Das Auto ist für viele Menschen in der Schweiz weit mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Für die einen ist es ein Statussymbol, für andere sind gerade Autos mit Verbrennungsmotoren auch schon mal eine Offenbarung.
Für letztere dürfte der Mittwoch ein rabenschwarzer Tag gewesen sein: Das EU-Parlament will, dass die Spritfresser von den Strassen verschwinden. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was hat das EU-Parlament beschlossen?
Ab 2035 dürfen die Autohersteller in Europa nur noch Neuwagen und neue Transporter bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht auf den Markt bringen, die keine Treibhausgase ausstossen. Neue Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor dürfen ab dann nicht mehr verkauft werden.
Ist das Verbot bereits fix?
Nein. Das EU-Parlament muss das Verbot erst noch mit den EU-Staaten verhandeln. Diese müssen bis Ende Juni ihre Positionen festlegen. Die Autowerkstatt Deutschland hat aber bereits ja zum Verbot gesagt.
Muss die Schweiz bei einem Verbrenner-Verbot in der EU mitmachen?
Nein, denn die Schweiz ist nicht Teil der EU. Aber wenn für den europäischen Markt keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr produziert werden, verschwinden Diesel-Fahrzeuge und Benziner auch bei uns von der Strasse. VCS-Geschäftsführer Anders Gautschi fordert von der Schweiz gar eine raschere Umsetzung: «Die Schweiz muss nun Farbe bekennen und zügig vorangehen. Um die Klimaziele zu erreichen, sollten bereits ab 2030 keine Autos und leichte Nutzfahrzeugen mehr mit Verbrennungsmotoren in Verkehr gebracht werden.» Nur so könne sichergestellt werden, dass der Fahrzeugbestand bis 2050 weitgehend aus Elektrofahrzeugen besteht, die mit erneuerbarem Strom betrieben werden können.
Für welche Fahrzeuge gilt das Verbot?
Es sind alle Fahrzeuge betroffen, die in der Schweiz mit dem normalen Führerausweis der Kategorie B gefahren werden dürfen. Auf Lastwagen, Fracht- und Kreuzfahrtschiffe sowie auf Flugzeuge hat der Entscheid keine Auswirkung. Die boomenden Camper auf Basis von kleinen Transportern dürfen ab 2035 ebenfalls nur noch elektrisch betrieben werden.
Was genau wird eigentlich verboten?
Faktisch handelt es sich um ein Verbot der Verbrenner-Motorentechnologie, denn bei einem Verbrennungsprozess entstehen Abgase. Das heisst: Auch Gas-Fahrzeuge sowie Mild-, Voll- und Plug-in-Hybride sind ab 2035 nicht mehr erlaubt. Auch synthetische Treibstoffe, sogenannte E-Fuels, sind vom Tisch: Diese gelten als CO₂-neutral, weil bei ihrer Produktion Kohlendioxid (CO₂) aus der Luft entnommen wird. Doch bei der Verbrennung entstehen Treibhausgase. Das EU-Parlament lehnt sie ab, weil die Erzeugung zu viel Strom benötige.
Was ist mit bestehenden Autos und Occasionen?
Bestehende Autos mit Benziner und Diesel sind von dem Verbot nicht betroffen. Auch Gebrauchtwagen mit Verbrennungsmotor dürfen nach 2035 vorerst weiterverkauft werden.
Wann werden Verbrenner ganz verboten?
Ab 2050 will die EU komplette CO₂-Neutralität erreichen. Wie dies geschehen soll, bleibt vorerst offen. Voraussichtlich ist es aber nur mit einem kompletten Betriebsverbot von Autos mit Benzin- und Dieselmotor zu schaffen. Beschlossen ist dies jedoch derzeit noch nicht.
Darf ich jetzt keinen Benziner und Diesel mehr kaufen?
Vorerst bleiben Benziner und Diesel legal und dürfen weiter gekauft werden. Es bleiben also 13 Jahre, ehe man einen Neuwagen als Elektroauto kaufen muss. Es ist davon auszugehen, dass Autos mit Verbrennungsmotoren stärker an Wert verlieren, je näher 2035 rückt. Der Weiterverkauf dürfte von Jahr zu Jahr schwieriger werden. Gleichzeitig wird aber auch das Angebot dünner, was sich wiederum positiv auf den Wiederverkaufswert auswirken könnte. Zudem bleibt der Verbrennungsmotor ausserhalb von Europa erlaubt. Schon heute wird etwa die Hälfte der Schweizer Gebrauchtwagen ins Ausland weiterverkauft.
Wie schwer trifft das Verbot die Schweizer Automobilzulieferer?
Die 570 Firmen der Schweizer Zulieferindustrie beschäftigen 34’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. «40 Prozent dieser Firmen liefern Komponenten für Motoren, Getriebe und den Antriebsstrang. Diese Firmen sind unmittelbar betroffen.», sagt Anja Schulze (48), Mobilitätsexpertin der Universität Zürich.
Darüber hinaus gibt es Produkte wie Autoteppiche oder Innenverkleidungen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Antrieb zu tun haben, die jedoch bei einem Verbrenner akustisch und punkto Wärmemanagement ganz anderen Anforderungen genügen müssen als bei einem Benziner. «Die Firmen orientieren sich zwar neu, doch aktuell sind noch grosse Produktionskapazitäten auf Verbrenner ausgerichtet und die Umstellung ist mit Herausforderung verbunden», so Schulze.
Was bedeutet der Entscheid für die Tankstellen?
Experten rechnen mit einer deutlichen Reduktion des Tankstellennetzes. Die bis 2035 noch in Verkehr gesetzten Verbrenner werden zwar weiterhin für eine Nachfrage sorgen. Doch die stetig wachsende Zahl von Elektroautos wird praktischerweise daheim, auf der Arbeit oder beim Einkaufen aufgeladen. Die besten Überlebenschancen dürften Tankstellen entlang von Autobahnen haben, da bei längeren Reisen unterwegs eine Ladesäule aufgesucht werden muss.
Können bis 2035 genug Ladesäulen gebaut werden?
Ja, das neue CO2-Gesetz und auch die Roadmap Elektromobilität sehen das vor. Angedacht sind beim Bund für den Ausbau der Ladeinfrastruktur 210 Millionen Franken. Gemäss Energieexperte Professor Timo Ohnmacht kommt aber auch der privaten Infrastruktur eine zentrale Rolle zu. «Rückgrat dieser Transformation dürften die Ladelösung für Liegenschaften sein. Hier bewegt sich aktuell ebenfalls sehr viel. Engpässe sind eher die Stromproduktion und die Belastbarkeit des Netzes.»
Haben wir genug Strom für die E-Auto-Welle?
Die Axpo will die beiden Kernkraftwerke Beznau 1 und 2 etwa 2030 vom Netz nehmen. 2040 soll Gösgen und etwa 2045 Leibstadt folgen. Damit droht der Schweiz ohne grössere Zubauten von erneuerbaren Energien eine Stromlücke. «Ein Elektroauto benötigt fast halb so viel Strom wie ein vier Personenhaushalt. Fünf Millionen Autos, die es wohl 2035 in der Schweiz geben wird, verbrauchen 12 Terawattstunden im Jahr», sagt Energieexperte Professor Timo Ohnmacht (42) der Hochschule Luzern. Die Schweiz benötige durch die Umstellung auf die Elektromobilität 23 Prozent mehr Strom im Vergleich zu heute. «Ideal wäre natürlich, wenn die Dächer der E-Autobesitzenden einen grossen Anteil ihres Stroms selbst produzieren. Wenn wir nicht mehr produzieren können, dann steigt der Preis beachtlich.»
Wird Benzin billiger?
Davon ist auszugehen. Der Anteil der Elektroautos dürfte in den nächsten zehn Jahren weltweit deutlich ansteigen. Werden dann ab 2032 in Europa nur noch Elektro-Neuwagen verkauft, wird die Treibstoff-Nachfrage deutlich zurückgehen – und damit auch der Preis sinken.
Was bringt das für den Klima- und Umweltschutz?
Der Entscheid des EU-Parlaments bestätigt den bisherigen Kurs, den die EU, aber auch die Schweiz verfolgen. Er führt zweifelsohne dazu, dass im Verkehr der CO2-Ausstoss rascher gesenkt wird. Zusammen mit dem Abbau des CO2 aus den Heizungen führt dies nachweislich zu einer Bremsung der Erderwärmung.
Was bedeutet das für Oldtimer?
Zunächst gilt der Bestandsschutz wie bei allen aktuellen Autos. Oldtimer dürfen weiter gefahren werden. Wie es ab 2050 weitergeht, wenn die EU komplett CO₂-neutral sein will, muss man abwarten. Es ist noch zu früh, zu sagen, ob es Ausnahmeregelungen für Oldtimer geben wird.
Wie bleiben die Drittweltländer mobil?
Die Regeln gelten nur für die EU. Das heisst, ausserhalb Europas können die Hersteller weiterhin Autos mit Verbrennungsmotoren verkaufen. Schon heute produzieren viele Autobauer von Markt zu Markt unterschiedliche Fahrzeuge. Damit bleibt die Dritte Welt auch ohne vorhandene Ladeinfrastruktur weiterhin mobil.
Die meisten Hersteller halten sich auch eine Hintertüre offen bei der Elektrostrategie. So will Mercedes nur dort auf Elektroautos zu setzen, wo es der Markt zulässt.