China-Start-up muss dringend wachsen
Für Nio geht es jetzt um alles

Eitel Sonnenschein am Nio-Day 2024: Das chinesische E-Auto-Start-up stellt mit dem Firefly einen bezahlbaren Kleinwagen vor, während der ET9 das Luxus-Segment erobern soll. Doch ohne Wachstum droht Nio das Aus – in den nächsten zwei Jahren geht es um alles.
Publiziert: 31.12.2024 um 09:09 Uhr
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Grosse Show: Rund 22'000 Jünger feierten sich und das chinesische Start-up Nio im Haixinsha-Stadium im Hafen der südchinesischen Metropole Guangzhou.
Foto: zVg

Auf einen Blick

  • Nio präsentiert neues Elektro-Flaggschiff ET9 und plant Europa-Expansion
  • Drei Marken sollen breitere Käuferschicht ansprechen: Nio, Onvo und Firefly
  • Nio lieferte 2023 190'832 E-Autos aus, ein Plus von 34,4 Prozent
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Andreas Engel und Wolfgang Gomoll

Kleckern können andere – bei Nio wird geklotzt. Rund 22'000 Jünger feierten sich und das chinesische Start-up im Haixinsha-Stadium im Hafen der südchinesischen Metropole Guangzhou. Gründer und CEO William Li (50), von vielen als Chinas Steve Jobs bezeichnet, führte gewohnt routiniert durchs Programm. Doch wo früher internationale Top-Acts wie die Imagine Dragons oder Bruno Mars (39) dem Markentreffen Glanz verliehen, sind es jetzt lokale Stars wie die Nio Band oder der berühmte Hongkonger Sänger Hacken Lee (57), die stimmgewaltig für Action sorgten. Die subtile Botschaft: Wir brauchen keine internationale Unterstützung mehr. China ist sich selbst genug.

Selbst der sonst so freundliche William Li schaltete mehrere Gänge höher und führte bei der Präsentation des neuen Elektro-Flaggschiffs Nio ET9 einen Mercedes Maybach S 580 am Nasenring durch die Manege, der auf einer Hindernis-Teststrecke alles andere als eine gute Figur machte. Doch bei allem demonstrativ zur Schau gestellten Selbstbewusstsein brechen für Nio nun entscheidende Zeiten an. Der Konkurrenzkampf auf dem Heimatmarkt wird immer härter und das automobile Start-up muss endlich schwarze Zahlen schreiben, um eine Zukunft zu haben. «Wir wollen 2026 die Gewinnschwelle erreichen und danach durchgängig profitabel sein», sagt William Li.

Nio nimmt Europa ins Visier

Im November 2024 lieferte Nio den siebten Monat in Folge mehr als 20'000 E-Autos aus. Übers ganze Jahr waren es 190'832 – ein Plus von 34,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Doch in der hart umkämpften Branche ist das zu wenig, um zu überleben. Nio muss seine Produkte dringend auch ausserhalb Chinas verkaufen. Da mit den USA der zweitgrösste Automarkt der Erde aufgrund der geopolitischen Spannungen zurzeit nicht als Absatzmöglichkeit zur Verfügung steht, rückt Europa in den Fokus. Allerdings ist hier das Premium-Segment nach wie vor fest in einheimischer Hand. «Auf der Autobahn kann man die Deutschen nicht schlagen», sagte ein Manager der französischen Edelmarke DS einmal. Den Fehler, ausschliesslich auf hochpreisige Automobile wie das neue Luxus-Flaggschiff ET9 zu setzen, begeht Nio deshalb nicht.

Stattdessen sollen gleich drei Marken, die sich klar differenzieren und so eine deutlich breitere Käuferschicht ansprechen als bisher, Nio in Europa neue Absatzrekorde bescheren. Die Submarke Onvo soll im Mittelklasse-Segment vor allem Tesla und das erfolgreiche Model Y ins Visier nehmen. In China wird der geräumige E-Crossover Onvo L60 zu einem Kampfpreis ab rund 26'000 Franken samt Batterie angeboten. In Nios Akku-Leasingmodell «Battery as a Service» (BaaS) gehts sogar schon ab rund 19'000 Franken los. Falls Nio die Preispolitik trotz der Zölle auch in Europa fortsetzen kann, wird der Onvo L60 ein Erfolg.

Günstig-Stromer soll Absatz bringen

In Europa ist der Hunger nach bezahlbaren E-Autos gross. Um diesen zu stillen, hat Nio mit Firefly (deutsch: Glühwürmchen) eine dritte Marke aus dem Taufbecken gehoben. «Firefly ist smarter als Mini und mehr Mini als Smart», trommelt William Li unter dem Jubel der Jünger während des Nio-Day. Der geringe Wendekreis von 9,40 Metern und viel Platz unterstreichen das. In China kostet die Einstiegsversion des Firefly weniger als 20'000 Franken. Diesen Preis wird Nio in Europa aufgrund der Zölle nicht halten können. Er sollte aber unter der 25'000-Franken-Marke bleiben, um sich gegen Konkurrenten wie Citroën ë-C3 oder Renault 5 E-Tech behaupten zu können.

Wenn man sich den Firefly-Debütanten ansieht, erkennt man schnell, dass Designer Kris Tomasson beim Honda e genau hingeschaut hat. Die Formensprache gefällt aber nicht jedem: Analysten der Deutschen Bank nennen die Optik als Hauptgrund für die zurückhaltende Prognose, dass sich vom Firefly nur rund 1500 Einheiten pro Monat verkaufen werden. Der kleine Stromer soll bereits in der ersten Hälfte 2025 in Europa starten. Eine lokale Produktion wird es zunächst nicht geben, auch wenn Nio diese in Europa auf dem Radar hat. Dazu müssen aber erst die Zahlen stimmen: William Li nennt 100'000 Einheiten pro Jahr als Minimum.

Atemberaubendes Tempo

Damit diese Produktoffensive überhaupt stattfinden kann, braucht Nio genügend Batterien. Doch die Umgangsformen unter den chinesischen Herstellern werden zunehmend rauer. So gabs zuletzt Probleme mit dem potenziellen Konkurrenten BYD, der gleichzeitig auch als Batterielieferant fungiert. William Li sieht darin indes keine Probleme, da Nio auf drei Akku-Lieferanten, unter anderem CATL, zählt. «Die Batterie ist kein Flaschenhals mehr.»

Trotz der schnellen 900-Volt-Ladetechnik hält Nio an seinen speziellen Batteriewechselstationen fest, die mittlerweile die Akkus innerhalb von drei Minuten tauschen und dem Autofahrer auch das Rangieren abnehmen. Das Tempo in China ist atemberaubend: «Wir haben im Dezember 200 neue Wechselstationen in Betrieb genommen», sagt Li. In Europa geht das nicht ganz so schnell, auch wenn eine Fabrik nahe Budapest bereits existiert. Für Nio und CEO Li geht es um alles – die nächsten zwei Jahre werden über Erfolg und Misserfolg entscheiden.

So funktioniert der automatische Batteriewechsel
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Nio Power Swap Station:So funktioniert der automatische Batteriewechsel
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