Grüne dafür, FDP dagegen: Regierungskoalition ist uneins
Kippt Deutschland das EU-Verbrennerverbot?

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssen dem EU-Verbrennerverbot ab 2035 noch zustimmen. Aber vor der ersten Abstimmung gibts in der deutschen Regierung Streit um das Thema.
Publiziert: 22.06.2022 um 14:21 Uhr
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Aktualisiert: 22.06.2022 um 14:26 Uhr
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Ab 2035 solls nach dem Willen der Kommission der Europäischen Union (EU) und ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen (63) keine neuen PWs mehr mit Verbrennungsmotor geben.
Foto: AFP
Andreas Faust

Ab 2035 soll es nach dem Willen der Kommission der Europäischen Union (EU) keine neuen PWs mehr mit Verbrennungsmotor geben. Diese Regelung würde auch die Schweiz betreffen. Einem entsprechenden Gesetzesvorstoss hat das EU-Parlament bereits zugestimmt. Nun muss er den weiteren Gesetzgebungsprozess durchlaufen – doch der wird kein Selbstläufer: In der deutschen Regierung ist offener Streit um die Regelung ausgebrochen.

Nach der Entscheidung des EU-Parlaments hatte die deutsche Bundesumweltministerin Steffi Lemke (54, Die Grünen) das Verbrennerverbot begrüsst: «Die Bundesregierung unterstützt vollumfänglich den Vorschlag der Kommission und des Europäischen Parlaments, ab 2035 neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge nur noch mit Nullemissionsantrieben zuzulassen.» Aber jetzt stellt sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (43) vom Koalitionspartner FDP quer: Die deutsche Bundesregierung werde der Regelung nicht zustimmen. Sein Parteikollege und Verkehrsminister Volker Wissing (52) hatte sich vorher bereits ähnlich geäussert.

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Langwieriger Gesetzgebungsprozess

Bis die Regelung europäisches Gesetz ist, müssen auch die Mitgliedsstaaten im sogenannten Europäischen Rat bzw. im Rat der Fachminister der Regelung zustimmen. Vereinfacht erklärt: Erfolgt die Zustimmung nicht, muss die Vorlage von der EU-Kommission überarbeitet und dann vom Parlament erneut gebilligt werden. Diese Überarbeitungsschleife ist insgesamt drei Mal möglich – gibt es dann keine Einigung, gilt die Vorlage sogar als gescheitert.

Die EU-Umweltministerinnen und -minister wollen am 28. Juni eine erste gemeinsame Position zum Verbrennerverbot verabschieden. Doch bis dahin muss sich die deutsche Koalitionsregierung aus Grünen, FDP und SPD auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen. Die FDP lehnt das Verbrennerverbot ab, weil sie die Freiheit der technologischen Entwicklung als wesentlichen Bestandteil der freien Marktwirtschaft sieht. Heisst: Mit einem Verbot wäre aus FDP-Sicht eine Weiterentwicklung von Benzinern und Dieselmotoren nicht mehr möglich.

Wer stellt sich gegen die Regelung?

Das Argument zielt vor allem auf sogenannte synthetische Treibstoffe aus nachhaltig produziertem Strom und CO₂ aus der Umgebungsluft, die derzeit entwickelt werden. Sie können CO₂-neutral in herkömmlichen Verbrennern genutzt werden. Ausserdem sagte Lindner, dass Verbrenner in anderen Weltregionen weiterhin genutzt würden, weil diese noch nicht reif für die Elektromobilität seien. Ein Verbrennerverbot sieht er als Wettbewerbsnachteil für die deutsche Autoindustrie. Können sich die deutschen Koalitionspartner nicht einigen, wäre im Minsterrat auch eine Enthaltung möglich.

Beim EU-Umweltminister-Treffen müssen mindestens 15 der 27 Mitgliedsstaaten zustimmen. Gleichzeitig müssen diese aber auch mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Im Alleingang wird Deutschland das Verbrennerverbot also nicht kippen können. Spannend wird aber, wie sich Frankreich, Spanien, Italien oder die Slowakei als weitere wichtige Produktionsstandorte der Autoindustrie positionieren werden. Auch die osteuropäischen Staaten, bei denen die E-Mobilität noch in den Kinderschuhen steckt, könnten sich querstellen. Gut möglich, dass am Ende eine Verhandlungslösung steht, bei der die Zustimmung einzelner Mitgliedstaaten durch Zugeständnisse bei anderen Themen erkauft wird.

Autoindustrie ist eher entspannt

Die Autoindustrie sieht das Verbrennerverbot aber mehrheitlich entspannt. VW oder Mercedes beispielsweise erklärten, damit gut leben zu können. Laut einer aktuellen Studie der Mineralölkonzerne Castrol und BP gehen 97 Prozent der Manager in der Autoindustrie davon aus, ein Verbrenner-Aus für 2035 umsetzen zu können. Stellantis-CEO Carlos Tavares (63) will gar aus dem europäischen Verband der Autoindustrie ACEA austreten, weil er dessen Lobbyarbeit gegen das Verbrennerverbot nicht mehr unterstützen will.


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