Auf einen Blick
Nein, ganz bestimmt nicht, niemals, völlig ausgeschlossen: So lauteten die Antworten, wenn man vor zehn Jahren in der europäischen Autoindustrie fragte, ob sie in Zukunft ihre in chinesischen Werken gefertigten Autos zu uns importieren wolle. Dabei hätte solch ein Schritt schon damals nahe gelegen – schon wegen der tieferen Lohnkosten in Fernost. Aber offenbar legten die etablierten Marken damals noch Wert auf die Produktion «made in Europe».
Doch inzwischen hat sich das unter dem aktuellen Konkurrenz-, Preis- und Kostendruck geändert: Längst rollen zahlreiche Modelle hiesiger Marken für Europa von chinesischen Fertigungsbändern und ihre Zahl dürfte sich in den kommenden Jahren noch steigern. Ein Hauptgrund für diese Entwicklung: Einige der aufstrebenden Autokonzerne aus China haben europäische Marken übernommen und führen sie unter dem traditionellen Logo, aber mit neuer Elektro-Technologie weiter. Beispiele? Der britische Sportwagenbauer Lotus gehört seit 2017 ebenso zum chinesischen Geely-Konzern wie Volvo (seit 2010) und dessen einstige Tuning-Tochter Polestar, die im Februar komplett übernommen wurde.
Kooperation zwischen China und Europa
Zweitens kooperieren immer mehr europäische Marken mit Unternehmen aus China auch für die Produktion von Fahrzeugen für den europäischen Markt. Die einstige Mercedes-Tochter Smart wird inzwischen als Joint Venture gemeinsam mit Geely geführt – und ihre Modelle laufen in China vom Band. Mitbewerber BMW entwickelte und produziert den neuen elektrischen Mini Cooper gemeinsam mit dem chinesischen Unternehmen Great Wall.
Zudem bringt die Fertigung in China Kostenvorteile bei Löhnen und Energie und aufgrund der dort üppigen Produktionskapazitäten höhere Effizienz. Seit der Corona-Pandemie versuchen europäische Autobauer zudem, ihre Lieferketten widerstandsfähiger gegen äussere Einflüsse zu halten – für die E-Auto-Produktion hilft da die Nähe zu den Werken chinesischer Batteriezulieferer.
Mehr Import als Export
Die Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers (PWC) erwartet vor diesem Hintergrund für 2025, dass Europa sich vom Netto-Exporteur zum Netto-Importeur bei Autos entwickeln werde – heisst: Dass mehr Fahrzeuge aus China eingeführt als dorthin exportiert werden. Im Jahr 2015 betrug der Exportüberschuss laut einer PWC-Studie noch 1,7 Mio. Fahrzeuge, im kommenden Jahr dürfte ein Importüberschuss von 221'000 Autos resultieren. Rund 470'000 von circa 800'000 in China gebauten Fahrzeugen dürften dann China-Marken liefern; den Rest werden in China gebaute Modelle europäischer Marken ausmachen.
Abgesehen von der Frage der Akzeptanz von in China gebauten Fahrzeugen bei europäischen Kunden, könnte sich diese Entwicklung angesichts drohender Importzölle der Europäischen Union auf chinesische Autos vom Kostenvorteil zum Problem auswachsen. Aus diesem Grund wenden sich europäische CEOs wie Ola Källenius von Mercedes-Benz und Oliver Zipse, Chef der BMW Group, zu der auch Mini gehört, ausdrücklich gegen die geplanten Zölle. Zumal China seinerseits mit Zöllen auf europäische Importautos reagieren dürfte.
Und hier kommen jene Modelle, die zehn europäische Marken für die Schweiz in China bauen lassen:
BMW iX3
Die Elektro-Version des Mittelklasse-SUVs kommt zwar mit 286 PS (210 kW) und bis zu 462 Kilometer Reichweite, aber nur mit Hinterradantrieb – das dürfte ein Nachteil auf dem Schweizer Markt sein. Gebaut wird er gemeinsam mit dem chinesischen Kooperationspartner Brilliance in Shengyang (Provinz Liaoning). Abgelöst werden dürfte er durch das SUV der sogenannten Neuen Klasse im kommenden Jahr.
Citroën C5 X
Bis 2020 wurde in China noch der bei uns 2001 lancierte und 2017 eingestellte Citroën C5 produziert. Abgelöst wurde er durch den C5 X – eine Art Kreuzung aus SUV, Kombi und Schrägheck-Limousine. Gebaut wird das Mittelklasse-Modell im südchinesischen Shenzhen (Provinz Guangdong), einem ehemaligen Bauerndorf, das heute als eines der grössten Industriegebiete der Welt gilt.
Cupra Tavascan
Spanische Marke, aber gebaut im chinesischen Hefei (Provinz Anhui): Mit dem Tavascan lanciert die Seat-Tochter Cupra im Herbst ihr zweites Elektroauto mit Heckantrieb und 286 PS (210 kW) oder Allrad und 340 PS (250 kW). Das Werk gehört allerdings nicht Cupra, sondern der Konzernmutter VW.
Dacia Spring
Auch das aktuell günstigste Elektroauto der Schweiz wird in Fernost gebaut – sonst liesse sich sein Preis ab 15'000 Franken kaum realisieren. Der kleine Stromer läuft in Shiyan (Provinz Hubei) in einem gemeinsamen Werk von Dongfeng, Renault und Nissan vom Band.
DS 9
Wie der C5 X von Schwester Citroën läuft auch die DS-Nobellimousine DS 9 im chinesischen Shenzhen vom Band. Diese gibts mit Vorder- oder Allradantrieb mit Benziner oder Plug-in-Antrieb von 225 bis 360 PS (165 und 265 kW).
Mini Cooper SE
Die ersten Exemplare des gerade frisch lancierten Stromers Mini Cooper SE für Europa laufen noch in einem gemeinsamen Werk mit Great Wall in Zhangjiagang (Provinz Jiangsu) in China vom Band. Im Laufe des Jahres wird dort auch die Fertigung des gerade enthüllten Elektro-SUVs Aceman starten. Aber Mini baut vor: Bis 2026 soll das Werk Oxford (UK) mit 690 Mio. Franken fit für die E-Auto-Produktion gemacht und dann beide Modelle auch dort produziert werden. Möglicherweise schon eine Vorsorge für einen drohenden Handelskrieg mit China?
Seinen Namen hat Great Wall von der global bekanntesten Attraktion Chinas – der Chinesischen Mauer, von der sich eine Mauerecke auch im Logo findet. Im Jahr 1984 gegründet, war das Unternehmen der erste private Autobauer im sonst noch kommunistisch geprägten Wirtschaftssystem Chinas. Die inzwischen zahlreichen Modelle werden unter den Marken Haval (Volumenmodelle), Ora (Elektroautos) und Tank (Geländewagen) verkauft; das Nobelsegment bedient Wey. Rund 82'500 Mitarbeitende erwirtschafteten 2023 einen Umsatz von umgerechnet rund 21 Mrd. Franken.
Seinen Namen hat Great Wall von der global bekanntesten Attraktion Chinas – der Chinesischen Mauer, von der sich eine Mauerecke auch im Logo findet. Im Jahr 1984 gegründet, war das Unternehmen der erste private Autobauer im sonst noch kommunistisch geprägten Wirtschaftssystem Chinas. Die inzwischen zahlreichen Modelle werden unter den Marken Haval (Volumenmodelle), Ora (Elektroautos) und Tank (Geländewagen) verkauft; das Nobelsegment bedient Wey. Rund 82'500 Mitarbeitende erwirtschafteten 2023 einen Umsatz von umgerechnet rund 21 Mrd. Franken.
Lotus Eletre
Kaum eine von chinesischen Konzernen übernommene europäische Marke dürfte sich danach so stark verändert haben: Früher baute die britische Traditionsmarke Lotus kleine und leichte Sportwagen, die auch mit wenig PS irre Sprints schafften. Voll auf Elektro-Kurs umgesteuert, werden derzeit der elektrische XL-SUV Eletre und auch der kommende Emeya in Wuhan (Provinz Hubei) produziert.
Geely ist die Konzernmutter von Lynk & Co, Volvo, deren Elektromarke Polestar und dem britischen Sportwagen-Leichtgewicht Lotus. Ausserdem baut das 1986 gegründete chinesische Unternehmen die typischen London-Taxis und hat ein paar China-Automarken unterm Schirm, von denen wir noch nie gehört haben. Seit 2018 gehören ihm 9,7 Prozent vom Daimler-Konzern. Im Jahr 2023 setzte Geely mit 120'000 Mitarbeitenden umgerechnet über 22,4 Milliarden Franken um.
Geely ist die Konzernmutter von Lynk & Co, Volvo, deren Elektromarke Polestar und dem britischen Sportwagen-Leichtgewicht Lotus. Ausserdem baut das 1986 gegründete chinesische Unternehmen die typischen London-Taxis und hat ein paar China-Automarken unterm Schirm, von denen wir noch nie gehört haben. Seit 2018 gehören ihm 9,7 Prozent vom Daimler-Konzern. Im Jahr 2023 setzte Geely mit 120'000 Mitarbeitenden umgerechnet über 22,4 Milliarden Franken um.
Polestar 4
Polestar – unter diesem Label betrieb einst der schwedische Autobauer Volvo Motorsport und liess seine Serienmodelle zu Höchstleistungen tunen. Aber seit 2017 gehört die Marke zum Geely-Konzern und konzentriert sich auf avantgardistische Stromer wie Polestar 3 und Polestar 4 (Bild), die in gleich drei unterschiedlichen Geely-Werken in den Provinzen Sichuan und Zhejiang gefertigt werden.
Smart #3
Die sind aber gross geworden: Rund 30 Jahre liegen zwischen dem ersten Smart-Zweisitzer nach einer Idee des Schweizer Uhren-Patrons Nicolas Hayek (1928–2010) und den beiden aktuellen Modellen namens #1 und #3 (Bild), die im Segment der Kompakt-SUVs positioniert sind. Gebaut werden die Modelle der Marke in Xi'an (Provinz Shaanxi).
Volvo EX30
Die schwedische Marke wagte den Schritt als Erste: Die Limousine S90 wird auch für Europas Märkte seit der Lancierung 2016 im chinesischen Volvo-Werk Daqing (Provinz Heilongjiang) im Norden Chinas gefertigt. Und auch alle Stromer der Werke laufen in China vom Band: Das Werk des EX30 (Bild) steht in Zhangjiakou (Provinz Hubei), der kommende XL-SUV EX90 wird in Chengdu (Provinz Sichuan) gebaut.