Darum gehts
- Alleinsein als Chance: Verena Steiner zeigt Wege zum erfüllten Solo-Leben
- Solo-Leben erfordert Überwindung von Glaubenssätzen und persönliches Wachstum
- Jeder dritte Mensch in der Schweiz fühlt sich manchmal bis oft einsam
Das klassische Happy End geht so: Zwei Liebende finden endlich zusammen, und alles ist gut.
Wir sind darauf konditioniert, die Partnerschaft als Ideal zu sehen. Nur: Das Leben ist kein Hollywoodfilm. Es geht nach dem Abspann weiter. Und da folgt für viele auf die romantische Komödie ein Drama. Scheidung, Tod der Partnerin oder des Partners, unfreiwilliges Single-Dasein, Gefühle der Einsamkeit.
Überhaupt, die Einsamkeit: «Wir leben in einer Zeit grosser Einsamkeit», sagte der Basler Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch (82) einmal. Jeder dritte Mensch in der Schweiz fühlt sich manchmal bis sehr oft einsam. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Einsamkeit zum globalen Gesundheitsproblem erklärt.
Alleinsein als Chance
Da wirkt es fast provokativ, Alleinsein als Chance zu bezeichnen, wie es Verena Steiner (77) tut. Doch die Zürcherin weiss, wovon sie spricht. 65 war sie, als ihr zweiter Mann – ihre grosse Liebe – in den Bergen tödlich verunglückte. Die Biochemikerin, die mit Sachbüchern über Lernstrategien zur Bestsellerautorin wurde, ging ihre Einsamkeitsgefühle zweieinhalb Jahre nach seinem Tod auf ihre Art an: mit einer Recherche. «Ich wollte herausfinden, wie ich als Alleinstehende ein erfülltes Leben führen kann und was – neben nährenden Beziehungen – aus der Einsamkeit führen kann», sagt sie bei einem Treffen am Ufer des Zürichsees.
Die Recherche faszinierte sie und gab ihr einen Grund, morgens aus dem Bett zu kommen. Sie entwickelte daraus den Volkshochschul-Kurs «Solo, stark und lebensfroh» und schrieb schliesslich das Buch «Solo», das dieser Tage erscheint.
Verena Steiner hat eine Ausstrahlung, die von Lebenslust zeugt. Sie blickt mit Schalk in den Augen interessiert auf ihr Gegenüber. Steiner ist überzeugt, dass das Alleinsein eine Chance ist, persönlich zu wachsen. Ganz egal, ob es nur eine Phase ist oder ein Dauerzustand.
Das Solo-Leben lernen
Verena Steiner hat sich über die Jahre Schritt für Schritt ihr Leben zurückerobert, ist heute so reisefreudig und sportlich aktiv wie früher mit ihrem Mann – oft auch allein.
Ist das Solo-Leben das Nächstbeste zu einer Partnerschaft? «Nein!» Verena Steiners Miene verdüstert sich für einen Moment. «Wer denkt, es sei bloss zweite Wahl, muss gar nicht erst anfangen. Das Solo-Leben ist eine eigene Lebensform und der Weg dorthin anstrengend.»
Zunächst ist es notwendig, sich von Glaubenssätzen zu lösen: Denn die Vorstellung, dass es fürs Glücklichsein stets eine Partnerschaft braucht, ist für ein erfülltes Solo-Leben hinderlich.
Dazu schrieb die deutsche Autorin Katja Kullmann in ihrem Buch «Die singuläre Frau»: «Das Leben ohne Begleitung ist nicht besser, aber auch nicht schlechter als das gebundene. Es ist ein komplettes Leben. Eines von vielen möglichen Frauenleben. Einfach: ein Leben.»
Das Solo-Leben ist für viele Frauen sogar von Vorteil: Studien zeigen, dass (kinderlose) Single-Frauen im Vergleich zu Single-Männern, verheirateten Frauen und verheirateten Männern glücklicher, gesünder und länger leben.
Ein ungebundenes Leben war allerdings für Frauen lange nicht vorgesehen, was sich auch in der Sprache zeigt: Während beim «Junggesellen» ein Hauch von Freiheit und Abenteuer mitschwingt, spiegelt das Repertoire an entsprechenden Begriffen für alleinstehende Frauen das Missfallen der Gesellschaft dieser Lebensform gegenüber. Früher gebräuchliche Begriffe wie «alte Jungfer» oder «Mauerblümchen» wirken heute aus der Zeit gefallen. Doch der abschätzig verwendete Ausdruck «Katzenlady» bringt auch heute noch einen missbilligenden Blick auf die Solo-Frau zum Ausdruck. Positiv besetzte Wörter aus dem englischen Sprachraum wie «Self-Partnered» (etwa: in Beziehung mit sich selbst) oder «Single-Positive» haben sich hierzulande bisher nicht durchgesetzt.
Verena Steiner verwendet, wie Katja Kullmann, den Begriff «Solist» und «Solistin» für jene, die das Leben allein glücklich meistern. «Der Name scheint mir passend, denn sie müssen auch mehr üben als die anderen im Orchester», sagt sie.
Autorinnen wie Steiner und Kullmann helfen dabei, neue Begriffe und neue Bilder vom Alleinsein zu etablieren, in denen das Selbstbestimmte und Souveräne sichtbar wird. Das macht es leichter, die Vorstellung davon zu korrigieren, was eigentlich ein Happy End ausmacht.
Raus aus der Komfortzone
Auf dem Weg zu einem erfüllten Leben als Solistin oder als Solist braucht es laut Verena Steiner Anstrengungen in drei Bereichen: Erstens muss man den Kreis von nährenden Beziehungen ausweiten. Zweitens, sich mit sich selbst anfreunden. Und drittens lernen, öfters auch etwas allein zu unternehmen.
Für Verena Steiner stand am Anfang ihres Wegs zu ihrem alternativen Happy End ein Selbstverteidigungskurs. So gestärkt, fand sie den Mut, allein im Wald zu joggen, mehrtägige Velotouren und Wanderungen zu machen. Immer wieder stellte sie sich neuen Herausforderungen. «Das Wichtigste ist, in kleinen Schritten aus der Komfortzone herauszugehen», sagt sie.
Ist das Solo-Leben noch ungewohnt, braucht es oft einen Plan. Gibt es auf der Gruppenreise eine Stunde zur freien Verfügung vor dem Nachtessen? Dann hatte Verena Steiner schon vorher einen Plan, wie sie diese Zeit verbringen würde, wenn alle anderen ohne einen Gedanken an die Solo-Frau zu zweit zu einem Bummel aufbrechen oder in den Zimmern verschwinden.
Häufig stellte sie sich im Alltag kleine Aufgaben: beim Einkaufen mit drei Menschen sprechen, auf der Wanderung mit anderen in Kontakt kommen. «Man kann auch etwas fragen, wenn man die Antwort weiss», sagt Verena Steiner und schmunzelt. Denn sie kennt den Wert von freundlichen Blicken, einem Lächeln, kurzen Gesprächen, die die US-amerikanische Psychologin Barbara Fredrickson «Mikromomente der Verbundenheit» nennt. «Diese Mikromomente summieren sich und bringen viel», sagt Steiner. Sie hat selbst erfahren: Auch wer allein ist, muss nicht einsam sein.
Verena Steiner liest und hält Vorträge: https://www.explorative.ch/termine/