Geflügelexpertin Nadja Brodmann
«Beim Brüten wird das Huhn zur Kämpferin»

In der Eierproduktion ist der Bruttrieb unerwünscht – doch manchmal setzt er sich durch. Wie bei Henne Hildi. Was dann passiert, weiss die Geflügelexpertin und Zoologin Nadja Brodmann vom Zürcher Tierschutz.
Publiziert: 19.04.2025 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2025 um 09:47 Uhr
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Nadja Brodmann ist Geflügelexpertin, im Bild mit einem Truthahn.
Foto: Zvg

Darum gehts

  • Legehennen brüten selten, da der Bruttrieb reduziert wurde für maximale Eiproduktion
  • Brütende Hennen verteidigen Eier vehement und entwickeln intensive Verbindung zum Nachwuchs
  • Auf mehrere Tausend Legehennen kommt höchstens einmal pro Jahr Brüten vor
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Sie legen fast täglich Eier, brüten aber kaum noch. Geflügel-Expertin Nadja Brodmann erklärt, wie den Legehennen der Bruttrieb über Jahrzehnte systematisch weggezüchtet wurde. Setzt sich der Bruttrieb dennoch durch, verwandeln sie sich zu entschlossenen Müttern. Wie die Henne Hildi. Die Legehenne ist ausgebüxt und hat ihre Eier ausgebrütet.

Warum brüten Legehennen heute kaum noch?
Nadja Brodmann: Hochleistungshennen sind auf maximale Eiproduktion getrimmt. Der Bruttrieb stört im System, deshalb wurde er über Generationen reduziert. Doch wenn er sich zeigt, ist er erstaunlich stark: Die Henne sitzt auf dem Nest, frisst kaum, verteidigt ihre Eier – sie lässt sich kaum vertreiben. Beim Brüten wird sie zur Kämpferin.

Wie hindert man sie daran?
In Grossbetrieben wird oft brutal durchgegriffen: Man sperrt die Henne in eine dunkle Box – das ist nicht tierschutzkonform. Vertretbar ist, die Eier frühzeitig zu entfernen, das Nest zu beleuchten oder die Henne umzusetzen. Aber so ein Aufwand wird in der Praxis selten betrieben.

Was für einen Bezug hat ein Huhn zu seinem Ei?
Anfangs wenig, das Ei liegt einfach da. Aber sobald ein grösseres Gelege vorhanden ist und die Henne mit dem Brüten beginnt, wird es ernst. Sie dreht die Eier, wärmt sie gleichmässig, hört gegen Ende der 21-tägigen Brutdauer die Küken durchs Ei und antwortet ihnen. Die Verbindung zum Nachwuchs wird mit jedem Tag intensiver. Die Henne wehrt sich vehement, wenn man ihr die Eier wegnehmen will.

Wie funktioniert das in der industriellen Haltung?
Die Eier rollen nach dem Legen automatisch weg. Die hochgezüchteten Tiere legen täglich, bis sie nach rund einem Jahr in die Mauser kommen. Eine hormonell bedingte Ruhephase, in der sie ihr Gefieder wechseln und die Legeleistung stark nachlässt. Dann werden sie ersetzt. Küken werden meist von riesigen Brutmaschinen aufgezogen – nicht von den Hennen.

Kann man diese Hochleistungshühner selber weiter vermehren?
Sie sind Hybride – aus streng gehüteten Zuchtlinien. Nach zwei, drei Generationen verlieren sich die Hochleistungsmerkmale, sie fressen mehr und legen weniger Eier. So kontrollieren ein paar wenige internationale Zuchtfirmen die ganze Genetik – das Wissen bleibt unter Verschluss.

Die Hühner-Kennerin

Nadja Brodmann (59) ist Zoologin und war 15 Jahre lang als Fachexpertin für Geflügel bei KAGfreiland tätig. Heute gehört sie zur Co-Leitung des Zürcher Tierschutzes. Als Tierethikerin setzt sie sich für eine Nutztierhaltung ein, die dem Einzeltier gerecht wird – artgerecht, respektvoll und mit Raum für natürliche Bedürfnisse.

Nadja Brodmann kennt sich mit Geflügel jeder Art aus - hier mit Truthahn.
Zvg

Nadja Brodmann (59) ist Zoologin und war 15 Jahre lang als Fachexpertin für Geflügel bei KAGfreiland tätig. Heute gehört sie zur Co-Leitung des Zürcher Tierschutzes. Als Tierethikerin setzt sie sich für eine Nutztierhaltung ein, die dem Einzeltier gerecht wird – artgerecht, respektvoll und mit Raum für natürliche Bedürfnisse.

Wie oft kommt es vor, dass eine Legehenne brütet?
Das ist bei den hochgezüchteten Rassen in modern eingerichteten Ställen sehr selten der Fall. Ich schätze, auf mehrere Tausend Hennen kommt das höchstens einmal pro Jahr vor.

Was braucht es dazu?
Ruhe und ein ungestörtes Nest. Es ist empfehlenswert, je nach grösse der Hühnerschar einen oder mehrere Güggel mitlaufen zu lassen, denn sie haben wichtige soziale Funktionen. In Grossbetrieben wird das aber nicht gemacht. Eine Henne kann die Spermien des Güggels speichern und auch wenn er weg ist, zu einem späteren Zeitpunkt brüten. In der Natur legen Hennen je nach Grösse und Rasse ein Gelege von etwa 10 oder gar noch mehr Eiern – dann beginnen sie zu brüten. Auch heute ist das möglich, wenn man sie lässt.

Können wir befruchtete Eier noch essen?
Ja klar. Wer Bio-Eier kauft, isst öfter befruchtete Eier, weil in den meisten Ställen Hähne mitlaufen. Die befruchtete Eizelle sieht man nicht. Erst wenn eine Henne zu brüten beginnt, startet die Zellteilung. Dann kann man innert Kürze auf dem Dotter einen kleinen roten Punkt erkennen. Aber das Ei ist auch dann noch problemlos essbar.

Sind Hühner schlauer als man denkt?
Wenn man sie lässt, zeigen Hühner ein sehr komplexes Verhalten – sie leben in stabilen Sozialstrukturen, kommunizieren untereinander, sind sehr lernfähig und entwickeln eine Bindung zu ihrem Nachwuchs. Leider lässt die industrielle Haltung dafür kaum noch Platz. Umso schöner ist es, wenn einzelne Tiere zeigen, dass die alten Instinkte noch da sind.

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