Interview mit VCS-Co-Präsidentin Jelena Filipovic
«Der masslose Autobahnausbau löst das Stauproblem nicht»

Die Abstimmungsvorlage um den Ausbau der Nationalstrassen vom 24. November ist umkämpft. Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) ist gegen den geplanten Ausbau der sechs Autobahnabschnitte. Warum, erklärt VCS-Co-Präsidentin Jelena Filipovic (32).
Publiziert: 03.11.2024 um 13:53 Uhr
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Stau auf Schweizer Autobahnen rettet das Klima nicht.
Foto: Sven Thomann
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Raoul SchwinnenRedaktor Auto & Mobilität

Blick: Stau rettet das Klima nicht. Durch die hohe Anzahl Staustunden erhöht sich der CO₂-Ausstoss eines einzelnen Fahrzeugs erheblich. Warum sind Sie gegen den geplanten Ausbau der Autobahnabschnitte?
Jelena Filipovic: Breitere Autobahnen führen unweigerlich zu mehr Verkehr. Dieser Mehrverkehr, der durch den Ausbau entsteht, macht den Effekt des Stop-and-Go sofort wieder zunichte, da wir längere Strecken zurücklegen, statt im Stau zu stehen. Zudem ist der Stau nach dem geplanten Ausbau nicht einfach weg. Die Autos stauen sich am nächsten Engpass oder bei den Ein- und Ausfahrten. Was es braucht, ist ein intelligentes Verkehrsmanagement.

Tatsache ist, dass fast 87 Prozent aller Staus auf die reine Überlastung unserer Nationalstrassen zurückzuführen ist. Ohne Ausbau droht noch mehr Ausweichverkehr durch Dörfer. Das ist lärmig, gefährlich – und kaum in Ihrem Interesse.
Tatsache ist auch, dass wir von Staustunden zu lediglich zwei Spitzenzeiten am Tag (Morgen/Abend) sprechen und nicht von einer totalen Überlastung der Nationalstrassen. Viel wichtiger ist, dass keine Autofahrt auf der Autobahn beginnt oder endet. Wir müssen immer auch zur Autobahn und wieder von ihr wegfahren. Je mehr wir die Kapazität auf der Autobahn erhöhen, desto mehr Verkehr haben wir in unseren Wohnquartieren und neben unseren Schulen. Zudem sagt das Astra in seinen eigenen Unterlagen, dass der Entlastungseffekt zehn Jahre nach dem Ausbau durch den Mehrverkehr bereits wieder vernichtet würde. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb sich die meisten umliegenden Gemeinden gegen den Autobahnausbau wehren. 

Die Staustunden sind in den letzten 24 Jahren von 4300 auf über 48’000 Stunden pro Jahr gestiegen.
Die Zahlen zu den Staustunden des Astra sind mit Vorsicht zu geniessen. Das Astra selbst räumt ein, dass ein Teil des Anstiegs auf eine Methodenänderung im Jahr 2016 zurückzuführen ist.

Aber wie sonst, wenn nicht durch einen Autobahnausbau, soll der laufend zunehmende Verkehr auf unserem Strassennetz geschluckt werden?
Wenn jetzt immer mehr Leute im Stau stehen, ist das vor allem ein Ausdruck davon, dass die Politik es verpasst hat, diesen Leuten eine sinnvolle Alternative anzubieten und durch ein intelligentes Verkehrsmanagement und flankierende Massnahmen dem Problem entgegenzuwirken.

Persönlich

Jelena Filipovic (32) ist in Basel aufgewachsen. Sie studierte in Zürich und Bern Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Umweltpolitik und wohnt seit 2018 in Bern. Filipovic sitzt im Berner Stadtrat in der Verkehrskommission und wurde 2024 zur VCS-Co-Präsidentin gewählt.

Jelena Filipovic (32) ist in Basel aufgewachsen. Sie studierte in Zürich und Bern Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Umweltpolitik und wohnt seit 2018 in Bern. Filipovic sitzt im Berner Stadtrat in der Verkehrskommission und wurde 2024 zur VCS-Co-Präsidentin gewählt.

Zum Beispiel?
Durch einen besseren ÖV oder eine vernünftige und sichere Veloinfrastruktur in den Agglomerationen, wo ausgebaut werden soll. Wenn man jetzt Unsummen in diesen nutzlosen Autobahnausbau investiert, zwängt man die Leute für die nächsten Jahrzehnte weiter ins Auto, ohne auch nur ein Problem wirklich nachhaltig gelöst zu haben.

Sie nennen den ÖV als Alternative. Nur ist der ÖV längst auch am Limit. Noch dichter fahren geht in vielen Gebieten ohne teure Ausbauten kaum. Zudem wäre das Stauproblem auf den Strassen weiterhin nicht gelöst.
Der teure und masslose Autobahnausbau löst das Stauproblem aber auch nicht. Er verschiebt es höchstens um einige Jahre oder zum nächsten Engpass. Dass die Nachfrage im ÖV so hoch ist, zeigt, dass die Leute gerne umsteigen möchten. Im Gegensatz zum Auto kommen sie im ÖV auch zu Spitzenstunden zügig ans Ziel.

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