Neuer Mercedes Drive Pilot machts möglich
Jetzt mit 95 km/h über deutsche Autobahnen

Ab 2025 fahren Mercedes EQS und S-Klasse völlig autonom bis zu 95 km/h schnell. Der Unterschied zum bisherigen 60-km/h-Stauassistenten erscheint nicht besonders gross, ist im Alltag jedoch eine deutliche Verbesserung – aber noch lange nicht perfekt.
Publiziert: 29.09.2024 um 05:53 Uhr
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Aktualisiert: 29.09.2024 um 13:36 Uhr
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Mercedes verbessert seinen Drive Pilot für autonomes Fahren. Ab 2025 fährt der Mercedes EQS (Bild) und die S-Klasse völlig autonom auf Autobahnen bis zu 95 km/h schnell.
Foto: Mercedes-Benz AG, Communications & Marketing, photo by Deniz Calagan on behalf of Mercedes-Benz AG

Auf einen Blick

  • Mercedes Drive Pilot 95 ermöglicht autonomes Fahren bis 95 km/h
  • Über 40 Assistenzsysteme unterstützen den Drive Pilot 95
  • Knackpunkt Baustellen und Blaulicht-Einsatzfahrzeuge
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Wolfgang Gomoll

Während wir auf dem Bildschirm zuschauen, wie Spiderman seinen Erzfeind Mysterio nach allen Regeln der Kunst vermöbelt, brettern wir am Steuer eines Mercedes EQS mit 90 km/h über die Autobahn. Eigentlich. Denn das Kommando übers fahrende Auto haben nicht wir, sondern der neue Mercedes Drive Pilot 95.

Der Name ist Programm: Neu können Mercedes EQS und S-Klasse nicht mehr nur 60 km/h im Level 3 autonom fahren, sondern bis 95 km/h schnell. Klingt nach wenig, ist aber ein grosser Unterschied. So kann der Robo-Benz ab Anfang 2025 auch ausserhalb geschlossener Ortschaften auf Autobahnen beziehungsweise baulich getrennten Fahrbahnen agieren. Damit lassen sich jetzt auch längere Strecken bewältigen, ohne dass der Fahrer sein Hauptaugenmerk auf den Verkehr lenken muss. Zur Erinnerung: Automatisiertes Fahren Level 3 bedeutet, dass das Auto für eine gewisse Zeit und auf geeigneten Strecken selbstständig das Kommando übernehmen kann.

Weiterentwicklung des Stauassistenten

Basis für den Drive Pilot, im Grunde eine Weiterentwicklung des bisherigen 60-km/h-Stauassistenten, sind aktuelle Modelle, die dank mehr als 40 Assistenzsystemen an Bord autonome Fahrmanöver des Levels 2+ ausführen können. Ab Anfang des nächsten Jahres werden fabrikneue S-Klassen und EQS-Modelle von Mercedes mit dem Drive Pilot 95 ausgeliefert. Bestehende Fahrzeuge mit Drive Pilot 60 erhalten ein kostenloses Update. Damit können diese Modelle ab 2025 auch auf der Autobahn ohne menschliches Zutun fahren.

Allerdings setzen Mercedes und der Gesetzgeber noch enge Grenzen – natürlich, die Sicherheit geht vor. So gilt für den Drive Pilot 95 (noch) striktes Rechtsfahrgebot. Das heisst: Nur die rechte Spur der Strasse mit baulich getrennten Fahrbahnen (Autobahn, Schnellstrasse) ist das Revier des Mercedes mit aktiviertem Drive Pilot 95. Doch statt wie bislang nur bis maximal 60 km/h funktioniert das selbstständige Fahren jetzt bis Tempo 95. Autonome Spurwechsel wären technisch zwar möglich, sind aber noch nicht freigeschaltet.

Für unseren Test im EQS mit Drive Pilot 95 fädeln wir uns auf der rechten Autobahnspur hinter einem LKW ein. Um es dem System einfacher zu machen, haben wir den adaptiven Tempomaten samt den autonomen Fahrfunktionen des Levels 2+ aktiviert. Laut Mercedes würde die Aktivierung freilich auch ohne diese Vorkonditionierung und bis Tempo 100 funktionieren – das Fahrzeug bremst dann einfach automatisch auf Tempo 95 ab.

Das Prozedere der Übergabe von Mensch an Maschine ist vom Drive-Pilot-Vorgänger bekannt: Der Robo-Benz signalisiert uns mit pulsierenden weissen LEDs links und rechts im Lenkradkranz seine Bereitschaft. Wir drücken auf die blinkenden Knöpfe und nehmen die Hände vom Lenkrad. Unser EQS folgt jetzt dem Lastwagen mit rund Tempo 80, während wir uns (zugegeben etwas verkrampft) vom Verkehrsgeschehen abwenden und auf dem Bildschirm die eingangs erwähnte Filmszene schauen.

Knackpunkt: Baustellen und Blaulichtfahrzeuge

Das geht mehrere Minuten gut. Die Bedingungen sind allerdings auch ideal. Strahlender Sonnenschein, perfekte Strassenmarkierungen und vorneweg immer der LKW. Selbst von dazwischen einscherenden Autos lässt sich das System nicht irritieren. Doch als wir uns dem Stadtgebiet Berlins nähern, ist das automatisierte Glück bisweilen nur noch von kurzer Dauer. In Baustellen mit unklaren Markierungen und rechten Fahrbahnen, die zu einer Abbiegespur werden, ist unser Autopilot überfordert und wir müssen wieder das Steuer übernehmen.

Gleiches gilt, wenn sich Blaulicht-Einsatzfahrzeuge von hinten nähern. Das ist zwar von Mercedes so gewollt, erklärt man uns. Weil der Mensch in solchen Situationen immer noch die besten Entscheidungen treffe. Zeigt aber, wie komplex das autonome Fahren ist und wie weit der Weg zum völlig autonomen Robo-Taxi selbst auf der Autobahn noch ist. Denn als uns ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht auf der entgegengesetzten Fahrbahn kreuzt, erkennt die Heckkamera auch dieses Fahrzeug und fordert uns prompt auf, das Lenkrad wieder zu übernehmen.

Interessant wird es übrigens, wenn wir dieser Aufforderung nicht nachkommen. Als wir nach einer Reihe von haptischen und akustischen Signalen (unter anderem rüttelt auch der Gurtstraffer an unserem Oberkörper) nicht reagieren, erkennt der Drive Pilot einen Notfall und dirigiert unser Fahrzeug mit aktivierter Warnblinkanlage auf den Pannenstreifen. In diesem Fall ist also ein Spurwechsel erlaubt – und natürlich auch viel sinnvoller als nur das blosse Abbremsen bis zum Stillstand auf der normalen Fahrspur wie beim bisherigen Drive Pilot 60.

Wettlauf gegen Tesla gewonnen

Bei Mercedes ist man mit dem Erreichten zufrieden. «Wir haben derzeit das schnellste Auto», strahlt Taner Kandemir, der bei Mercedes fürs autonome Fahren verantwortlich ist. Voraussichtlich wird Tesla sein Robotaxi nächsten Monat am 10. Oktober präsentieren – bestimmt mit viel Tamtam und grossen Worten. Alles andere würde Teslachef Elon Musk (53) nicht gerecht. Doch Mercedes zeigt schon jetzt, dass es funktioniert. Und das auf deutschen Autobahnen.

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