprachgemeinschaften nicht immer getrennt stattfinden.
Wir möchten vermehrt interkulturelle Gottesdienste anbieten. Zum Beispiel in einer Kirche einmal im Monat in den gewohnten liturgischen Ablauf Elemente einer anderen Kultur integrieren. Katholische Tamilen, beispielsweise, singen und tanzen im Gottesdienst. Wir möchten, dass die Gottesdienste partizipativer gestaltet werden. 

Was bringt das?
Ich bin überzeugt, dass Religion ein Medium für Integration sein kann. Ich höre von vielen Leuten in Pfarreien, dass sie sich wünschen, mehr zu machen mit den Missionen, also den anderssprachlichen Gemeinden. Bis jetzt gelingt es nicht richtig, die Brücke zu bauen: Die Angst steht in der Mitte. 

Angst wovor?
Nicht akzeptiert zu werden, etwas zu verlieren. Dabei kann man nur gewinnen. Die Bereicherung ist unglaublich gross, wenn man sich interkulturell begegnet. Ich sehe es bei mir selbst. 

Papst Franziskus zeigt sich offen für Reformen in der katholischen Kirche, gleichzeitig bewegt sich kaum etwas. Wie erleben Sie ihn?
Ich nehme ihn als eine sehr warme Person wahr und als Papst, der eine Reform anstrebt, die nicht nur für die Strukturen und die Kirche da ist, sondern den Menschen dient. 

Isabel Vasquez im grossen Sitzungszimmer am Sitz der Schweizer Bischofskonferenz.
Foto: Thomas Meier

Wäre das die Rettung der katholischen Kirche?
Für mich als Gläubige ist Rettung Gott, daher möchte ich lieber sagen: Es würde uns helfen, einen Schritt nach vorne zu gehen. Die Kirche will sich erneuern. Wir stehen am Anfang eines Prozesses, der Zeit braucht.

Sie sind die erste Frau in diesem Amt. Die ehemalige Expertin für Gewaltprävention im Bistum Chur, Karin Iten, sagte anlässlich ihres Rücktritts, die katholische Kirche sehe Frauen noch immer als Menschen zweiter Klasse.
Ich schätze Frau Iten sehr. Mir tut es leid, dass sie das denkt, und bestimmt hat sie ihre Gründe. Ich weiss, dass es Kontexte gibt, in welchen diese Tendenz da ist. Aber ich erlebe das nicht so, im Gegenteil: Ich erlebe Wertschätzung, Freude, dass ich da bin. Die Bischöfe haben bewusst eine Frau gewählt. Als Frau in einer Leitungsposition kann ich Türen öffnen. Ein Ziel von mir ist es, mehr Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in Positionen mit Entscheidungsmacht zu bringen. 

Ein Kirchenkenner bezeichnete Sie als Powerfrau in der katholischen Kirche.
Danke dafür! Ja, ich habe viel Power und Freude, nicht nur für die Kirche. Mein Rezept: Nichts persönlich nehmen, lieber die Power in die Sachen investieren, die ich angehen möchte. Solange Gott mich unterstützt, ist alles möglich.

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