Nach Ihrer Berufung in den Daimler-Vorstand hat der BLICK Sie «die mächtigste Schweizerin der Weltwirtschaft» genannt.
Renata Jungo Brüngger: Mir hat das ein Schmunzeln entlockt, weil ich das mit Sicherheit nicht bin. Es zeigt eher, wie selten Schweizer in internationale Konzernvorstände einziehen.
Sagt man heute eigentlich «Vorständin» statt «Vorstand»?
(lacht) Nicht zwingend. Aber das Wort gibt es im Duden, das kann man gerne sagen.
Sie sind offiziell Vorstand für Integrität und Recht. Was ist Ihr Job?
Am ehesten würde ich mich als Risikomanagerin bezeichnen. Ich muss zwar einerseits die Geschäftstätigkeit ermöglichen, aber andererseits deren rechtliche Risiken beherrschbar machen und künftige Risiken minimieren – über funktionierende Compliance-Systeme.
Was heisst denn «Compliance» eigentlich?
Man kann es als Risikomanagement umschreiben: Wir schaffen interne Prozesse, durch die wir auf veränderte Bedingungen reagieren. Nehmen Sie etwa das für Nichtjuristen kaum verständliche Kartellrecht: Was muss ein Daimler-Ingenieur in einer Arbeitsgruppe mit einem Ingenieur eines Wettbewerbers spezifisch davon wissen? Schulung ist da ganz wesentlich.
Ändern sich Gesetze denn so schnell?
Daimler betreffen 200 neue Gesetze weltweit – pro Tag! Wir müssen von allen früh genug erfahren und reagieren. In der Corona-Krise etwa erlaubten die Notgesetze plötzlich virtuelle Hauptversammlungen. Da müssen wir Tage später wissen, wie wir das korrekt umsetzen.
Apropos Corona-Krise: Daimler-Vorstände verzichten 2020 auf 20 Prozent Gehalt.
Für uns war das nach sehr kurzer Diskussion keine Frage. Wenn unsere Mitarbeitenden auf Kurzarbeit sind, ist das beim Daimler einfach eine selbstverständliche Geste der Solidarität.
Sie sagen «beim» statt «bei» Daimler. Tönt schwäbisch!
Bei Daimler arbeitet man «beim Daimler». Das ist eine Institution! Als ich in Stuttgart eine Wohnung suchte, hat mich die Vermieterin gefragt: «Haben Sie in der Schweiz keine Arbeit gefunden?» Als ich sagte, ich sei «beim Daimler», war die Frage beantwortet. (lacht)
Wieso pendeln Sie bis heute am Wochenende nach Horgen ZH?
Wir haben das Haus in Horgen, mein Mann lebt dort. Und wir haben ein Feriendomizil im Bündnerland – da hat sich das angeboten. Umso konzentrierter arbeite ich unter der Woche, und umso schöner ist es, am Wochenende rauszukommen.
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Wir nehmen nicht an, dass Sie einen Acht-Stunden-Arbeitstag haben?
Nein, aber das ist in meiner Funktion einfach so. Man fängt sehr früh an, ist oft den ganzen Tag in Meetings und holt am Abend alles andere nach. Selbst mal Joggen fällt da meist aus.
Eine weitere Challenge in Ihrem Job sind Fälschungen, ob gefakte Mercedes-T-Shirts oder vermeintliche Mercedes-Bremsscheiben. Ist der Schaden hoch?
Schon bei Accessoires geht es um richtig viel Geld. Der potenziell grösste Schaden ist aber das Sicherheitsrisiko durch gefälschte Ersatzteile. Alleine 2019 haben wir 1,6 Millionen Teile beschlagnahmen lassen und über 520 behördliche Razzien initiiert und begleitet. Wir haben extra einen Bereich für 35’000 Markenrechte: Fälschungen sind kein Kavaliersdelikt.
Hat sich Ihr Bild der Schweiz von Deutschland aus verändert?
Was mir auffällt, ist, dass die Schweiz zum Einigeln neigt. Sieht man, was die Schweiz als ein global vernetztes Exportland kann und wie gut es ihr geht, wünschte ich mehr Offenheit.
Kommen wir zu «Benzin im Blut»: Sie als Frau in der Autobranche …
… muss ja kein Auto bauen. (lacht) Für eine Juristin spielt die Branchenzugehörigkeit nicht die entscheidende Rolle. Die Fähigkeiten sind entscheidend, nicht das Geschlecht. Ich bin Fan schöner Autos, und Technikaffinität ist beim Daimler kein Nachteil. Aber ich würde nicht von Benzin im Blut sprechen. Heute mindestens so wichtig ist, dass ich Strom im Blut habe!
Daimler baut neun Batteriewerke. Garantieren Sie mir als Käufer, dass im Akku kein von Kindern im Kongo geschürftes Kobalt steckt?
Das ist ganz klar unser Anspruch. Wir haben Prozesse geschaffen, die das Risiko so gut wie möglich minimieren. Wir binden die Lieferanten rechtlich. Weil dahinter aber weitere Stufen in der Lieferkette sind, schauen wir uns die Betriebe mit erhöhtem Risiko vor Ort an, bei Bedarf bis zur Mine. Zusätzlich unterstützen wir Schulprojekte gegen Kinderarbeit und haben auch eine Brancheninitiative initiiert. Da bin ich nicht nur beruflich voll engagiert!
Welche Autos mit Stern fahren Sie eigentlich selbst?
Als Vorstand habe ich eine S-Klasse als Dienstwagen. Will ich unterwegs arbeiten, bringt mich ein Fahrer darin nach Hause. Aber ich fahre sehr gerne und viel selbst im E-Klasse Cabriolet. Oder im Winter G-Klasse, weil unser Ferienhaus in fast 1800 Metern Höhe liegt.
Sie sind begeisterte Bergsteigerin. Spielen Vorstände nicht Golf?
Die Schweizer Berge gehören für mich einfach dazu. In den Ferien will ich eine Woche lang auf Dreieinhalbtausender. Nur ist das zeitlich schwierig, deshalb blieb es in letzter Zeit eher beim Bergwandern. Aber falls es Sie beruhigt: Ja, ich spiele gerne auch mal Golf. (lacht)
Renata Jungo Brüngger (59) ist Vorstand für Integrität und Recht der Daimler AG und der Mercedes-Benz AG im deutschen Stuttgart. Jungo stammt aus Düdingen FR und lebt in Stuttgart und Horgen ZH. Sie studierte in Freiburg Jus, arbeitete nach dem Anwaltspatent in einer Zürcher Wirtschaftskanzlei, dann für Metro und für Emerson Electric. Von Daimler 2011 als Leiterin des Rechtsdienstes eingestellt, ist Jungo seit 2016 im achtköpfigen Vorstand und leitet den 1000 Mitarbeiter starken Bereich Integrität und Recht. Daimler ist der grösste Luxusauto- und LKW-Hersteller der Welt: 300’000 Mitarbeiter, 180 Milliarden Franken Umsatz (2019).
Renata Jungo Brüngger (59) ist Vorstand für Integrität und Recht der Daimler AG und der Mercedes-Benz AG im deutschen Stuttgart. Jungo stammt aus Düdingen FR und lebt in Stuttgart und Horgen ZH. Sie studierte in Freiburg Jus, arbeitete nach dem Anwaltspatent in einer Zürcher Wirtschaftskanzlei, dann für Metro und für Emerson Electric. Von Daimler 2011 als Leiterin des Rechtsdienstes eingestellt, ist Jungo seit 2016 im achtköpfigen Vorstand und leitet den 1000 Mitarbeiter starken Bereich Integrität und Recht. Daimler ist der grösste Luxusauto- und LKW-Hersteller der Welt: 300’000 Mitarbeiter, 180 Milliarden Franken Umsatz (2019).