An Kalifornien erinnert in der Huttenstrasse mitten in der Zürcher City nichts. Wir stehen in einem ruhigen Wohnquartier unweit der ETH, laufen vorbei an idyllisch-alten Wohnhäusern mit bunten Fassaden, bis wir an der Ecke Schmelzbergstrasse die unscheinbare Züri Garage entdecken. Garagenbetriebe sind inmitten der Limmatstadt ohnehin eine Rarität. Doch noch etwas ist besonders an dieser nur auf den ersten Blick kleinen Quartiergarage.
Hier am Fusse des Zürichbergs hat Züri-Garagen-Besitzer Fadel Bouhouch (44) im Sommer 2020 zusammen mit Metin Kabay (40), Pascal Kienast (41) und Jürg Burger (40) die drivemycar AG gegründet und seither die Fahrzeugsharing-Plattform drivemycar entwickelt. Heute ist der offizielle Launch – gefeiert wird ganz konventionell: mit bunten Ballons, Technomusik und Wurst vom Grill. «Weniger für mehr», beschreibt Bouhouch, der nicht nur Co-Gründer, sondern auch CEO von drivemycar ist, das unkonventionelle Motto der Plattform. «Wir setzen uns für weniger herumstehende Autos ein, für weniger Stau, weniger Parkplatzmangel, weniger Umweltbelastung. Das alles ist ohne Verzicht möglich».
Einzigartig in Europa
Was nach der Zukunftsvision eines Vordenkers aus dem Silicon Valley klingt, ist letztlich eine durchdachte Business-Idee: Über die Plattform sollen Privatkunden ihr eigenes Auto an andere Privatpersonen vermieten, Firmen ihr Flottenmanagement abwickeln oder Verwaltungen von grossen Überbauungen Fahrzeuge für die Bewohnerinnen und Bewohner im Sharing-System anbieten.
«Kundinnen und Kunden von drivemycar müssen sich um nichts kümmern: Vom Einbau der Telematik-Box über Abrechnungen, Auszahlungen und Terminkontrollen bis zur Versicherungslösung und Schadenmanagement machen alles wir», sagt Bouhouch und ergänzt: «Wir sind die erste Plattform Europas, die sogar die Vermietung von Fahrzeugen hinter Barrieren wie Garagentoren möglich macht – das alles funktioniert rein digitalisiert.»
Smartphone als Autoschlüssel
Wie einfach es ist, sich über die App ein Auto zu mieten, können wir vor Ort gleich selber ausprobieren: App runterladen, Profil erstellen und die nötigen Dokumente wie Führerausweis und ID einscannen, Kreditkarte zur Abrechnung hinterlegen – fertig. Nach wenigen Minuten können wir eines der von der Züri Garage bereitgestellten Autos reservieren. Wir entscheiden uns für den seit kurzem erhältlichen Ministromer Microlino. Über die App wird das Fahrzeug, das von der Züri Garage oder einem der zukünftigen 90 schweizweiten Partnerbetriebe zuvor mit der notwendigen Hardware zum Öffnen, Schliessen und Bedienen des Autos versehen wird, entsperrt – ähnlich wie bei den mittlerweile etablierten E-Scootern.
Zur Feier des Tages kostet die Testfahrt heute nur einen Franken, sonst starten die Mietpreise je nach Modell bei 3.90 Franken pro Stunde – inklusive Versicherung. Die Vermietenden könnten im Schnitt 400 Franken im Monat mit ihrem Fahrzeug verdienen, wenn sie es etwa in ihren Ferien oder an Tagen ohne eigenen Bedarf zur Verfügung stellen. 30 Prozent der Einnahmen würden dabei an die Plattform gehen, die damit nicht nur die App weiterentwickelt, sondern die Kundinnen und Kunden bei Bedarf rund um die Uhr supportet. «Sie profitieren zusätzlich von einer Fahrzeugsicherung und Diebstahlüberwachung, Absicherung gegen Parkschäden und einer Tank- oder Ladekarte inklusive Rabatt», erklärt Bouhouch. Über drivemycar liessen sich aber auch ganze Firmenflotten digitalisieren, um sie effizienter auszulasten und Prozesse zu automatisieren.
Langjährige Erfahrung nutzen
Doch wie kommt eine vermeintlich kleine Garage dazu, quasi im Alleingang eine hochkomplexe Plattform aufzubauen, die nichts weniger als ein neues «Mobilitätsökosystem» im deutschsprachigen Raum schaffen will? «Sieben Jahre lang haben wir in der Züri Garage die Telematik für das Carsharing-Unternehmen Sharoo eingebaut – durchschnittlich acht bis zehn Autos im Monat», so Bouhouch. Als sie im April 2020 aus dem Nichts die Nachricht über das Ende der Plattform erreichte, fassten Bouhouch und seine Kollegen den Beschluss, eine eigene Fahrzeugsharing-Plattform aufzubauen. «Unsere langjährige Erfahrung und unser aufgebautes Know-how wollten wir nicht einfach aufgeben».
Zuerst wolle man sich nun auf den Schweizer Markt konzentrieren. Später das Angebot auf Österreich und Deutschland ausweiten. Fadel Bouhouch ist überzeugt, mit drivemycar den Zeitgeist zu treffen: «Wir haben heute von allem viel zu viel. Die Umwelt leidet. Gleichzeitig wird alles immer teurer, die Ressourcen knapper. Wenn wir teilen, was wir haben, können wir weniger besitzen und trotzdem mehr nutzen. Mehr für weniger muss also kein Widerspruch sein». Mit seinem Schlusswort unterstreicht Fadel Bouhouch: Vordenker gibts nicht nur im Silicon Valley – sondern auch am Zürichberg.