Als häufig fahrender Blick-Autojournalist, mit Tests auf Rennstrecken und einigen Offroad-Abenteuern, bezeichne ich mich heute als routinierten Autofahrer. Aber: Ist routiniert auch gut? Und vor allem: Weiss ich über all die in den letzten vier Jahrzehnten seit meiner Fahrprüfung neu eingeführten Vorschriften und Verhaltensweisen auf der Strasse auch wirklich Bescheid?
Um das herauszufinden, trete ich bei Willi Wismer (59), Fahrlehrer und Vorstandsmitglied des nationalen Fahrlehrerverbands L-Drive Schweiz, zu einem Auffrischungskurs an. Wir treffen uns auf dem Parkplatz der Stadthalle in Bülach ZH. Was eigentlich schon ungewöhnlich ist. «Normalerweise hole ich meine Schüler zu Hause ab», begrüsst mich Willi Wismer. Und ebenfalls anders als bei Fahrstunden mit Neulenkern macht er Feedback-Fahrten nicht im Fahrschulauto, sondern im Fahrzeug des Kursteilnehmers. «Meist reserviere ich dafür eine Doppelstunde», erklärt Wismer. Das wären also 100 Minuten und kostet 200 Franken.
Der Fahrlehrer als Autoerklärer
Nach der Kontrolle meines Führerausweises setzen wir uns ins Fahrzeug. Ganz beiläufig überprüft der Experte dabei meine Sitzposition hinter dem Lenkrad – und ist zufrieden. «Da habe ich schon die abenteuerlichsten Sachen gesehen», lacht er. Unser «Schulungsfahrzeug» ist der vollelektrische Opel Astra aus dem Blick-Dauertestfuhrpark. Willi Wismer zückt sein Tablet mit einer Checkliste. «Normalerweise frage ich jetzt die Leute, ob sie wissen, was ihr Auto alles kann – über welche Assistenten ihr Fahrzeug verfüge und wie diese arbeiten.» Viele Fahrerinnen und Fahrer hätten keine Ahnung, ob ihr Auto zum Beispiel über eine Lenkhilfe, eine Traktionskontrolle oder einen adaptiven Tempomaten verfüge. Viele seien sich auch nicht bewusst, dass die Lichtschalt-Automatik die Beleuchtung nicht in jedem Fall automatisch von Tagfahr- auf Abblendlicht umschalte – «und so sind sie dann bei Regen oder Nebel ohne hintere Beleuchtung unterwegs. Mir hat eine ältere Dame schon gestanden,» plaudert Willi Wismer aus dem Nähkästchen, «dass ihr Mann sie angewiesen habe, sie soll ja die Finger von all diesen Schaltern lassen.» Der Fahrlehrer als Autoerklärer? «Das hat was», bestätigt er, «aber im Gegensatz zum Autokauf bei uns unter praktischen Bedingungen.»
Wir fahren los. Ich erinnere mich vier Jahrzehnte zurück. Sagt der Fahrlehrer nichts, gehts geradeaus. Das ist offenbar heute noch so. Die ersten Kreisel nahen. «Dritte Ausfahrt», kommt prompt das Kommando. Ich habe in meiner Autojournalistenkarriere genügend «Kreiselratgeber» geschrieben, damit ich weiss, wie ich dort korrekt zu blinken habe. Und dennoch mache ich einen Fehler. «Seitenblick im Kreisel nach rechts», mahnt der Fahrlehrer. Es könnte sich ja einer dieser flinken E-Bikefahrer in meinen toten Winkel geschlichen haben. Tja, die gabs vor 40 Jahren noch nicht – und Kreisel auch nicht …
«Oft lasse ich die meist älteren Kandidaten auch selbst nach Ortsschildern fahren, um zu schauen, wie die Koordination zwischen Wegsuche und Fahren funktioniert.» Es melden sich denn auch die wenigsten freiwillig für einen Auffrischungskurs an, weiss Willi Wismer. «Die meisten kommen auf ärztlichen Rat oder auf Druck der Behörden. Dabei täte es allen gut», betont er. «Wir alle bilden uns im Berufsleben weiter, warum nicht auch beim Autofahren?», fragt er. Und empfiehlt allen Lenkerinnen und Lenkern, ihren Fahrstil regelmässig alle fünf Jahre mit einer Feedback-Fahrt überprüfen zu lassen.
Blicken, blinken und Vollbremsung
Wir sind inzwischen in einem Wohnquartier mit Tempo 30 unterwegs. Bei einer kleinen, unübersichtlichen Einfahrt fahre ich meinem Experten zu forsch über die Kreuzung – «und Rechtsvortritt?», fragt er. «Ich habe schon geschaut», antworte ich. «Okayyyy…», kommts gedehnt vom Beifahrersitz. Und ich merke genau, dass er mir nicht glaubt. Jetzt säumen Blumenkisten als Verkehrsberuhigungsmassnahme unseren Weg. Und wir sind beim Thema Blinken. Jede Richtungsänderung wird angezeigt, bläuen Fahrlehrer ihren Schülerinnen und Schülern ein (auch wenn das in der Praxis kaum ersichtlich wird …) – aber muss ich wirklich bei Tempo 30 und jeder Blumenkiste den Blinker neu stellen, frage ich meinen Experten. «Nur beim ersten Hindernis, danach nicht mehr», lautet die Antwort. Prima, wieder etwas gelernt.
Kurz danach sind wir auf einer schmalen Waldstrasse unterwegs. «Interessant, hier mal mit einem routinierten Fahrer unterwegs zu sein,» meint Wismer lächelnd. «Du fährst deutlich schneller als alle meine Schüler, weil du offenbar genau weisst, wie breit dein Fahrzeug ist und dass du notfalls bei Gegenverkehr kreuzen kannst.» Dennoch lässt er meine Fahrweise nicht ganz unkritisiert: «Du bremst oft in die Kurven rein, statt sie anzubremsen.» Stimmt – und ist wohl eine Unart aus meiner ganz frühen Rennfahrerzeit, als ich mich so auf der Rennstrecke an den Gegnern vorbeimogelte. Immerhin: Beim plötzlich verlangten Notstopp reagiere ich für den Experten gut. «Das war perfekt», lobt er. Und wir wundern uns beide, dass unser Fahrschulauto beim abrupten Manöver nicht automatisch die Warnblinkanlage einschaltet. «Das tun in dieser Situation inzwischen fast alle modernen Autos», weiss Wismer. Und er ergänzt: «Du glaubst nicht, wie viele Autofahrer heute trotz Bremskraftverstärker keine rechte Notbremsung mehr schaffen. Sei es, weil sie zu zaghaft aufs Bremspedal tippen, weil die Kraft fehlt – oder sie eine derart schlechte Sitzposition haben, dass sie mit dem Fuss schlicht nicht schnell genug reagieren können.»
Am Ende unserer Fahrt fragt mich Willi Wismer, ob ich mir jetzt besonders Mühe gegeben habe. Ehrliche Antwort: «Ich habe ein-, zweimal mehr geblinkt – sonst habe ich mich aber verhalten wie immer.» Er lächelt: «Dann ist gut. Du fährst zügig, immer am oberen Limit, aber umsichtig. Ich wünschte mir, ich könnte bei allen Kursteilnehmenden so urteilen.»