Mord in der Schweizergarde
Diese Anwältin legt sich mit dem Vatikan an

Vor 25 Jahren: Ein frustrierter Schweizergardist erschiesst seinen Chef, dessen Frau und sich selbst. Nun will Laura Sgrò den Fall neu aufrollen. Sie kritisiert «oberflächliche Ermittlungen» des Kirchenstaats.
Publiziert: 30.04.2023 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2023 um 10:57 Uhr
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Für Anwältin Laura Sgrò sind im Mordfall im Vatikan vom 4. Mai 1998 auch heute noch viele Fragen offen.
Foto: Agenzia Romano Siciliani

Viola Amherd (60) plant für Samstag nächster Woche einen grossen Auftritt im Vatikan. Sie verdankt ihn Charles III. Der nämlich soll zur gleichen Zeit in London gekrönt werden, weshalb Bundespräsident Alain Berset (51) nicht zur Vereidigung von Schweizergardisten nach Rom reisen kann – und die Verteidigungsministerin einspringen muss.

In ihrer Eigenschaft als Vizebundespräsidentin besucht Amherd also am 6. Mai die Männerbastion des Kirchenstaats, wo an diesem Tag die neuen Gardisten Papst Franziskus ewige Treue schwören – sowie die Bereitschaft, notfalls ihr Leben für den argentinischen Kirchenfürsten hinzugeben.

Dies wiederum ruft die italienische Anwältin Laura Sgrò (48) auf den Plan. Sie ist der Meinung, dass die Schweizer Politik Druck auf den Vatikan ausüben sollte. Dabei geht es der Juristin um einen Mordfall innerhalb der Schweizergarde, der sich zwar vor 25 Jahren abgespielt hat, den sie aber dringend wieder aufrollen möchte: «Es kamen drei Schweizer auf unklare Weise ums Leben.» Für den Vatikan hingegen ist die Sache seit einem Vierteljahrhundert klar: Am 4. Mai 1998 ermordete Cédric Tornay (23), Vizekorporal der Schweizergarde, seinen Kommandanten Alois Estermann (†43) sowie dessen aus Venezuela stammende Frau Gladys (†48). Anschliessend nahm sich Tornay selbst das Leben.

Bis heute ist auch die Schweizergarde davon überzeugt: Cédric Tornay rächte sich an seinem Dienstvorgesetzten und dessen Frau, weil der ihm die Verdienstmedaille «Benemerenti» verweigert hatte: Der Schweizer hatte gekifft, war zu spät zum Dienst erschienen und hatte sich im Ton vergriffen. Das passte nicht zum Bild eines pflichtbewussten Gardisten. Dann waren bei ihm sämtliche Sicherungen durchgebrannt. Trotz dieser offiziellen Variante kursieren seitdem zahllose Gerüchte und Verschwörungstheorien: War Kommandant Estermann ein DDR-Agent? Hatte er eine Affäre mit dem jungen Cédric? Läuft der eigentliche Mörder noch frei herum?

Akten werfen Fragen auf

Anwältin Sgrò vertritt Tornays Mutter und ist überzeugt: Die Ermittlungen seien damals viel zu oberflächlich verlaufen. Die Schuld des Schweizergardisten könne nicht nachgewiesen werden, er solle rehabilitiert werden. Unter schwierigen Bedingungen erhielt sie schliesslich Akteneinsicht.

Die Akten werfen Fragen auf, wie Sgrò in ihrem Buch «Sangue in Vaticano» (Blut im Vatikan) schreibt. Zum Beispiel: Warum wurde erst ein italienischer Krankenwagen gerufen, der aber vor den Vatikanmauern wieder kehrtmachte? Oder die Spurensicherung: «Der Tatort war kontaminiert. Mehr als 20 Personen hatten ihn betreten. Es gab kein professionelles forensisches Team, niemand trug eine Maske.» Die Beweisbilder habe ein Fotograf der Vatikan-Zeitung «Osservatore Romano» geschossen – wie die Juristin bemängelt, genügten sie den kriminalistischen Standards nicht.

Laura Sgrò wundert sich auch, weshalb der Vatikan keine italienischen Ermittler mit den Ermittlungen betraute: «Beim vereitelten Attentat auf den Papst 1981 hat der Vatikan Italien um Amtshilfe gebeten. Warum nicht bei drei Toten?» Auch wenn sie Tornays Unschuld nicht beweisen kann, geht sie von Vertuschung aus: «Der Fall muss neu aufgerollt werden.»

Weitere mysteriöse Fälle offen

Es ist nicht der einzige spektakuläre Fall, wegen dem Sgrò mit dem Vatikan im Streit liegt. Ein anderer betrifft das plötzliche Verschwinden des Mädchens Emanuela Orlandi vor 40 Jahren, aus dem Netflix die True-Crime-Serie «Vatican Girl» gemacht hat. Und Laura Sgrò interessiert sich nun einmal für spektakuläre Fälle – sowie für das veraltete Vatikan-Justizsystem, das die temperamentvolle Sizilianerin immer wieder neu herausfordert.

Emanuela war die Tochter eines Vatikan-Angestellten und lebte in den päpstlichen Mauern. Am 22. Juni 1983 kehrte die 15-Jährige nach dem Musikunterricht nicht nach Hause zurück. Seitdem fehlen von ihr sämtliche Lebenszeichen. Ihre Leiche wurde nie gefunden. Dafür gab es umso mehr Verschwörungstheorien – von einer Beteiligung der Mafia bis hin zu Sexpartys im Vatikan.

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