Auf einen Blick
- Mercedes entwickelt autonome Autos und setzt auf Elektromobilität
- Elektroautos sollen mit besserer Ladeinfrastruktur und bidirektionalem Laden attraktiver werden
- Mercedes plant bis 2039 CO₂-neutrale Autos aus recycelten Materialien herzustellen
Die europäische Autoindustrie steht vor grossen Herausforderungen. Hersteller wie Mercedes haben in den vergangenen Jahren Milliarden in die Entwicklung moderner Elektroautos investiert. Doch bei den Kundinnen und Kunden ist die Skepsis gegenüber der neuartigen Antriebsform gross – nicht zuletzt wegen der nach wie vor lückenhaften Ladeinfrastruktur und fehlendem politischen Rückhalt. Gleichzeitig steht die Branche vor der nächsten technologischen Revolution: Selbstfahrende Autos könnten schon bald das Strassenbild bestimmen. Wenn die Europäer bei den Robotaxis mitfahren wollen, sind auch auf diesem Feld gewaltige Investitionen nötig. Markus Schäfer (59), seit 2019 Chef der gigantischen Forschungs- und Entwicklungsabteilung im deutschen Weltkonzern Mercedes-Benz, gibt Einblicke in eine immer komplexer werdende Branche und erklärt, warum er und seine Kolleginnen in Stuttgart trotz aller Herausforderungen positiv in die Zukunft schauen.
Blick: Herr Schäfer, bei meiner Fahrt von Zürich nach Stuttgart wurde ich zwar von Assistenzsystemen unterstützt, musste mich aber dennoch voll auf den Verkehr konzentrieren. Warum fahren unsere Autos noch nicht selbständig?
Markus Schäfer: Sie hätten mit einer Mercedes S-Klasse anreisen sollen. Dann hätten Sie auf der deutschen Autobahn die Hände ganz vom Lenkrad nehmen und nebenbei arbeiten können.
Aber nicht bei 130 km/h, geschweige denn bei höheren Tempi …
Stimmt. Aber wir zeigen aktuell, welche Zuwächse bei den Geschwindigkeiten möglich sind. Wir waren Ende 2021 der erste Hersteller, der in einem privat genutzten Serienfahrzeug eine Bewilligung für automatisiertes Fahren auf Level 3 erhalten hat. Unser Drive Pilot konnte schon damals im Stau bis 60 km/h fahren, ohne dass Sie die Augen auf die Strasse richten oder die Hände am Lenkrad halten müssen. Seit diesem Jahr können unsere Topmodelle EQS und S-Klasse sogar bis 95 km/h schnell fahren, während ich einen Film anschauen oder eine Videokonferenz im Auto halten kann, ohne auf den Verkehr achten zu müssen. Schon in naher Zukunft werden 130 km/h möglich sein. Das ist unser nächstes Ziel, das wir noch in diesem Jahrzehnt erreichen wollen.
Schon vor zehn Jahren hiess es, in zehn Jahren würden die ersten autonomen Autos auf der Strasse sein. Warum verzögert sich der Durchbruch? Wurde die Technik unterschätzt?
Die technologische Aufgabe ist riesig. Sie setzt entsprechende Sensorik, Algorithmen, Software in einer nie dagewesenen Art und Weise und enorme Rechenleistung voraus. Doch der Durchbruch kommt: Den grossen Schritt von Level-2- auf Level-3-Systeme, bei dem die Verantwortung für die Fahraufgabe vom Mensch auf das Fahrzeug übergeht, haben wir gemacht. Und das nicht bei einem Robotaxi wie bei Tech-Firmen, sondern mit einem selbstgenutzten, privaten PKW. Ermöglicht wird das durch eine dreifache Sensorik aus Kamera, Radar und Laserscanner, sehr intelligenten Algorithmen und modernen Chips, welche die notwendige Rechenleistung zustande bringen. In zukünftigen Systemen dürfte KI sogar eine viel wichtigere Rolle einnehmen. Und die Technologie wird in den nächsten Jahren nochmals deutlich besser, was dann auch das Fahren in Städten ermöglichen wird.
Aber wenn die Technik so weit ist: Werden sie die Leute überhaupt akzeptieren?
Das hat viel mit Gewöhnung zu tun. Wenn man sich erst einmal an die gängigen Assistenzsysteme gewöhnt hat – heute sind das Level-2-Systeme –, mit denen das Fahrzeug selber beschleunigt, lenkt, bremst und die Spur wechselt, wird man sie sich kaum noch wegdenken können. Sie fehlen einem plötzlich, wenn sie im Fahrzeug nicht verfügbar sind – das geht nicht nur mir so, sondern auch vielen unserer Kunden. Es werden sich zwei Stränge von autonomen Autos entwickeln: Die angesprochenen Robotaxis, die komplett autonom fahren, aber sehr teure Sensorik beinhalten. Und private PKWs, die sich immer weiter verbessern. Und diese Stränge werden sich über die Zeit mehr und mehr annähern.
Doch schon bei den relativ weit entwickelten E-Autos haben viele Menschen scheinbar keine Lust, die Technik zu akzeptieren und von Benzin auf Strom umzusteigen. Wie erklären Sie sich diese Skepsis?
Das hat vielerlei Gründe. Wir als Hersteller müssen dazu die unterschiedlichen Märkte sehr gut verstehen: Der europäische Kunde tickt nicht gleich wie der chinesische oder der amerikanische. Ein Beispiel: Der Durchschnittskäufer einer S-Klasse ist in China Ende 30, in Europa dagegen um die 60. Der chinesische Kunde ist sehr technikaffin und möchte alle digitalen Features im Auto haben, die es nur gibt. Die Europäer sind eher konservativ, möchten weniger Digitalfeatures, dafür lieber noch echte mechanische Knöpfe.
Gibt es weitere Gründe?
Zum anderen spielen die Regularien eine gewichtige Rolle, die von Land zu Land unterschiedlich sind. China hat Elektroautos massiv gefördert, und für Kunden war es viel einfacher, ein Nummernschild für ein E-Auto als für einen Verbrenner zu bekommen. Das war eine grosse Motivation für die dortigen Menschen und ein Grund, warum sich Elektroautos in China so schnell durchgesetzt haben. Ausserdem ist die Verbreitung von PKWs in China erst wenige Jahre alt: Vor 15 Jahren war das Fahrrad noch sehr dominant in den Strassen. Die Gewöhnung an 130 Jahre Verbrennerfahrzeuge auf den Strassen wie bei uns hat es dort nie gegeben.
Tut Deutschland, tut Europa genug, um die Menschen von Stromern zu überzeugen?
Die Umfeldbedingungen müssen in Deutschland sicher noch verbessert werden. So ist etwa eine weit gefächerte, enge Ladeinfrastruktur notwendig. Entlang der grossen Autobahnen reichen Ladestationen mit 50 Kilowatt Ladeleistung nicht aus. Die neuen Fahrzeuge werden mit 350 oder sogar mehr Kilowatt laden können. Und diese Infrastruktur für Ladestopps, die nur wenige Minuten dauern, brauchen wir in Zukunft. Zum anderen muss die europäische Politik die Voraussetzungen für bidirektionales Laden schaffen. Auch wir arbeiten daran, dass unsere Fahrzeuge in Zukunft Strom nicht nur beziehen, sondern auch zurückspeisen können, um so beispielsweise bei Engpässen das Stromnetz zu stabilisieren. Das E-Auto könnte damit auch zu einer Einkommensquelle für die Besitzer werden, wenn es Strom dann einkauft, wenn er günstig ist. Das sind alles kleine Bausteine, die am Ende wichtig für den Erfolg der Elektromobilität sind.
Doch letztlich ist nicht nur der Staat in der Pflicht, passende Rahmenbedingungen zu schaffen, sondern auch die Hersteller mit guten Produkten. Was tut Mercedes, um die Kundinnen von der Elektrotechnik zu überzeugen?
Wir brauchen im Kern für die Kunden überzeugende Argumente, warum sie ein Elektroauto kaufen sollten, nicht nur eine Regulatorik oder einen politischen Willen. Am Ende müssen die Produkte überzeugen, was Kosten angeht, was Verbrauch angeht, was deren Features angeht. Der Kauf eines E-Autos muss mindestens so attraktiv sein wie der Kauf eines Verbrenners, und daran arbeiten wir hart. Unser neuer CLA, der noch dieses Jahr auf den Markt kommt, hat einen zertifizierten Verbrauch von rund 12 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Ich weiss nicht, wie teuer der Strom in der Schweiz ist, aber bei uns in Stuttgart kostet die Kilowattstunde rund 30 Cent. Mit 3,60 Euro 100 Kilometer weit zu fahren, dürfte für viele Menschen ganz verlockend sein. Auch das Nachladen wird in Zukunft fast so schnell wie das Tanken gehen. Die Unterschiede zu einem Verbrennerfahrzeug werden immer kleiner, die Kaufgründe für einen Stromer immer mehr.
Markus Schäfer ist am 11. Mai 1965 in Weidenau (D) geboren. Nach dem Abitur absolviert Schäfer ein technisches Studium an der Technischen Universität Darmstadt, das er 1990 als Diplom-Ingenieur abschliesst. Im November 1990 tritt er über die internationale Nachwuchsgruppe in die damalige Daimler-Benz AG ein und bekleidet in der Folge zahlreiche Positionen im Unternehmen. Im Mai 2019 wird Schäfer in den Vorstand der Daimler AG, ab jetzt Mercedes-Benz Group AG, gewählt, wo er das Ressort Entwicklung & Einkauf leitet. Seit Dezember 2021 ist er zudem Chief Technology Officer. In dieser Funktion verantwortet er auf Ebene des Konzerns den Entwicklungsprozess der PW-Sparte von Mercedes-Benz sowie den Einkauf.
Markus Schäfer ist am 11. Mai 1965 in Weidenau (D) geboren. Nach dem Abitur absolviert Schäfer ein technisches Studium an der Technischen Universität Darmstadt, das er 1990 als Diplom-Ingenieur abschliesst. Im November 1990 tritt er über die internationale Nachwuchsgruppe in die damalige Daimler-Benz AG ein und bekleidet in der Folge zahlreiche Positionen im Unternehmen. Im Mai 2019 wird Schäfer in den Vorstand der Daimler AG, ab jetzt Mercedes-Benz Group AG, gewählt, wo er das Ressort Entwicklung & Einkauf leitet. Seit Dezember 2021 ist er zudem Chief Technology Officer. In dieser Funktion verantwortet er auf Ebene des Konzerns den Entwicklungsprozess der PW-Sparte von Mercedes-Benz sowie den Einkauf.
E-Fuels werden oft als Alternative zu Strom, sogar als Kraftstoff der Zukunft ins Spiel gebracht. Welchen Standpunkt nimmt Mercedes ein?
Der Haken bei E-Fuels ist sicherlich die Umwandlung von grüner Energie zu Treibstoff, der sehr aufwendig ist und rund zwei Drittel der Energie vernichtet. Denn längst steht uns regenerative Energie nicht im Überfluss zur Verfügung. Der beste und effizienteste Weg, grüne Energie aus Sonne oder Wind in Vortrieb umzuwandeln, ist über eine Batterie. Nur dort, wo der Einsatz einer Batterie nicht möglich ist, etwa bei Flugzeugen oder Schiffen, könnten E-Fuels zum Einsatz kommen. Oder aber bei Bestandsflotten von PKW, die noch Jahre oder gar Jahrzehnte lang im Einsatz sind.
E-Autos stehen aber auch regelmässig wegen ihrer schlechteren Umweltbilanz gegenüber Verbrennern in der Herstellung und dem Einsatz von Rohstoffen aus fragwürdigen Quellen in der Kritik. Wird Mercedes irgendwann ein CO₂-neutrales Auto bauen, das nur noch aus Recycling-Materialien besteht?
Zunächst zeigen unsere Studien, dass ein Elektroauto heute schon weniger CO2 über den Lebenszyklus erzeugt als ein Verbrenner. Zurück zu Ihrer Frage: Genau das ist unser Ziel, es heisst Ambition 2039. Wir wollen über den gesamten Lebenszyklus, also sowohl über die Nutzung, als auch über die Herstellung des Fahrzeugs, bis hin zum Recycling zur bilanziellen CO₂-Neutralität gelangen. Wir stellen nicht nur die Produktion in den Werken um, sondern auch die Lieferketten, um so Komponente für Komponente den CO₂-Ausstoss zu reduzieren. Bei Alu und Stahl haben wir schon entsprechende Kooperationen mit Zulieferern. Die Idee ist, eines Tages unsere Recyclingfabriken als eine Art „virtuelle Mine“ zu nutzen, die aus bestehenden Batterien wertvolle Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder Mangan herausholt, um diese für neue Batterien zu nutzen. Irgendwann braucht es dann keine externe Zufuhr von Rohstoffen aus anderen Ländern mehr.
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