Darum gehts
- Apple bewarb KI-Funktionen, die nicht existieren – Werbespots wurden gelöscht
- Kritik wird laut: Tech-Branche setzt auf KI-Versprechen statt echter Innovation
- Apple-Experte John Gruber: «Apple hat seine Glaubwürdigkeit verschleudert»
Die künstliche Intelligenz (KI) sollte eine komplett neue Ära einläuten. Sie sollte Handys besser machen, das Smarthome revolutionieren und unserer aller Alltag erleichtern. Doch was von den Herstellern als Durchbruch angepriesen wurde, entpuppt sich jetzt als leeres Versprechen. Apple steht dabei besonders in der Kritik.
Apple bewarb monatelang neue KI-Funktionen für seine Sprachassistentin Siri, die das iPhone zu einem unverzichtbaren Upgrade machen sollten. Dabei standen drei Elemente im Mittelpunkt:
- Persönlicher Kontext (z.B. «Wann landet der Flug meiner Mum?»)
- Bildschirmbewusstsein (z.B. «Füge diese Adresse zu meinen Kontakten hinzu»)
- App-Aktionen («Verbessere dieses Foto und füge es zu meiner Notiz hinzu»).
«Eine Firma in der Krise»
Nur: Diese Funktionen existieren so bisher nicht. Apple musste einräumen, dass die Entwicklung «länger dauern wird als gedacht» und voraussichtlich erst 2026 fertig sein soll. Was also fürs iPhone 16 versprochen wurde, könnte frühestens fürs iPhone 17 geliefert werden. Ein Werbespot, in dem Bella Ramsey («Last of Us», «Game of Thrones») die Funktionen anpries, wurde still und leise gelöscht.
Der Apple-Kenner John Gruber findet dafür auf seinem Blog daringfireball.net deutliche Worte. «Was Apple bei der WWDC 2024 bezüglich der kommenden Siri zeigte, war keine Demo. Es war ein Konzeptvideo. Konzeptvideos sind Bullshit und ein Zeichen für ein Unternehmen in Aufruhr, wenn nicht sogar in der Krise.» Die Gedanken verfasste er unter dem Titel: «Etwas ist faul im Staate Cupertino» – Apples Hauptsitz im kalifornischen Städtchen mit rund 60’000 Einwohnern.
Doch Apple ist nicht allein. Laut David Pierce von theverge.com steckt die gesamte Technologiebranche in einem regelrechten KI-Dilemma: «Die ganze Versprechung basierte auf der Idee, dass Siri, Alexa, Gemini, ChatGPT und andere Chatbots so gut geworden sind, dass sie verändern würden, wie wir alles tun.» Die Realität sieht anders aus.
Google und Samsung haben ähnliche Probleme. Die Hersteller haben ihre Geräte ebenfalls mit KI-Versprechen überfrachtet. Nutzer berichten aber, dass sie die KI-Funktionen kaum je nutzen, da sie so «leicht zu vergessen» sind. Und einige der neuen Start-ups im KI-Bereich, die mit Milliardeninvestitionen gestartet sind, etwa Humane oder Rabbit, haben nur Flops produziert oder sind komplett gescheitert.
Stillstand statt Innovation
Kurz: Die Fixierung auf KI hat die Branche gelähmt. «Zu viele Unternehmen haben ihre Pläne auf einen theoretischen und perfektionierten Endzustand der KI tariert, anstatt nach Wegen zu suchen, sie schon jetzt nützlich zu machen», sagt Pierce. Die Folge: Eine ganze Generation von Geräten wird zum Opfer überzogener KI-Versprechen. Statt nützlicher Innovationen (eine XXL-Akkulaufzeit, bruchsichere Displays etc.) gibt es nur kleine Verbesserungen mit einem KI-Sticker drauf.
Fairerweise muss man sagen, dass die Hersteller in einem Dilemma stecken. «Wenn man davon ausgeht, dass KI einen Paradigmenwechsel darstellt, der die Welt ähnlich wie das Smartphone oder das Internet verändern wird, wäre es töricht, zu warten, bis die Technologie perfekt ist», schreibt Pierce. «Bis dahin ist es zu spät, und das Rennen ist verloren. Die jetzige Gratwanderung zwischen frühzeitiger Innovation und übertriebenen Versprechen ist jedoch missglückt.»
Kritik kommt, Vertrauen verschleudert
John Gruber sieht bei Apple sogar die Unternehmenskultur gefährdet: «Wenn Mittelmässigkeit, Ausreden und Unsinn Wurzeln schlagen, übernehmen sie. Eine Kultur der Exzellenz, Verantwortlichkeit und Integrität kann die Akzeptanz dieser Dinge nicht dulden.» Das eigentliche Problem: Die Firmen haben ihr Vertrauen verspielt. Apple hat Funktionen beworben, die es bisher nicht liefern kann. Was als Apple Intelligence verkauft wird, beschränkt sich aktuell auf Schreibwerkzeuge, Zusammenfassung von Textnachrichten und Emojis. In Sachen Siri ist der Konzern in 14 Jahren vom Vorreiter zum Nachzügler mutiert.
«Die Glaubwürdigkeit ist beschädigt», urteilt Gruber. «Beschädigt ist zu passiv ausgedrückt. Sie wurde verschleudert. Dies ist Apple nicht einfach so passiert. Entscheidungsträger innerhalb der Firma haben es aktiv herbeigeführt.» Für Konsumenten bedeutet das: Skepsis ist angebracht, wenn Tech-Firmen neue KI-Wunder versprechen.
Die Revolution wird wohl länger auf sich warten lassen als gedacht.