Die Gründer der Schweizer SUV-E-Bike-Marke Miloo im grossen Interview
«Die Schweiz könnte zum neuen Holland werden»

Anna Bory und Daniel van den Berg sind die Gründer der Schweizer Mikro-Mobilitäts-Marke Miloo. Ihre Vision: Mit SUV-ähnlichen E-Bikes die Menschen von vier auf zwei Räder locken, um so die Mobilität in Städten grundlegend zu verändern.
Publiziert: 24.07.2022 um 18:30 Uhr
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Aktualisiert: 28.06.2024 um 10:53 Uhr
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Im März hat die junge Schweizer E-Bike-Marke Miloo um das Gründerpaar Anna Bory und Daniel van den Berg nach Genf ihren zweiten Showroom in Zürich in der Nähe der Bahnhofstrasse eröffnet.
Foto: Thomas Meier
Andreas Engel

Anna und Daniel, wie kommt man dazu, eine E-Bike-Marke zu gründen?
Daniel van den Berg: Das Thema Mobilität fasziniert mich seit meiner Kindheit, und ich habe schon als kleiner Junge selber Velos zusammengeschraubt. Nachdem wir beide einige Jahre in China gelebt und gearbeitet hatten, wo das Thema Mikromobilität schon viel länger als bei uns existiert, sagten wir uns nach unserer Rückkehr: Wir müssen was machen, die Welt muss sich dringend verändern.
Anna Bory: In den grossen asiatischen Städten bewegt sich praktisch jeder mit kleinen Vehikeln wie Scootern oder Velos fort – selbst CEOs. Der Verkehr ist dermassen schlimm, dass man mit dem Auto schlicht nicht vorwärtskommt. Und da es in Asien kaum Regulationen für solche Mikromobilitätslösungen gibt, werden dort fast wöchentlich neue Innovationen auf den Markt gebracht, wovon sich die besten durchsetzen. Asien ist punkto Mikromobilität immer einen Schritt voraus. Mit diesem Vorwissen kehrten wir zurück und stellten fest, dass im Westen genau das kreiert wird, was in Asien schon längst passiert ist, und der Verkehr teils noch chaotischer ist. Die Idee von Miloo ist vom Bedürfnis getrieben, dass die Leute die Art und Weise, wie sie pendeln, verändern müssen.

Persönlich: Anna Bory

Anna Bory (39) ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Nach ihrem Abschluss an der HEC Lausanne startete sie ihre Karriere im Bereich Marketing in Paris und Genf, bevor sie ein Masterstudium in New York absolvierte und vier Jahre für die internationale Werbeagentur Young & Rubicam arbeitete. Nach weiteren zehn Jahren in Asien als Marketingchefin für Audi kehrte Bory 2019 als Marketingdirektorin für Cartier nach Genf zurück. Anschliessend stiess sie als Co-Gründerin von Miloo an die Seite von Daniel van den Berg dazu. Die beiden sind verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter.

Miloo-Co-Gründerin Anna Bory im neu eröffneten Store in der Nähe der Zürcher Bahnhofstrasse.
Thomas Meier

Anna Bory (39) ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Nach ihrem Abschluss an der HEC Lausanne startete sie ihre Karriere im Bereich Marketing in Paris und Genf, bevor sie ein Masterstudium in New York absolvierte und vier Jahre für die internationale Werbeagentur Young & Rubicam arbeitete. Nach weiteren zehn Jahren in Asien als Marketingchefin für Audi kehrte Bory 2019 als Marketingdirektorin für Cartier nach Genf zurück. Anschliessend stiess sie als Co-Gründerin von Miloo an die Seite von Daniel van den Berg dazu. Die beiden sind verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter.

E-Bike-Marken gibts allerdings wie Sand am Meer. Warum braucht es noch eine?
Anna Bory: Weil die meisten Unternehmen in der Fahrradindustrie den Kunden nicht richtig zuhören. Sie bieten Bikes an, ohne die Leute zu fragen, was sie eigentlich brauchen. Wir wollten zuerst auch einen Lautsprecher am Bike anbringen, und einen Kühlschrank für Getränke – das war unsere Vorstellung eines coolen Bikes. Aber dann haben wir die Menschen gefragt, genau zugehört und festgestellt: Die meisten wollen vor allem Sicherheit.
Daniel van den Berg: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Heute sind höchstens zwei Prozent der Bevölkerung mit einem E-Bike unterwegs. Und statt auf die zwei Prozent zu hören, die sich schon mit E-Bikes auskennen, wollten wir auf die Bedürfnisse der anderen 98 Prozent eingehen. Und viele fühlen sich heute auf einem Velo unsicher. Wir haben deshalb extrabreite Reifen montiert, weil man sich damit automatisch sicherer fühlt und zum Beispiel auch nicht in Tramgleisen stecken bleibt. Für mehr Sicherheit in der Nacht haben wir die stärksten Scheinwerfer verbaut, die momentan zu kaufen sind – heller als bei vielen Autos. Unsere 45er-Modelle haben wir zudem mit Blinkern ausgestattet, damit man bei hohem Tempo nicht den Arm ausstrecken muss. Und fast am wichtigsten: Wir haben einen Hebel am Lenker, womit die Bikes automatisch losfahren, ohne dass man treten muss. Viele unserer Kunden sind CEOs und Geschäftsleute, die ohne zu schwitzen am Arbeitsplatz ankommen wollen. Dank ihrer Feedbacks haben wir dieses Feature verbaut.

Persönlich: Daniel van den Berg

Der niederländisch-mexikanische Doppelbürger Daniel van den Berg (32) ist in Mexiko geboren und aufgewachsen. Als Jugendlicher lebte er zehn Jahre in den Niederlanden und gründete im Alter von 14 Jahren sein erstes Start-up – vier weitere sollten folgen. Nach zehn Jahren als General Manager beim internationalen Transportunternehmen Wrist, für das er in Dänemark, China und den USA arbeitete, kehrte van den Berg in die Welt des Unternehmertums zurück und gründete 2018 die E-Bike-Marke Miloo. Seit zwei Jahren wohnen Anna und Daniel zusammen in Genf, wo sie 2020 den ersten Miloo-Store eröffnet haben.

Miloo-Co-Gründer Daniel van den Berg im neu eröffneten Store in der Nähe der Zürcher Bahnhofstrasse.
Thomas Meier

Der niederländisch-mexikanische Doppelbürger Daniel van den Berg (32) ist in Mexiko geboren und aufgewachsen. Als Jugendlicher lebte er zehn Jahre in den Niederlanden und gründete im Alter von 14 Jahren sein erstes Start-up – vier weitere sollten folgen. Nach zehn Jahren als General Manager beim internationalen Transportunternehmen Wrist, für das er in Dänemark, China und den USA arbeitete, kehrte van den Berg in die Welt des Unternehmertums zurück und gründete 2018 die E-Bike-Marke Miloo. Seit zwei Jahren wohnen Anna und Daniel zusammen in Genf, wo sie 2020 den ersten Miloo-Store eröffnet haben.

Ihr bezeichnet eure Modelle als die SUVs unter den E-Bikes. Warum? Und warum müssen sie so massiv und schwer sein?
Anna Bory: Wir möchten, dass die Menschen vom Auto auf ein E-Bike umsteigen. Deshalb müssen die Bikes dieselben Ansprüche erfüllen. Die Leute wollen ihren Lifestyle nicht verändern und weiter Einkäufe transportieren, die Kinder zur Schule bringen oder einfach sicher und bequem von A nach B kommen. Um beim Beispiel zu bleiben: Niemand kauft ein grosses Auto mit schmalen Reifen. Die breiten Pneus helfen nicht nur beim Beschleunigen und Bremsen, sondern haben auch deutlich mehr Grip auf den teils schlechten und abfallenden Velospuren am Strassenrand. Und natürlich ist man so auch offroad sicherer unterwegs – deshalb bezeichnen wir unsere Modelle als SUV-E-Bikes.

Das Miloo Beast im Test: So fährt das SUV-E-Bike

Im Rahmen des Interviews konnte Mobilitätsredaktor Andreas Engel sowohl das Classy Beast (25 km/h) als auch das Mighty Beast (45 km/h) selber unter die dicken Räder nehmen (hier gehts zum ausführlichen Test). Der erste Eindruck: Ein Leichtgewicht ist das E-Bike mit über 35 Kilo nicht – bei Wendemanövern und in engen Kurven fehlts dem Beast spürbar an Agilität. Doch das Bike soll vor allem Komfort und Sicherheit bieten – und hier kann es punkten: Dank der hohen Sitzposition auf dem bequemen Sattel thront man wie ein König auf dem Velostreifen. Die breiten 29-Zoll-Reifen nehmen Tramschienen jeden Schrecken. Und dank der Anfahr-Automatik ist das Beast auch für Schaltfaule geeignet: An der Ampel beschleunigt das Classy Beast mit 500-Watt-Heckmotor bis 20 km/h, erst danach muss man wieder selbst treten.

Das stärkere Mighty Beast (750 Watt) tritt noch kräftiger an, beschleunigt über den Gashebel je nach Unterstützungsstufe fast bis zur Spitze von 45 km/h und lässt selbst Autos an der Ampel stehen. Für Pendlerinnen und Städter können die E-Bikes dank diverser Anwendungszwecke tatsächlich zum valablen Ersatz fürs Auto werden. Während das Classy Beast bereits ab preiswerten 3650 Franken startet, schlägt das 45er-Topmodell mit mindestens 6375 Franken zu Buche. Im Preis inbegriffen ist eine umfangreiche Serienausstattung wie zwei Aussenspiegel, ein dynamisches Blinkersystem, Hupe und Lichtautomatik mit Fernlichtfunktion sowie ein Zusatzakku im Gepäckträger, der für Reichweiten von bis zu 100 Kilometern sorgt (Classy Beast: 50–70 km).

Mobilitätsredaktor Andreas Engel konnte das Classy Beast eine Woche lang auf Zürichs Strassen testen.
Thomas Meier

Im Rahmen des Interviews konnte Mobilitätsredaktor Andreas Engel sowohl das Classy Beast (25 km/h) als auch das Mighty Beast (45 km/h) selber unter die dicken Räder nehmen (hier gehts zum ausführlichen Test). Der erste Eindruck: Ein Leichtgewicht ist das E-Bike mit über 35 Kilo nicht – bei Wendemanövern und in engen Kurven fehlts dem Beast spürbar an Agilität. Doch das Bike soll vor allem Komfort und Sicherheit bieten – und hier kann es punkten: Dank der hohen Sitzposition auf dem bequemen Sattel thront man wie ein König auf dem Velostreifen. Die breiten 29-Zoll-Reifen nehmen Tramschienen jeden Schrecken. Und dank der Anfahr-Automatik ist das Beast auch für Schaltfaule geeignet: An der Ampel beschleunigt das Classy Beast mit 500-Watt-Heckmotor bis 20 km/h, erst danach muss man wieder selbst treten.

Das stärkere Mighty Beast (750 Watt) tritt noch kräftiger an, beschleunigt über den Gashebel je nach Unterstützungsstufe fast bis zur Spitze von 45 km/h und lässt selbst Autos an der Ampel stehen. Für Pendlerinnen und Städter können die E-Bikes dank diverser Anwendungszwecke tatsächlich zum valablen Ersatz fürs Auto werden. Während das Classy Beast bereits ab preiswerten 3650 Franken startet, schlägt das 45er-Topmodell mit mindestens 6375 Franken zu Buche. Im Preis inbegriffen ist eine umfangreiche Serienausstattung wie zwei Aussenspiegel, ein dynamisches Blinkersystem, Hupe und Lichtautomatik mit Fernlichtfunktion sowie ein Zusatzakku im Gepäckträger, der für Reichweiten von bis zu 100 Kilometern sorgt (Classy Beast: 50–70 km).

Mehr Gewicht bedeutet aber auch weniger Reichweite …
Daniel van den Berg: Natürlich wird das Bike durch die umfangreiche Ausstattung schwerer. Fakt ist zudem: Die Batterie bereitet den Kunden am meisten Sorgen, man muss sie pflegen, und sie ist teuer. Deshalb wollen wir ihnen dieses Problem abnehmen. Wir haben soeben in Genf ein Pilotprojekt gestartet, bei dem Kunden den Akku nicht kaufen, sondern mieten und ihn an wichtigen Knotenpunkten wie etwa Bahnhöfen austauschen können – Tankstellen für E-Bikes quasi. Über unsere App sieht man, wo sich die nächste Tauschstation befindet. So muss man die Akkus nie wieder selber aufladen. Nun wollen wir herausfinden, ob das tatsächlich ein Business Case ist, den wir in Zukunft allen unseren Kunden anbieten können.

Bisher gibts eure Miloo-Bikes nur in der Schweiz – kürzlich habt ihr den ersten Store der Deutschschweiz in Zürich eröffnet. Gibts Pläne, auch ins Ausland zu expandieren?
Daniel van den Berg: Natürlich möchten wir weiter wachsen. Aber letztlich können wir nur Erfolg haben, wenn wir auch auf unserem Heimatmarkt erfolgreich sind. Und für die Schweiz als das wohl am meisten dezentralisierte Land der Welt ist unser Beast wie geschaffen: Die Leute können auf dem Land wohnen, aber trotzdem in die Stadt pendeln. Wir sehen riesiges Potenzial und wachsen momentan stark, vor allem im Tessin, der Romandie und in der Region Zürich. Nächstes Jahr wollen wir zudem nach Basel, Luzern und Schaffhausen expandieren. Früher oder später wollen wir mit Miloo auch ins Ausland gehen – es gibt schon jetzt eine grosse Nachfrage. Doch wir wollen nachhaltig wachsen und lieber weniger Bikes verkaufen, aber dafür eine zufriedene Community aufbauen. Der wichtigste Botschafter für dein Produkt ist am Ende immer der Kunde.

Euer erster Prototyp wurde gestohlen. Stimmt das?
Anna Bory: Leider ja, das war eine brutale Erfahrung. Ende 2019 waren wir nach Jahren der Entwicklung endlich an einem Punkt angekommen, an dem der Prototyp schon sehr nah an der Serienversion war. Wir stellten das Bike vor unserem Haus in Genf ab – eine Stunde später war es weg! So etwas wollten wir nie wieder erleben, deshalb sind unsere E-Bikes auch alle mit GPS ausgestattet und wir arbeiten mit der Polizei zusammen, um alle gestohlenen Bikes zurück zu bekommen.

Wie wird sich die E-Bike-Industrie in den nächsten Jahren verändern?
Anna Bory: Es gibt zwei grosse Trends. Zum einen wurden Velos bisher vor allem in der Freizeit benutzt, weshalb auch die Verkaufszahlen lange stagnierten. Jetzt werden sie mehr und mehr zu Transportmitteln, welche die Leute täglich von A nach B bringen. Es gab jedoch seit 50 Jahren keine wirklichen Innovationen mehr auf dem Markt, und wenn, dann kamen sie von den grossen Teileherstellern wie Bosch. Wenn man heute ein E-Bike kauft, hat man meist die Wahl zwischen einem billigen und einem teuren Bosch-Bike, das man bei einem Händler kauft, der die Bikes importiert und der dadurch Dutzende unterschiedliche Modelle im Angebot hat. Bei einem Defekt kann das für die Kunden sehr mühsam werden, weil die meisten kleinen Shops mit dem riesigen Angebot überfordert sind und spezifische Probleme nicht selber lösen können. Das System ist verschlossen von Teileherstellern und den Händlern – und dieses System wollen wir durchbrechen: mit eigenen Shops, eigenem Vertrieb und speziell ausgebildeten Mechanikern. Und wir sind nicht die Einzigen mit diesem neuen Konzept: Es gibt viele neue Marken, die das Velo wieder als Transportmittel sehen. Die Bike-Industrie erlebt aktuell einen grossen Wandel.

Werden sich dadurch auch unsere Städte verändern?
Anna Bory: Die Verkehrssituation dürfte deutlich besser werden. Aber dafür müssen die Städte zuerst ihre Infrastruktur anpassen – so wie etwa in Holland: Dort gibts breite Highways und riesige Kreisel nur für Velos – wirklich fantastisch!
Daniel van den Berg: Die wichtigste Rolle, um eine gute Infrastruktur aufzubauen, spielt die Politik. In Amsterdam beispielsweise hat die Regierung sogar ein eigenes Mobilitätsdepartement geschaffen. Doch auch in der Schweiz stellen wir einen Wandel fest: In Genf etwa gibts schon spezielle Routen nur für Velos und E-Bikes – die Schweiz hat das Potenzial, zu einem neuen Holland zu werden! Bis sich aber auch das Denken der Bevölkerung verändert und über wichtige Infrastruktur-Projekte abgestimmt wird, dauert es noch einige Jahre.
Anna Bory: Und auch die allgemeine Verkehrslage sowie das ÖV-Angebot spielen eine Rolle. Hier in Zürich ist das ÖV-Netz deutlich besser als zum Beispiel in Genf, weshalb der Wandel länger dauert. Der Trend geht aber da hin, dass die Orte in Städten, zwischen denen sich die Leute bewegen, näher zusammenrücken – das konnte man auch schon während der Pandemie beobachten. Und wenn die Menschen vermehrt in der Nachbarschaft einkaufen, dort trinken oder essen gehen, braucht es das Auto am Schluss nicht mehr.

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