«Ich weiss nicht, ob das die richtige Lösung ist!»
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Tempo 30 in der Stadt Zürich:«Ich weiss nicht, ob das die richtige Lösung ist!»

Projekte auch in der Schweiz
Europas Städte verbannen die Autos

Immer mehr europäische Metropolen wollen ihre Innenstädte autofrei machen und den Bewohnerinnen und Bewohnern mehr Platz und Lebensqualität zurückgeben. In der Schweiz nimmt dabei Lausanne eine Pionierrolle ein: Bis 2030 sollen Verbrenner von den Strassen verschwinden.
Publiziert: 02.07.2022 um 03:33 Uhr
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Aktualisiert: 10.11.2023 um 00:27 Uhr
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Immer mehr Metropolen wie die französische Hauptstadt Paris wollen Autos mit Verbrennungsmotor aus dem Zentrum verbannen.
Foto: Getty Images
Andreas Engel

Für Verbrenner-Fans war es Mitte November ein Schock: An der Weltklima-Konferenz in Glasgow (GB) hatten 31 Länder – unter ihnen Grossbritannien und Indien – und elf Autobauer (u.a. Daimler, Ford, GM, Jaguar Land Rover) eine Einigung unterzeichnet, wonach alle Neuwagen bereits ab 2035 auf den grossen Weltmärkten emissionsfrei sein sollen. Global soll es dann 2040 so weit sein.

Doch so sehr das die Luftqualität in der City verbessern dürfte, so wenig wird es am Dauerstau der Innenstädte ändern: Auch E-Autos verstopfen Strassen. Und wenn autonome Autos kommen? Laut einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) könnte das sogar erst recht zur Verstopfung führen, wenn man vom ÖV auf selbstfahrende Taxis umsteigt (mehr im Interview mit ETH-Professor Siegwart: «Das autonome Auto muss lernen, Regeln zu brechen»).

Autos brauchen enorm Platz

Und die Städte der Welt wachsen: Bis 2050 soll sich der Anteil der in Metropolen lebenden Weltbevölkerung von heute 57 auf mehr als 68 Prozent erhöhen. Statt Individualverkehr mehr Platz zu geben, fordern Politik und Klimaschützer jetzt ein Umdenken, Innenstädte den Menschen zurückzugeben. Denn Zahlen zeigen die Ungleichheit zwischen Mensch und Maschine: In der österreichischen Hauptstadt Wien etwa werden nur 27 Prozent der Wege per Auto zurückgelegt – doch dafür 65 Flächenprozente der City für Strassen und Parkplätze genutzt.

Die Wiener Stadtregierung plant, den Anteil der Autofahrten bis 2030 weiter auf 15 Prozent zu senken. Gelingen soll das laut der Initiative «Platz für Wien», die von der TU Wien beraten wird, nicht nur mit mehr Velowegen, sondern auch mit deutlich höheren Parkgebühren und verkehrsberuhigten Quartieren. Wien solle dabei nicht komplett autofrei werden, beteuern die Initianten: Krankenfahrten, Zubringer und andere notwendige Transporte sollen weiterhin möglich sein.

Stadt Zürich wird zur Tempo-30-Zone

Diese Woche gab der Zürcher Stadtrat Details zum neuen Verkehrsregime in der grössten Stadt der Schweiz bekannt. Ganz oben auf der Prioritätenliste der grünen Stadträtin Karin Rykart (50, Bild), Vorsteherin des Sicherheitsdepartements: die flächendeckende Einführung von Tempo 30. Gilt diese tiefe Höchstgeschwindigkeit derzeit auf rund 37 Kilometern, sollen nun mit der dritten Etappe 150 weitere Strassenkilometer hinzukommen. Grund: Heute lebt rund ein Drittel der Stadtzürcher Bevölkerung, also rund 100'000 Personen, an einem Ort, an dem der Strassenlärm zu laut sei. Werde das Maximaltempo von 50 auf 30 km/h reduziert, nehme der Verkehrslärm um drei Dezibel ab. Dies entspreche in der Wahrnehmung einer Halbierung der Verkehrsmenge. Rykart sagt aber auch: «Auf Hauptachsen in und aus der Stadt gilt nach wie vor Tempo 50.» Wo hingegen der Lärm gross sei und die Besiedlung dicht, werde Tempo 30 oder Tempo 30 in der Nacht kommen.

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Diese Woche gab der Zürcher Stadtrat Details zum neuen Verkehrsregime in der grössten Stadt der Schweiz bekannt. Ganz oben auf der Prioritätenliste der grünen Stadträtin Karin Rykart (50, Bild), Vorsteherin des Sicherheitsdepartements: die flächendeckende Einführung von Tempo 30. Gilt diese tiefe Höchstgeschwindigkeit derzeit auf rund 37 Kilometern, sollen nun mit der dritten Etappe 150 weitere Strassenkilometer hinzukommen. Grund: Heute lebt rund ein Drittel der Stadtzürcher Bevölkerung, also rund 100'000 Personen, an einem Ort, an dem der Strassenlärm zu laut sei. Werde das Maximaltempo von 50 auf 30 km/h reduziert, nehme der Verkehrslärm um drei Dezibel ab. Dies entspreche in der Wahrnehmung einer Halbierung der Verkehrsmenge. Rykart sagt aber auch: «Auf Hauptachsen in und aus der Stadt gilt nach wie vor Tempo 50.» Wo hingegen der Lärm gross sei und die Besiedlung dicht, werde Tempo 30 oder Tempo 30 in der Nacht kommen.

Barcelona schafft «Superblocks»

Noch weiter geht Graz (A). Die amtierende Bürgermeisterin Elke Kahr (60) sagt gegenüber dem «Standard»: «Ich finde, dass mit Ausnahme der Bewohnerinnen und Bewohner der Innenstadt, für die Ladetätigkeit und natürlich für Behindertenparkplätze niemand mit dem Auto privat in die Innenstadt fahren muss». Graz soll autofrei werden, dafür die Trams und Velos gestärkt werden.

Während Autofreiheit in Graz am Anfang steht, ist man in der katalanischen Metropole Barcelona weiter. Seit rund drei Jahren lässt Bürgermeisterin Ada Colau (47) «Superblocks» testen: verkehrsberuhigte Zonen von meist neun Häuserblocks. Zu Fuss und per Velo hat Vorrang, nur Anwohner- und Lieferverkehr oder Rettungsdienste dürfen in die mit Blumenkübeln, Bänken und Tischen verbarrikadierten Zonen. Es gilt dort ein Tempolimit von 10 km/h.

Dass gerade diese Megacity eine Vorreiterin bei autofreien Innenstadtkonzepten ist, hat einen simplen Grund: Die von der EU festgelegten Schadstoffwerte werden in Barcelona regelmässig überschritten. Der Stadt drohen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und hohe Bussen. Um das zu verhindern, plant Barcelona weitere «Superblocks» – am Ende könnte es 500 von ihnen geben.

Paris verbannt die Verbrenner

Auch in Paris, Stadt der Liebe und des chronischen Verkehrskollapses, tut sich was. Um die dauerüberfüllten Strassen der französischen Hauptstadt den Bewohnern zurückzugeben, plant die Stadtregierung um Bürgermeisterin Anne Hidalgo (62) ab 2022 verkehrsberuhigte Zonen ähnlich wie Barcelona. Nur noch Anwohnerinnen und Anwohner, Touristen, Lieferanten und Taxis dürfen rein. Die Quartiere als Schleichwege zu nutzen, ohne anzuhalten, soll verboten werden.

Zudem sollen viele der seit der Pandemie entstandenen Pop-up-Velowege zu fixen Radkorridoren werden. 2024 werden Diesel verbannt, 2030 alle Autos mit Verbrenner. Seit Ende August gilt auf den meisten Strassen ein Tempolimit von 30 km/h. Hidalgo hat noch eine Vision: Paris solle sich in eine «15-Minuten-Stadt» verwandeln, in der Wohnen, Arbeiten, Essen, Einkaufen, Freizeit, Kultur und Gesundheit für alle stets im Umkreis von nur 15 Minuten zu Fuss liegen.

Lausanne als Schweizer Vorbild

Denselben Weg wie Paris will auch die Waadtländer Kantonshauptstadt Lausanne gehen. Anfang 2021 stellte man ehrgeizige Ziele vor: klimaneutrale Mobilität bis 2030 und Reduktion aller direkten Emissionen bis 2050. Um das zu schaffen, sollen in Lausanne bis 2030 alle Verbrenner von den Strassen verschwinden – die Stadt am Genfersee wird zur Vorreiterin in der Schweiz und zum Vorbild für andere Schweizer Städte. Zürich will klimaneutrale Mobilität 2040, Basel 2050 haben.

Sie sei nicht grundsätzlich gegen Autos, erklärt Florence Germond (45), SP-Stadträtin und Vorsteherin des Finanz- und Verkehrsdepartements, dem Magazin «Moneta». «Letztlich wünsche ich mir eine Stadt, in der der öffentliche Raum wieder dem Menschen gehört. Ich bin nicht gegen Autos, ich möchte nur mehr Fussgänger, mehr Velofahrerinnen, mehr Raum für Spiel und Begegnung auf unseren Strassen.» Weniger Parkplätze, mehr Velowege, ein Ausbau des ÖV – auch in Lausanne will man so den Verkehr langsam aus der Stadt hinausbringen. Ganz ohne Gegenwehr dürfte das aber kaum gelingen.

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