Zwei Mal pro Jahr reist Bob Lutz von seinem Wohnort im US-Bundesstaat Michigan in seine alte Schweizer Heimat, ins Ferienhaus in Silvaplana GR und zu einer seiner Töchter in Genf. So auch diese Woche. Dazwischen besuchte er SonntagsBlick in Zürich für ein ausführliches Gespräch.
Wie ist es, wieder in der Schweiz zu sein?
Bob Lutz: Ich fühle mich immer sehr daheim, obwohl nicht mehr alles so ist wie früher. Ich fliege aber auch gerne wieder nach Hause nach Michigan. Ich habe immer Sehnsucht nach dem Ort, an dem ich gerade nicht bin.
Sie sprechen noch immer perfekt Schweizerdeutsch.
Nein, nicht perfekt. Aber Schweizerdeutsch ist mir einfach geblieben. Drei meiner Töchter leben in den USA und wir sprechen viel Schweizerdeutsch.
Waren Sie schon früh vom Auto fasziniert?
Als Dreijähriger habe ich mit dem Finger aus dem Autofenster gezeigt und aufgezählt: «1935er-Ford, 1936er-Chevrolet, 1929er-Hudson.» Ich habe Autos wie ein Schwamm aufgesogen.
Sie sind 1939 mit Ihrer Familie in die USA gezogen. Sehen Sie sich als US-Amerikaner oder als Schweizer?
Ich identifiziere mich vor allem mit dem U. S. Marine Corps. Es hat einen ungehobelten Flegel aus wohlhabender Familie zu einem einigermassen fokussierten und disziplinierten Mann gemacht.
Sie haben in Ihrer jahrzehntelangen Karriere schwierige Situationen gemeistert. Was empfehlen Sie heutigen Managern?
Wichtig sind eine starke Persönlichkeit und der Wille zu führen und die Lage zu verbessern. Viele CEOs verwalten ihre Organisation, aber treiben sie nicht nach vorne. Man muss klare Ziele formulieren – immer wieder, bis sie jeder verinnerlicht hat.
Wer sind für Sie solche Persönlichkeiten?
Die Umstrittenen wie ich zum Beispiel. Carlos Ghosn, der Ex-Chef von Nissan und Renault, die verstorbenen Ferdinand Piëch und Sergio Marchionne. Gute Führungspersonen haben starke Meinungen, mit denen sie oft anecken.
Welcher Autokonzern ist heute am besten geführt?
Von aussen lässt sich das kaum bewerten. Für mich war Ferdinand Piëch immer ein herausragender Konzernchef. Aber er hat eine Art totalitäres System aufgebaut. An seinem ersten Tag als VW-CEO hat er die Direktoren ins Büro geholt und gesagt: «Es freut mich, Sie kennenzulernen. Aber nicht zu eng, denn in drei Wochen werden drei Viertel von Ihnen nicht mehr hier sein.»
Das motiviert nicht gerade.
Es führt zu so etwas wie dem VW-Dieselskandal. Bei General Motors haben wir uns damals gefragt: Wie kann VW mit der gleichen Technik von den gleichen Lieferanten die US-Abgasnormen einhalten – und wir können es nicht? Bis zum grossen Knall 2015. VW hatte betrogen.
Wie konnte es dazu kommen?
Man braucht dazu nur einen diktatorischen Chef, der sagt: «Ich akzeptiere nicht, dass Sie das Abgasproblem nicht lösen können. Sie haben zwei Wochen Zeit, sonst sind Sie weg.» Dann fangen Lügen und Schummeln an, weil jeder den Job behalten will.
Wird der Skandal VW langfristig schaden?
Das Publikum hat ein kurzes Gedächtnis. Ich kenne viele VW-Besitzer, denen der Betrug egal ist. Die Politik musste natürlich empört sein.
Sie haben Tesla-Chef Elon Musk als Genie bezeichnet, aber prognostizieren Teslas baldige Pleite.
Elon Musk ist ein Genie, das jedes Hindernis wegräumt und seinen Traum erfüllt. Er ist optimistisch bis zur Selbsttäuschung, aber die Erreichung seiner Ziele ist für ihn das Wichtigste.
Und was macht Musk falsch?
Bis vor einem Jahr handelte er völlig frivol. Neue Werke zu eröffnen ohne Geld – das ist absurd, wenn man mehr Gehaltsempfänger als General Motors hat, aber nur 200’000 Autos produziert gegenüber 9,5 Millionen bei GM. Und Marihuana im Fernsehen rauchen – das macht man einfach nicht.
Hat er noch eine Chance?
Seit ihm die US-Börsenaufsicht eine VR-Präsidentin aufgezwungen hat, handelt er nüchterner, das gibt Hoffnung. Aber die Autoindustrie ist so kapitalintensiv, dass es für Newcomer fast unmöglich ist, sich zu etablieren – da hilft auch kein grotesk überzogener Aktienkurs. Und das Tesla-Monopol ist am Ende. In sechs Monaten wird jeder namhafte Anbieter Modelle mit 300 bis 450 Kilometern Reichweite haben.
Blick in die Zukunft: Wie werden wir in 20 Jahren fahren?
Die Metropolen wird man weltweit für Privatfahrzeuge sperren und stattdessen Robo-Taxi-Flotten einsetzen. Diese Module werden aussehen wie Toaster auf Rädern, ständig in Bewegung sein und Firmen wie Uber oder Lyft gehören. Und Marke und Design werden egal sein – Hauptsache, die Fahrt ist günstig. Selbst wenn man auf dem Land wohnt und noch ein eigenes Auto hat, wird man sich in ein zentrales Steuerungssystem einloggen müssen. Auf der Autobahn werden die autonomen Autos als virtuelle Züge Stossstange an Stossstange mit bis zu 350 km/h verkehren.
Das tönt langweilig. Was ist dann zum Beispiel mit Oldtimern?
Die werden auf elektrisch angetriebenen Plattformen an Paraden gezeigt. In zwei Generationen wird niemand mehr Auto fahren können.
Tut Ihnen das nicht weh?
Klar tut es das. Aber ich bin Realist. Und ich war schon immer fasziniert von der Technik der Zukunft. Wir verlieren das Romantische am Fahren, aber wir gewinnen Sicherheit – statt 41’000 Verkehrstoten pro Jahr alleine in den USA. Ältere, Blinde oder Kinder, die heute nicht fahren können und dürfen, werden mehr Mobilität geniessen. Und wir werden nie wieder Zeit und Produktivität im Stau vergeuden.
Wird das auch das Ende des ÖV?
Vielleicht. Aber man kann ja die autonomen Module weiss-blau lackieren und sie als Züri-Tram bezeichnen.
Als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde, haben Sie Sympathie für ihn gezeigt. Wie sehen Sie ihn heute?
Die US-Industrie profitiert enorm von der Trump-Administration; die Handelsbilanz hat sich massiv verbessert. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Amerika dem Rest der Welt auf die Füsse geholfen. Die USA waren über Jahrzehnte zollfreier Absatzmarkt für die ganze Welt. Umgekehrt haben unsere Handelspartner US-Produkte mit Zöllen belegt und machten sie unverkäuflich. Ich bin mir sicher: Europäische und chinesische Politiker wundern sich im Stillen, warum die USA das so lange toleriert haben.
Was erwarten Sie für die Zukunft?
Die neuen Handelsabkommen werden erst langfristig Wirkung zeigen. Aber der Industrie-Exodus ist jetzt schon gestoppt. Selbst wenn – was unwahrscheinlich ist – ein Demokrat Präsident werden sollte, wird er diese Handelspolitik nicht rückgängig machen. Die Demokraten wissen, dass Trump in dieser Hinsicht recht hat.
Kennen Sie Trump persönlich?
Ein wenig. Er hat Humor und was viele nicht vermuten: Er ist nicht dumm. Er spielt gern den Dummen, um seine Gegner zu täuschen. Sein Hirn ist wie ein Schachbrett, auf dem er seine Züge weit im Voraus plant.
Und seine oft wirren Tweets?
Wenn er dummes Zeug tweetet, dann sind die linken US-Medien damit beschäftigt. Und schauen nicht danach, was er tatsächlich tut. Ich finde ihn genial.
Zürcher Bankerssohn, Kampfpilot und Top-Automanager: Robert «Bob» Anthony Lutz (88) ist eine schillernde Persönlichkeit. Als Schüler zeichnete er lieber Autos, statt dem Matheunterricht zu folgen. Dennoch schaffte er es, seinen Traum einer Karriere als Manager in der Autoindustrie zu verwirklichen: Er arbeitete unter anderem bei BMW sowie den US-Konzernen Chrysler, Ford und General Motors (GM). Lutz ist zum fünften Mal verheiratet, hat vier erwachsene Töchter und lebt mit seiner Frau Terri (58) auf der Lutz Farm in Ann Arbor im US-Bundesstaat Michigan.
Zürcher Bankerssohn, Kampfpilot und Top-Automanager: Robert «Bob» Anthony Lutz (88) ist eine schillernde Persönlichkeit. Als Schüler zeichnete er lieber Autos, statt dem Matheunterricht zu folgen. Dennoch schaffte er es, seinen Traum einer Karriere als Manager in der Autoindustrie zu verwirklichen: Er arbeitete unter anderem bei BMW sowie den US-Konzernen Chrysler, Ford und General Motors (GM). Lutz ist zum fünften Mal verheiratet, hat vier erwachsene Töchter und lebt mit seiner Frau Terri (58) auf der Lutz Farm in Ann Arbor im US-Bundesstaat Michigan.