Hirncoach Barbara Studer (39) erklärt, wie es gelingt, Neujahrsvorsätze umzusetzen
«Visionen sind besser als Regeln»

Gute Vorsätze für das neue Jahr sind gar keine so schlechte Idee: Neuropsychologin Barbara Studer (39) weiss, wie es gelingt, diese umzusetzen. Im Interview gibt sie Tipps für die Gehirnfitness und den Umgang mit negativen Emotionen.
Foto: Linda Käsbohrer
Hirncoach Barbara Studer über Neujahrsvorsätze und Fitness fürs Gehirn
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft
Publiziert: 30.12.2023 um 16:16 Uhr
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Aktualisiert: 30.12.2023 um 17:22 Uhr

Gute Vorsätze fürs neue Jahr: Bringt das was?
Barbara Studer:
Ja, Etappenwechsel helfen uns, um Neues anzugehen. Das kann Neujahr sein, aber auch ein Geburtstag oder Monatsbeginn. Es gehört zu unserer menschlichen Natur, dass wir uns weiterentwickeln wollen. Wichtig ist, sich spezifische und realistische Ziele zu setzen, zu denen man eine persönliche Verbindung hat, und dazu einen konkreten Umsetzungsplan zu erstellen, wie man das Ziel erreichen will.

Ich scheitere bereits, wenn ich mir vornehme, am Montag viel Gemüse und keine Kohlenhydrate zu essen. Dann denke ich nur noch ans Essen.
Aus dem Müssen heraus entsteht oft Widerstand. Besser, man fokussiert sich darauf, was man damit erreichen möchte. Also, was ist mein Gewinn, wenn ich leichter esse? Wie möchte ich mich fühlen? Das kann kurzfristig sein. Aber auf diese Weise kann man sich auch langfristige Ziele setzen. Etwa, dass man gesund altern möchte, um später für die Enkel da sein zu können. Eine Vision treibt einen viel besser an als eine Regel.

Barbara Studer befasst sich als Neuropsychologin mit den Zusammenhängen zwischen dem Gehirn und dem Erleben, Denken, Verhalten.
Foto: Linda Käsbohrer

Positives Denken boomt, oft mit dem Versprechen von selbsternannten Coaches dahinter, dass sich alle Wünsche und Ziele manifestieren lassen. Funktioniert das?
Die Kraft der Gedanken ist unumstritten. Sie haben einen direkten Einfluss auf unser Erleben und die Emotionen. Dass wir deswegen nur noch positiv denken müssen, ist aber ein falscher Schluss. Eine rigide Positivität ist toxisch, macht krank. Denn wir sind keine Maschinen. Als Menschen mit unserem emotionalen Resonanzkörper nehmen wir Schwingungen in alle Richtungen auf. Das ist gesund und stärkt das Wohlergehen. Somit ist es förderlich, negative Emotionen nicht zu unterdrücken, sondern einen Zugang zu all seinen Gefühlen zu haben und neugierig darauf zu sein. Sie alle haben uns etwas zu sagen.

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«Emotionen sind stärker als Gedanken.»
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Wie geht man mit negativen Emotionen um?
Wichtig ist, ihnen nicht zu viel Raum im Kopf zu geben. Und nicht zu viel über Dinge nachzudenken, auf die wir keinen Einfluss haben. Denn das kann einen herunterziehen, schwächen oder gar krank machen. Stattdessen kann man sich überlegen, was man in der Situation ändern kann oder wie man sich oder andere unterstützen kann. Dies führt zum Erleben von Selbstwirksamkeit, und das stärkt uns.

«Das Hirn braucht Bewegung»
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Neuropsychologin gibt Tipps:«Das Hirn braucht Bewegung»

Aber oft kommt man nicht so leicht aus einer negativen Gedankenspirale raus. Kann man das steuern?
Ja, durchaus. Das Menschenhirn gilt ja nicht wegen der Grösse als das Beste von allen Lebewesen, sondern weil der Frontalkortex so viel Raum einnimmt. Von der Stirn bis zu den Ohren sind das etwa 30 Prozent unserer Hirnmasse, das ist einzigartig. Damit können wir Einfluss nehmen, regulieren und Dinge antizipieren. Wenn negative Gedanken kommen, müssen wir nicht einfach reagieren, also erstarren, fliehen oder kämpfen, sondern können entscheiden, wie wir handeln. Wir können so bewusst auf Emotionen antworten.

Barbara Studer: Die Hirnforscherin

Die Neurowissenschaftlerin Barbara Studer (39) wohnt mit ihrem Mann und drei Kindern in Lenzburg AG. Sie hat an Universitäten in Freiburg, Taipei und Bern studiert und ist in der Forschung und Lehre tätig. Studer ist Co-Gründerin und CEO des Unternehmens Hirncoach.ch, mit dem sie wirksame und wohltuende Programme für die mentale Fitness und Gesundheit zu den Menschen bringt. Zudem arbeitet sie als Referentin. Barbara Studer findet ihren Ausgleich in der Musik und im Lauftraining.

Die Neurowissenschaftlerin Barbara Studer (39) wohnt mit ihrem Mann und drei Kindern in Lenzburg AG. Sie hat an Universitäten in Freiburg, Taipei und Bern studiert und ist in der Forschung und Lehre tätig. Studer ist Co-Gründerin und CEO des Unternehmens Hirncoach.ch, mit dem sie wirksame und wohltuende Programme für die mentale Fitness und Gesundheit zu den Menschen bringt. Zudem arbeitet sie als Referentin. Barbara Studer findet ihren Ausgleich in der Musik und im Lauftraining.

Und wenn das nicht gelingt?
Emotionen sind stärker als Gedanken. Man kann probieren, den Fokus auf schöne Erinnerungen zu lenken; ich nenne das mentale Schatzsuche. Zum Beispiel nach einer Trennung kann man sich auf das Schöne konzentrieren, das man gemeinsam erlebt hat. Die Trauer darf trotzdem da sein, zugleich ist die Dankbarkeit der Schlüssel zum Loslassen.

Aber was, wenn ich wütende Rachegefühle habe?
Mit Rachegefühlen schwächen wir vor allem uns selbst. Hass, Groll und Unvergebenes können das Gehirn buchstäblich schädigen. Vergeben ist manchmal nicht so einfach, aber es befreit. Und statt sich ständig um die eigenen dunklen Gedanken zu drehen, kann man für andere was tun. Geben macht glücklich. Was man in der Kirche predigt, weiss man inzwischen auch aus der Resilienzforschung. Was auch hilft, ist körperliche Aktivierung. Eine kalte Dusche etwa bringt einen sofort in die Gegenwart zurück und auf frische Gedanken. Ich mache das jeden Morgen (lacht).

Achtsame Wahrnehmung fördert die Ausschüttung von Glückshormonen.
Foto: Getty Images

Gibt es auch eine Variante für Warmduscher?
Man kann Yoga oder Kraftübungen machen oder im Wald spazieren gehen. Wichtig ist dabei die achtsame Wahrnehmung, den Boden unter den Füssen zu spüren, das Licht und die frische Luft draussen wahrzunehmen. Das regt die natürliche Ausschüttung von Serotonin, Dopamin und Endorphinen in unserem Kopf an. Durch diese sogenannten Glückshormone hebt sich die Stimmung.

Achtsamkeit stammt aus alten Lehren und Traditionen, kommt man dem jetzt wissenschaftlich auf die Spur?
Ja, durchaus. Aus Studien wissen wir etwa um die Kraft von Gebet und Gottvertrauen auf die Gesundheit. Die bewusste Atmung ist ein anderes gutes Beispiel. Wenn wir schnell atmen, wird der ängstliche Teil unseres Nervensystems, der Sympathikus, aktiviert. Mit einer ruhigen Atmung kann man das bewusst ändern, der Fokus legt sich auf das parasympathische System. Besonders hilfreich ist langes Ausatmen. Damit senden wir die Botschaft an das Hirn, dass wir in Sicherheit sind. Dies reduziert die Aktivierung in der Amygdala, unserem Angstkern im Kopf. Wir fühlen uns ruhiger und entspannt.

Barbara Studer bietet Training fürs Gehirn an.
Foto: Linda Käsbohrer

Sie bieten mit Hirncoach, einem Spin-off der Uni Bern, Hirntrainings an. Ehrlich gesagt werde ich schon müde, wenn ich das Wort Gedächtnistraining nur höre.
Wahrscheinlich, weil Sie ohnehin viel am Computer sitzen und lieber abschalten wollen. Die Übungen sind wohltuend, und man kann sie gut im Alltag einbauen. Wichtig ist, dass man das macht, was einem Freude bereitet und einen herausfordert. Denn das Hirn liebt und braucht es, zu arbeiten und Neues zu lernen. Und zwar in jedem Alter, wenn man da mit Neugier und Lust dahintergeht.

Können Sie Beispiele für solche Übungen geben?
Eine Tanzchoreografie einüben. Gedächtnisstrategien üben und einsetzen, zum Beispiel, um sich Namen besser merken zu können. Das Jonglieren erlernen. Jeden Tag ein neues Wort einer anderen Sprache lernen, ein Instrument spielen oder singen, kreative Denkübungen machen, die innere Kritikerstimme mit positivem Selbstgespräch ersetzen.

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«Muskelkraft ist wichtig für das Gehirn.»
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Wieso ist es wichtig, das Hirn zu trainieren, wenn es doch kein Muskel ist?
Das Gehirn ist veränderbar, und das in jedem Alter. Es verändert sich in Abhängigkeit von unseren Aktivitäten und unserem Lebensstil. Bei Inaktivität baut es ab; wenn wir es stimulieren, baut es auf. Interessant ist, dass auch die Muskelkraft durchaus wichtig ist für das Gehirn, das zeigen neuere Studien. Man hat Ratten bei Versuchen Gewichte angehängt oder zu mehr Bewegung angeregt. Das führt zu mehr Neurogenese, darunter versteht man die Geburt von neuen Nervenzellen im Hirn. Das ist Demenzprävention. Bewegung wirkt sich zudem positiv auf die Stimmung aus, führt zur Ausschüttung von Glückshormonen. Die Ratten, die sich mehr bewegt haben, hatten weniger Kämpfe.

Immer mehr Menschen leiden an emotionaler Erschöpfung. Hat das mit dem Mangel an Bewegung zu tun?
Das ist meiner Meinung nach einer der treibenden Faktoren. Wir wissen heute viel über mentale Gesundheit, aber es wird noch zu wenig umgesetzt. Mit gesunder Ernährung und mehr Bewegung im Tageslicht kann man viel bewirken. Dadurch, dass wir mehr daheim arbeiten und medial erledigen können, gibt es weniger direkte Begegnungen. Das führt zu sozialer Zurückgezogenheit. Einsamkeit ist schädlicher als Rauchen und verkürzt unsere Lebenszeit. Zugleich stopft man jede Lücke und Ritze mit medialer Stimulation. Das erschöpft – mental und emotional.

Bewusstes Nichtstun ist gut fürs Gehirn.
Foto: Getty Images

Warum ist Nichtstun so schwierig?
Unser Hirn liebt Stimulation, und in unserer modernen Zeit haben wir es darauf trainiert. Bei einer Studie war die Aufgabe der Teilnehmenden, einfach nichts tun. Aber sie hatten die Möglichkeit, sich selber leichte elektrische Schläge zu verabreichen. Tatsächlich haben es viele gemacht, weil sie die Leere nicht ausgehalten haben. Man kann aber auch das Gegenteil trainieren. Ich mache das im Alltag. Wenn ich im Zug bin, stelle ich den Wecker auf zehn Minuten. Dann schaue ich einfach aus dem Fenster und tue nichts. Diese Zeit schenke ich meinem Hirn, weil ich weiss, wie wertvoll das ist.

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«Die Wunder im Kopf passieren im Schlaf.»
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Muss sich das Hirn ausruhen und wie geht das?
Es ist wie beim Körpertraining. Man braucht Anspannung und Regenerationsphase, das weiss jeder Sportler. Der Muskelaufbau geschieht in der Ruhephase. Beim Gehirn ist es genauso. Wunder im Kopf passieren im Schlaf oder wenn wir spazieren gehen – ohne Podcast im Ohr. Dann werden Gedächtnisspuren gebildet, es wird vernetzt, organisiert, konsolidiert, also gefestigt. Die Abwechslung zwischen Informationen aufnehmen und sie verarbeiten ist essenziell. Das bedeutet nicht, dass man rumliegen muss. Bewegung hilft, um die Gedanken reisen zu lassen und kreative neue Ideen zu haben.

Ich schlafe mit dem Handy ein und wache damit auf, besonders gesund ist das vermutlich nicht?
Da sind Sie nicht die Einzige. Aber eine gute Idee ist das nicht, schon wegen des Blaulichts. Dadurch wird weniger Melatonin produziert, man schläft schlechter ein, und es verkürzt die Tiefschlafphasen. Und dadurch, dass man Informationen aufnimmt, werden neurologische Prozesse angeregt, und das Denken wird aktiviert. Das Beste, was man fürs Hirn vor dem Schlaf machen kann, ist, mental und körperlich zur Ruhe zu kommen und mit Gedanken der Dankbarkeit einzuschlafen.

Was soll man morgens als Erstes tun?
Beim Aufwachen ist unser Energielevel ganz oben. Der Frontalkortex, den wir tagsüber stark nutzen und strapazieren, ist wieder erholt, und man ist aufnahmefähig. Es lohnt sich, das zu nutzen. Wer jetzt aufs Handy schaut und über Kriege und Krisen liest, beeinflusst das Denken und die Emotionen damit. Man fühlt sich schlechter und hat weniger Energie. Zudem ist unsere Empathie nicht grenzenlos, darum stumpft zu viel Bad News ab.

Stattdessen?
Lauscht man lieber nach innen. Also, was möchte ich heute erleben und bewirken? Wichtig ist auch Bewegung, Licht und frische Luft. Viele schwören auf die frühen Morgenstunden zum Arbeiten, da gehöre ich auch dazu. Und schon aufs Frühstück kommt es an.

Was tut dem Hirn gut?
Früchte, Eier, Nüsse, ein Müesli.

Haben Sie auch gute Vorsätze fürs neue Jahr?
Ich habe einen klaren Plan, nämlich jeden Tag mindestens einmal zu tanzen. Das ist die perfekte Kombination fürs Gehirn: Man bewegt und berührt sich, hat Musik und Rhythmus, soziale Interaktion, und es wird gelacht dabei. Musizieren ist auch wunderbar fürs Gehirn, weil alle Areale zugleich aktiviert werden.

Warum können gewisse Menschen Vorsätze besser umsetzen als andere?
Das hat einerseits mit persönlichen Visionen und guten Strategien zu tun und andererseits mit der Persönlichkeit. So gibt es auch neurologische Unterschiede, das kann man zum Beispiel in Bezug auf die Aktivitäten des Frontalkortexes sehen. Aber ich würde das nicht werten, es ist einfach anders. Die einen sind besser darin, ihre Ziele zu verfolgen. Andere können dafür besser spontan handeln und entscheiden. Wir haben unterschiedliche Gehirne, man spricht von Neurodiversität. Wichtig ist es, sich selber kennenzulernen und seine Stärken zu nutzen, statt sich selber zu kritisieren.

Wie sind Sie zur Neuropsychologie gekommen?
Mich hat schon als Kind beschäftigt, was in uns vorgeht. Also warum Menschen auf die gleiche Situation so unterschiedlich reagieren. Mein Vater litt unter Depressionen, das war mit ein Auslöser für mein Anliegen. Im Psychologiestudium lernt man viel über das Therapeutische, und das ist sehr gut und wichtig, aber es hat Grenzen. Ich wollte mehr über die inneren Mechanismen erfahren. Unser Hirn ist ein geniales Wunderwerk, und vieles davon ist noch unerforscht – ich liebe es.


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