Der Wettergott ist heute kein Velofreund: An diesem Mai-Mittwoch hat der SonntagsBlick zum grossen E-Bike-Test geladen. Lieferanten und Vertreiber stehen pünktlich parat, die Tester aus der Redaktion warten gespannt darauf, endlich in die Pedalen treten zu können. Und dann das: Kaum haben wir die letzten Instruktionen vor dem Start erhalten, fallen die ersten Tropfen – schnell regnets aus den sprichwörtlichen Kübeln.
Doch da müssen wir jetzt durch – genau wie die Tausenden Pendler, die täglich auf ihren Drahtesel steigen, um zur Arbeit oder zum Bahnhof und abends wieder zurückzugelangen. Besonders in den grossen Zentren setzen immer mehr aufs E-Bike statt auf Auto oder ÖV – die elektrisch unterstützten Velos boomen wie nie zuvor, jedes dritte Bike wird heute als E verkauft.
Trekking-Bikes sind Allrounder
Besonders beliebt sind dabei Modelle, die sowohl in der Stadt als auch auf längeren Touren ausserhalb genutzt werden können. Solche Trekking-Bikes sind echte Allrounder: Sie bieten viel Reichweite, sind meist mit Komfortfeatures wie Federgabel, Gepäckträger oder fixem Licht ausgestattet und scheuen dank der breiteren Reifen auch Wald- oder Kieswege nicht.
Vier der getesteten E-Bikes sind sogenannte Tiefeinsteiger. Diese eher als Damenvelos bekannten Modelle sind laut den Herstellern die Bestseller der Marken: Sie sind komfortabel zum Aufsteigen und können somit «unisex» und universell in der Familie genutzt werden – egal ob für den regelmässigen Pendler oder fürs Grosi.
Ampler Stout: Der Styler
Ein Bike sticht schon optisch aus der Masse heraus: Ampler, der einzige ausländische Hersteller im Test mit Sitz in Estland, ist seit wenigen Monaten auch in der Schweiz vertreten. Das Stout genannte Modell ist als einziges «Herrenrad» mit hohem Einstieg im Test dabei und kann ab der ersten Sekunde mit seinem coolen, schlanken Design überzeugen: «Da sieht man ja gar nicht, dass es überhaupt ein E-Bike ist, so filigran wie Rahmen und Lenker aussehen – echt chic!», urteilt SonntagsBlick-Mobilitätschef Andreas Faust.
Und das Bike, mit knapp 2600 Franken das günstigste Modell im Test, sieht nicht nur schlank aus, es wiegt mit rund 17 Kilogramm auch nicht viel mehr als ein gewöhnliches Velo ohne E-Unterstützung. Nach der ersten Testrunde meint Faust: «Man merkt sofort, dass es das leichteste E-Bike im Test ist. Flink und präzise, das macht echt Spass zum Fahren.» Doch das Lachen vergeht dem Tester beim ersten steileren Anstieg: War das Stout eben in der Ebene noch spurtstark, ist nun kaum noch etwas von der E-Power zu spüren. Andreas Fausts Urteil: «Ein hübsches, flottes Bike für die Stadt – aber für anspruchsvolle Touren mit vielen Steigungen nicht geeignet.»
Egomovement Jane: Die Komfortable
Ein ganz anderes Konzept bietet das Modell Jane von Anbieter Egomovement, dessen E-Bikes in acht eigenen Schweizer Stores angeboten werden. Es ist zwar ebenfalls auf Style ausgerichtet, bietet aber deutlich mehr Komfort: «Was ich besonders praktisch finde, ist der Lichtsensor, der automatisch das Licht einschaltet, wenn es zu dunkel ist. Und das Bremslicht finde ich auch klasse – gerade in der Stadt wichtig für die Sicherheit», urteilt Anne Grimshaw nach der ersten Begutachtung der Jane.
Auch im Sattel fühlt sich die Testerin bereits auf den ersten Metern pudelwohl: «Der Motor arbeitet sehr leise und hat neun Unterstützungsstufen – super angenehm zu regeln.» Obwohl der Motor der stärkste im Test ist, muss am Berg dennoch ordentlich gestrampelt werden – hier hätte sich die Testerin noch ein wenig mehr Power gewünscht. Ansonsten ist Grimshaw voll zufrieden mit «ihrer» Jane: «Die Farbkombination aus cremeweiss und braunen Details finde ich sehr gelungen, und auch zum Fahren ist es sehr angenehm. Für mich ist es das wohl ‹weiblichste› Bike im Test – und auch das komfortabelste.»
Ibex eMission Neo+: Der Sportler
Sportlicher wirds beim Modell eMission Neo+ von Ibex, das mit knapp 4600 Franken nochmals 700 Franken teurer ist als die Jane. Redaktor Martin A. Bartholdi gefällt das Modell auf Anhieb: «Die Farbe ist echt cool, das würde ich sofort so nehmen. Was mir beim Draufsitzen aber auffällt: Der Lenker ist extrem breit.» In der Tat lenkt sich das eMission am ehesten wie ein Mountainbike, was auch am speziell konstruierten, äusserst steifen Rahmen liegt. Trotz des Gewichts von fast 25 Kilo lässt es sich deshalb sehr präzise um enge Kurven jagen. «Man merkt, dass es der stärkste Bosch-Motor im Test ist. Selbst bergaufwärts geht es äusserst flott. Allerdings ist der Motor auch mit Abstand der lauteste im Test und immer gut zu hören.»
Cooles Detail: Das mittige Display, das dank Magnettechnik einfach dran gesteckt oder abgenommen werden kann, dient gleichzeitig als Schlüssel, ohne den das E-Bike keine Unterstützung liefert. Nur unterwegs vergessen sollte man das Display auf keinen Fall, will man mit den eigenen zwei Rädern statt im ÖV nach Hause fahren.
Flyer Gotour6: Das Praktische
Für den Fall, dass man mit dem Gotour6 7.43 von Flyer mal im ÖV unterwegs ist, hat sich der Schweizer Traditionshersteller etwas Pfiffiges überlegt: Nicht nur ist der Lenker als einziger im Test für bessere Ergonomie höhenverstellbar, er ist auch mit nur einem Handgriff um 90 Grad drehbar. Praktisch, um in der Bahn nicht den ganzen Gang zu blockieren. Doch der eigentliche Zweck eines E-Bikes ist das Fahren. Und hier macht Redaktor Raoul Schwinnen eine kleine Schwäche beim Flyer aus: «Mit 60 Newtonmetern fehlt es dem Motor in Steigungen etwas an Kraft. Auch weil das Bike mit fast 29 Kilo auch das schwerste im Test ist.»
Begeistert ist Schwinnen dafür vom direkten Ansprechverhalten des Antriebs, dessen Kraft statt per Kette über einen Riemen aufs Hinterrad übertragen wird. Laut Hersteller ist diese Art Antrieb deutlich wartungsärmer als bei einer Kette. Das hat jedoch auch seinen Preis: Das Flyer, dessen Licht am trüben Testtag mit enormer Helligkeit überzeugt, ist mit grösserem 625-Wh-Akku und elegantem Farbdisplay das teuerste E-Bike im Test und kostet satte 5349 Franken.
Allegro Invisible Alltour: Der günstige Allrounder
Exakt die Hälfte verlangt das Schweizer Traditionshaus Allegro für das Invisible Alltour ATIL°03. Es ist wie das Ampler Stout mit einem Hinterrad-Narbenmotor ausgestattet – dieser ist günstiger als ein Mittelmotor, die Kraft ist aber auch deutlich schwieriger zu dosieren. «Wie ein Turboloch beim Auto: Zwei Sekunden passiert gar nichts, und dann setzt der Motor schlagartig ein. Daran muss man sich definitiv erst einmal gewöhnen», meint Redaktor Andreas Engel. Wenn die auf dem Papier eher schwachen 45 Nm aber erst einmal Schub geben, klettert das Allegro erstaunlich kräftig selbst gröbere Steigungen hoch. «Dass es so leichtfüssig am Berg fährt, hätte ich nicht gedacht», ist Engel positiv überrascht.
Mit rund 500 Wattstunden liefert der Akku Strom für bis zu 100 Kilometer – wie bei allen E-Bikes abhängig von Terrain und gewählter Unterstützung. Ist der Akku beim Allegro jedoch leer, wirds etwas umständlich, ihn aus dem Rahmen herauszubekommen. Dann nämlich muss das Bike zuerst hingelegt werden, um den Akku herausziehen zu können. «Wenn man mit dem E-Bike jeden Tag längere Strecken fährt und den Akku jeweils abends herausnimmt, kann das nervig sein», meint der Tester. Ansonsten ist Engel aber durchaus angetan vom Allegro: «Ein gutes Einsteiger-E-Bike und ein echter Allrounder für die Stadt. Für den Preis ein fairer Deal», so das Urteil.