Wie bildet sich unser Geschmackssinn heraus?
Der Geruchs- und Geschmackssinn des Menschen bilde sich bereits vor der Geburt, sagt Kathrin Ohla (45), Geschmacksforscherin und Psychologin aus Deutschland. «Ein ungeborenes Kind kann bereits Geschmäcker und Aromen über das Fruchtwasser der Mutter wahrnehmen.» Esse diese während der Schwangerschaft vielfältig, werde wahrscheinlich auch das Kind gerne vielfältig essen. Auch über die Muttermilch kann das neugeborene Kind verschiedene Geschmäcker wahrnehmen – abhängig davon, welche Speisen die Mutter esse. «Schwangerschaft und Stillzeit sind daher die ideale Zeit, um das Baby an den Geschmack von gesunden Lebensmitteln zu gewöhnen», sagt Ohla.
Warum mögen Kinder oft kein Gemüse?
Der Mensch hat eine angeborene Abneigung gegen Bitterstoffe. Forscherin Ohla sagt dazu: «In der Natur sind giftige Pflanzen fast immer bitter. Das dient als Warnung und schützt uns vor einer möglichen Vergiftung.» Viele Gemüsesorten schmecken ebenfalls bitter, obwohl sie nicht giftig sind – etwa Broccoli, Rosenkohl oder Spinat. «Dass Kinder diese Gemüsesorten zunächst nicht mögen, ist normal», sagt Ohla. Sie würden sich aber überraschend einfach daran gewöhnen, wie diverse Studien gezeigt hätten. «Wenn ein Kind nur sieben Tage lang Spinat isst, selbst in kleinen Mengen, kann sich bereits eine Gewöhnung daran einstellen.»
Wie verändert sich der Geschmackssinn im Lauf des Lebens?
Auch bei Erwachsenen lasse sich dieser Gewöhnungseffekt feststellen, sagt Ohla. «Die Studienlage dazu ist aber dünn.» Fest steht laut der Expertin, dass es mit zunehmendem Alter eine grössere Motivation braucht, um das eigene Essverhalten nachhaltig anzupassen und sich an neue Speisen zu gewöhnen. Der Grund liege in den bereits festgefahrenen Gewohnheiten im Alltag, die sich nicht mehr so leicht durchbrechen liessen. «Um sich an neue Speisen zu gewöhnen, die man bis anhin nicht mochte, braucht es meist eine markante Veränderung im eigenen Leben.» Ein neuer Partner oder eine neue Partnerin zum Beispiel. Oder ein sich stark verändertes Gesundheitsbewusstsein.
Kathrin Ohla (45) ist promovierte Psychologin und forscht seit mehreren Jahren zum Zusammenhang von Psyche, Geschmackssinn und Ernährung. Sie lehrt als Privatdozentin an der Universität Münster (D) und ist ausserordentliche Professorin für Ernährungswissenschaften an der Pennsylvania State University in den USA.
Kathrin Ohla (45) ist promovierte Psychologin und forscht seit mehreren Jahren zum Zusammenhang von Psyche, Geschmackssinn und Ernährung. Sie lehrt als Privatdozentin an der Universität Münster (D) und ist ausserordentliche Professorin für Ernährungswissenschaften an der Pennsylvania State University in den USA.
Kann man sich an jedes Essen gewöhnen?
Es sei nie zu spät, etwas zu probieren oder sich an etwas zu gewöhnen, sagt Ohla. «Es gibt keine starren Geschmacksvorlieben.» Der Genuss am Essen sei eine Mischung von Geruch, Geschmack, Textur und den Assoziationen zur Speise. Austern, Schnecken oder Meeresfrüchte seien für viele Menschen geschmacklich nicht schlecht. «Aber die Konsistenz und die Vorstellung, was man da isst, schreckt sie ab», sagt Ohla. Und Menschen, die als Kind gezwungen wurden, Broccoli oder Spinat zu essen, erinnern sich als Erwachsene vielleicht immer noch an diesen Zwang. Wem es gelinge, das Essen von solchen negativen Assoziationen zu lösen, könne sich an fast jede Speise gewöhnen. Eine Faustregel besagt: Sobald man eine Speise zehn bis 15 Mal probiert hat, schmeckt sie einem auch eher. Ohla: «Routine ist besonders wichtig.»
Welche Rolle spielt die Genetik für den Geschmackssinn?
In den meisten Fällen spielen Gene laut Ohla nur eine geringe Rolle. Es gibt aber Ausnahmen: «Bei Spargeln und Koriander gibt es genetisch bedingt unterschiedliche Geruchsrezeptoren.» Für einige Menschen hat Koriander ein stark seifiges Aroma. Und einige Menschen assoziieren Spargel mit Urin, da sie den Geruch des Gemüses, nachdem sie es gegessen haben, im eigenen Urin riechen. «In diesen wenigen Fällen bringt jede Angewöhnung nichts.»