An der Messe IAA Mobility in München (D) Anfang September trumpften Hersteller aus Fernost so richtig auf. Immer mehr chinesische Marken drängen mit einer unüberschaubaren Zahl an neuen Modellen auf den hart umkämpften europäischen Automarkt – wer in Europa Erfolg hat, schafft meist auch global den Durchbruch.
Was hiesigen Mitbewerbern wie BMW, Mercedes oder VW dabei Sorgen bereiten dürfte: Die chinesischen Hersteller haben in den letzten Jahren nicht nur grosse Fortschritte in Sachen Design, Konstruktion oder Verarbeitungsqualität gemacht, sondern lassen bei Infotainment, Softwareentwicklung und bei Assistenzsystemen viele westliche Anbieter bereits hinter sich. Dagegen helfen den Etablierten auch keine über 100 Jahre Erfahrung mit Verbrennern.
Was die China-Marken trotz Milliardeninvestitionen aber nicht von heute auf morgen kaufen können, sind Akzeptanz und Bekanntheit. Laut einer Umfrage im Auftrag der deutschen «Automobilwoche» kann sich aktuell nur jeder vierte Deutsche vorstellen, ein Auto made in China zu kaufen. Rund 41 Prozent der Befragten kennt auch noch keine einzige Marke aus Fernost. Welche Hersteller, Marken und Modelle die besten Chancen auf dauerhaften Erfolg haben und welche schon bald wieder verschwunden sein dürften, zeigt unsere grosse Übersicht.
Aiways
Kaum ein anderer chinesischer Hersteller ist schon so lange in Europa vertreten wie Aiways. Schon 2019 stellte Auslands-Geschäftsführer Alexander Klose den SUV U5 am Genfer Autosalon vor. Doch den Vorsprung konnte der Newcomer, der neben dem 2022 gestarteten U5 mittlerweile auch das SUV-Coupé U6 anbietet, bisher nicht ausnutzen. Auf dem Heimatmarkt musste Aiways aufgrund des harten Preiskampfs unter den E-Autobauern die Produktion im März 2023 vorerst einstellen; in Europa floppte das angestrebte Vertriebsmodell mit der Elektronikkette Euronics. Ergebnis: Auf dem grössten europäischen Automarkt Deutschland verkauften die Chinesen 2023 bisher lediglich 44 E-Autos – in der Schweiz bis Ende August 29.
Unsere Prognose: Aiways braucht schnell einen neuen Investor und ein funktionierendes Händlernetz in Europa – sonst dürfte es schwierig werden.
BYD
Ganz anders siehts bei BYD aus – getreu dem Firmenmotto «Build your dreams». Schon jetzt verkauft der Mega-Konzern weltweit mehr E-Autos als der bisherige Marktleader Tesla – und das auch in Europa: In Schweden sind die Chinesen mittlerweile Elektro-Spitzenreiter. «Ich will in Europa unter die Top fünf kommen», sagte kürzlich BYDs Vize-Europachef Brian Yang der «Automobilwoche». In China sind schon unzählige E-Autos von BYD auf dem Markt, in Europa starten aktuell der SUV Atto 3, die Kompakt-Limousine Dolphin, der Edelgleiter Seal und der Crossover Seal U durch. Die Autos des grössten Akku-Produzenten der Welt gibts zwar nicht zum chinesischen Schnäppchen-Preis – auf dem Heimatmarkt startet der E-Cityflitzer Seagull schon bei 11'000 Franken. Dennoch sind die Fahrzeuge für umgerechnet 30'000 bis 47'000 Franken ausstattungsbereinigt deutlich günstiger als vergleichbare hiesiger Hersteller.
Unsere Prognose: Auch dank des Aufbaus eines engmaschigen Händlernetzes dürfte sich BYD dauerhaft auf dem europäischen Markt festsetzen.
Geely
Branchengigant Geely dürfte nur Autointeressierten ein Begriff sein. Dabei sind die Chinesen Mutterkonzern des schwedischen Autobauers Volvo und dessen ehemaliger Sportabteilung Polestar, die seit 2020 als reine Elektromarke fungiert. Ausserdem ist Geely grösster Einzelaktionär bei Mercedes.
Neben dem frisch gelifteten Polestar 2 (577 CH-Verkäufe bis Ende August) folgen bei Polestar in den kommenden Jahren der SUV 3, das SUV-Coupé 4, die Sportlimousine 5 und das Cabrio 9. Nicht so erfolgreich ist Geely-Tochter Lynk & Co. in Europa gestartet: Den Hybrid-SUV 01 gibts zwar seit 2021 in wenigen Märkten Europas vornehmlich im Abo-Modell (ab etwa 500 Fr. pro Monat) – doch noch bleiben die Zahlen hinter den Erwartungen zurück. Der bereits seit langem angekündigte Schweizer Markteintritt lässt nach wie vor auf sich warten. Eher schleppend verlief auch der Neustart der Mercedes-Tochter Smart, die mit Geely im Rücken den golfgrossen Elektro-SUV #1 entwickelte.
Jetzt will Geely ab Ende Jahr mit der noch unbekannten Luxusmarke Zeekr in Europa durchstarten. Los gehts mit dem kompakten Elektro-SUV Zeekr X, bevor kurze Zeit später die Sportlimousine 001 gegen Porsche Taycan und Co. antritt. Die Fahrleistungen des 001 können sich sehen lassen: Die Allrad-Version mit 400 kW (544 PS) und 686 Nm Drehmoment, die bereits in Schweden und Holland ab rund 65'000 Franken angeboten wird, soll bis zu 580 Kilometer weit stromern. Noch stärker, aber auch deutlich teurer, gehts bei Sportwagenbauer Lotus zu – seit 2017 ebenfalls unterm Geely-Dach. Der brandneue Über-SUV Eletre leistet zwischen 600 und 900 PS, kommt bis zu 600 Kilometer weit und kostet mindestens 116'000 Franken.
Unsere Prognose: Mit Volvo und Polestar ist Geely in Europa bereits etabliert. Ob Marken wie Zeekr und das neu aufgestellte Lotus ebenfalls langfristig erfolgreich sein werden, muss sich erst noch zeigen.
Great Wall Motors
Grosse Ambitionen in Europa hegt auch Great Wall Motors (GWM) – Chinas erster privater Hersteller, der 2003 an die Börse ging. Seit kurzem werden in Deutschland die Marken Wey und Ora angeboten – mit allerdings harzigem Start: Wegen Diskussionen mit Vertriebspartner Emil Frey wurden dieses Jahr erst 13 (!) Exemplare des edlen Plug-in-Hybrid-SUVs Wey Coffee 01 ausgeliefert. Etwas besser läufts für den elektrischen Retro-Cityflitzer Ora Funky Cat, dessen Plattform auch vom neuen elektrischen Mini Cooper genutzt wird. 831 Zulassungen zählte das deutsche Kraftfahrtbundesamt bis Ende Juli. Das Ziel von mindestens 15'000 Fahrzeuge beider Marken dürfte aber kaum noch zu schaffen sein. Nach Deutschland sollen die Modelle von Wey und Ora nach und nach auf allen Märkten lanciert werden, in denen die Emil-Frey-Gruppe vertreten ist – perspektivisch also auch in der Schweiz. Vorher muss aber zuerst der Streit um das Vertriebsmodell beigelegt werden.
Unsere Prognose: Auch ein Riesen-Konzern wie GWM kann nur mit einem funktionierenden Vertrieb nachhaltigen Erfolg haben. Ob Wey und Ora nach dem Fehlstart die Kurve kriegen, muss sich erst noch zeigen.
MG
Traumhaftes Comeback für die einstige britische Sportwagenmarke MG nach dem Konkurs 2005: Unter den Fittichen des grössten chinesischen Autokonzerns SAIC kamen die ersten Fahrzeuge 2019 erst nach England, danach auch aufs europäische Festland. In Ländern wie Deutschland gehören die MGs mittlerweile zum Strassenbild: Im ersten Halbjahr 2023 wurden dort fast 10'000 E-Autos verkauft – eine Verdoppelung gegenüber dem gesamten Vorjahr. Gründe für den Erfolg sind das dicht geknüpfte Händlernetz mit über 100 Vertretungen in Deutschland und das Produktportfolio, das den Geschmack der Kundinnen und Kunden zu treffen scheint.
Bestseller ist der kompakte MG4 Electric, der zu Preisen ab umgerechnet 32'000 Franken zum Beispiel gegen den VW ID.3 antritt. Daneben bieten die Chinesen mit dem MG5 den ersten Elektro-Kombi der Welt an. Weitere Modelle sind die SUVs ZS EV, Marvel R (beide rein elektrisch), EHS (Plug-in-Hybrid) und ZS (Benzin). Ursprünglich hatte MG geplant, 2022 auch in der Schweiz durchzustarten – bislang lassen die Modelle aber weiter auf sich warten. Wann es so weit sein wird, ist nach wie vor unklar.
Unsere Prognose: MG baut sein Geschäft dort auf, wo die europäischen Hersteller abbauen – in der Mittelklasse. Mit dem riesigen SAIC-Konzern im Hintergrund dürfte sich MG dauerhaft bei uns etablieren.
Nio
Nio-Gründer und CEO William Li (49) wird fast als chinesischer Elon Musk (51) gefeiert. Der eloquente Vordenker startete nach einem Fast-Konkurs 2020 in China erfolgreich durch und wollte danach auch den europäischen Markt im Sturm erobern. Seine E-Autos können sich nicht nur optisch sehen lassen: Die auf einigen europäischen Märkten bereits erhältlichen Limousinen ET5 und ET7, der Elektrokombi ET5 Touring und die SUVs EL6, EL7 und ES8 leisten zwischen 480 und 650 PS und stromern je nach Akku zwischen 450 und 600 Kilometer weit. Bald sollen dank Feststoffakkus gar bis zu 1000 Kilometer drin liegen.
Gegen die Reichweitenangst tritt Nio mit eigens entwickelten Batterie-Tauschstationen an. Hier können die Energiespeicher im Unterboden der Fahrzeuge in wenigen Minuten ausgewechselt werden. Die Tauschstationen könnten Unternehmer Li aber zum Verhängnis werden: Der Aufbau eines flächendeckenden Netzes verschlingt Unsummen, der Unterhalt ebenfalls. Daher spannt Nio jetzt mit dem deutschen Energieversorger EnBW zusammen. Doch die Verkaufszahlen sind noch weit weg von den ursprünglich Zielen, hinzu kommt der harte Preiskampf mit Tesla auf dem Heimatmarkt, in dem Nio wiederholt die Preise senken musste. Allein im ersten Quartal 2023 machte Nio einen Verlust von rund 600 Millionen Franken.
Unsere Prognose: Ob Nio der grosse Durchbruch gelingt, hängt vom Erfolg in Europa ab. Das Potenzial ist definitiv vorhanden. Doch im hart umkämpften Premiumsegment ist die Luft für Newcomer dünn.
Xpeng
Ebenfalls aufs Premiumsegment zielt Newcomer Xpeng, der in Norwegen, Schweden, Dänemark und den Niederlanden bereits zwei Limousinen und zwei SUVs anbietet. Flaggschiff von Xpeng, die den mächtigen Alibaba-Konzern als Geldgeber im Rücken haben, ist der Luxus-SUV G9, der dank 800-Volt-Technologie mit bis zu 300 kW am Schnelllader nachtankt – so schnell wie aktuell kein anderes E-Auto. Auch die Reichweiten von bis zu 650 Kilometer können sich sehen lassen. Der Vertrieb soll über eigene Markenstores in Metropolregionen sowie über Handelspartner wie Emil Frey laufen. Die Preise für den Edel-SUV G9 und die Oberklasse-Limousine P7 starten bei rund 67'000 Franken.
Unsere Prognose: Technologisch und optisch sind die E-Autos von Xpeng auf der Höhe der Zeit. Ob das reicht, um gegen etablierte Edelmarken wie Audi, BMW oder Mercedes in Europa zu bestehen, ist aber mehr als unsicher.