Sie sind die Wikinger der Autoindustrie. Immer wenn niemand damit rechnete, kam Volvo zuletzt überfallartig mit Ankündigungen. Vor drei Jahren diskutierte die Branche über das Ende des Verbrenners – Volvo-CEO Hakan Samuelsson (69) machte Ernst: Ab 2019 keine nur per Diesel oder Benziner angetriebenen Modelle mehr. Ab 2020 nur noch maximal 180 km/h Spitze für mehr Verkehrssicherheit – damit kaperte die schwedische Marke den Genfer Autosalon 2019, obwohl sie nicht einmal an der Messe war.
Ab diesem Jahr soll niemand mehr durch einen Volvo getötet werden. Und bis 2025 sollen die Hälfte aller verkauften Modelle Batteriestromer sein. Aber passiert auch was, Hakan Samuelsson? Der inoffiziell beliebteste Manager Schwedens lehnt sich zurück in seinem schon dämmrigen Büro in Göteborg (S): «Die Entwicklung eines komplett neuen Autos dauert nun einmal fünf Jahre.» Aber jetzt sei es so weit.
Verbrenner nur mit Spannung
Einem Urknall gleich startet Volvo durch: Mit dem ersten reinen Stromer XC40 Recharge mit 408 PS und ungefähr genauso vielen Kilometern Reichweite. Mit dem Nobel-Ableger Polestar und dessen ersten beiden Modellen mit Plug-in- und Elektroantrieb. Und mit der Abo-Marke Lynk & Co., die gerade Marktstart und Preise enthüllt hat. Letztere ist eine eigenständige Tochter der gemeinsamen chinesischen Mutter Geely, weshalb Samuelsson sich dazu bedeckt hält. Aber auch sie setzt auf Volvo-Technik und Kundschaft, der Autokauf zu spiessig erscheint.
Dabei macht Volvo einiges anders als der Rest der Branche. Autos per Monatsgebühr gibts längst, der Elektro-XC40 schafft tatsächlich nur 180 km/h Spitze, auch weil höheres Tempo die Batterie rasant leer saugen würde. Und reine Verbrennungsmotoren sind definitiv passé: Diesel und Benziner verfügen bei Volvo mindestens über ein 48-Volt-Hybridsystem oder spannen mit Elektromotoren als Plug-in-Hybride zusammen.
Innovation und Kooperation
Dabei agiert die Marke agil und ohne Berührungsängste. «Wir haben erst 2017 entschieden, den Elektro-XC40 zu machen», sagt Samuelsson. Drei Jahre Entwicklungszeit – wenig für eine neue Technologie. Das neue Infotainmentsystem des XC40 basiert auf Googles Android-Betriebssystem. «Wir wollten nicht bloss ein gut funktionierendes eigenes System – wir wollten das beste.» Keine Panik vor Datenkraken? Der Kunde könne entscheiden, ob er seine Daten offenlege, sagt man bei Volvo.
Was wird aus den typischen Volvo-Kombis? Samuelsson sieht die Angleichung des Kundengeschmacks über die Kontinente hinweg: SUVs liefen überall, Modelle nur für regionale Märkte könne sich Volvo immer weniger leisten. Wichtiger erscheint ihm der von der Corona-Pandemie angestossene Wandel: «Das Auto erlebt eine Renaissance. Menschen werden auch künftig in den Innenstädten individuell mobil sein wollen.» Nur werde das bisherige System – Auto kaufen und in die Stadt fahren – wegen Einfahrtsbeschränkungen oder City-Maut nicht mehr funktionieren: «Wir brauchen eine flexiblere Art, den Kunden ein Auto zur Verfügung zu stellen.»
Zwei Marken, verschiedene Kunden
Auch deshalb kann sich Samuelsson nicht wirklich zurücklehnen. Volvos XL-SUV XC90 steht bald zur Ablösung an; Polestar hat die Serienfertigung der Studie Precept angekündigt. Deren Premiere am coronabedingt abgesagten Genfer Salon fiel ins Wasser und wurde jetzt an der tatsächlich stattfindenden Auto China in Peking nachgeholt. Wie will Samuelsson die beiden Marken unterscheidbar machen? «Wir teilen uns die Entwicklungskosten, aber Polestar ist sportlicher orientiert.» Volvo für die Familie, Polestar zur Kundeneroberung bei BMW und Co., laute der Plan. Dass Markendifferenzierung trotz gleicher Technik funktioniere, zeige der VW-Konzern.
Und es gebe noch einen Unterschied, sagt Samuelsson grinsend: «Für Polestar gilt das 180-km/h-Limit nicht.»