Best of 2023
Unterwegs im Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer

Der 300 SL zählt zu den schönsten und wertvollsten Autos in der Geschichte von Mercedes-Benz. Wie es sich anfühlt, selbst hinter dem Steuer des zwei Millionen Franken teuren Schmuckstücks Platz zu nehmen, durfte SonntagsBlick auf einer Testfahrt in den Alpen erleben.
Publiziert: 25.12.2023 um 16:20 Uhr
|
Aktualisiert: 25.12.2023 um 16:28 Uhr
1/17
Der Mercedes-Benz 300 SL gilt als einer der schönsten Oldtimer aller Zeiten.
Foto: Lorenzo Fulvi
RMS_Portrait_AUTOR_931.JPG
Lorenzo FulviRedaktor Auto&Mobilität

«Ist alles in Ordnung?», fragt mich Uwe Karrer, Werkstatt-Mitarbeiter im Mercedes-Benz Classic Center Fellbach (D). Ich sitze zum ersten Mal überhaupt in einem Mercedes-Benz 300 SL – und dann auch noch auf dem Fahrersitz. Als Classic-Fan wahrlich überwältigt vom Anblick des schönen Innenraums strecke ich Karrer den Daumen aus der geöffneten Fahrertüre entgegen. «Na dann, gute Fahrt!»

Einfach fahren

Ungläubig schaue ich mich um: Wie, gute Fahrt? Noch mal fürs Protokoll: Ich befinde mich gerade in einem originalen Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer aus dem Jahr 1956, und zwar auf dem Diavolezza-Parkplatz mitten auf dem Berninapass auf über 2000 M. ü. M. Ein paar Minuten vorher meinte Karrer noch, der Klassiker hätte beim Fahren so seine Tücken. Ein Oldtimer-Fahranfänger in einem Zwei-Millionen-Franken-Auto mitten in den Alpen – kann das gut gehen?

Ich erinnere mich an Karrers Worte: «Zum Starten den Schlüssel drehen und gleichzeitig Gas geben. Danach kannst du einfach losfahren.» Gesagt, getan. Übungshalber schalte ich zuerst die vier Gänge durch, um ein Gefühl für die Schaltung zu bekommen. Ich starte den Motor und löse die Handbremse, die sich links unterhalb der hohen Türschwelle befindet. Langsam und mit Gefühl lasse ich die Kupplung kommen und taste mich gleichzeitig mit dem Gaspedal immer weiter nach unten. Und siehe da: Der Flügeltürer rollt!

Voller Genuss

Showdown am Schaltknüppel: Schaffe ich's tatsächlich, den nächsten Gang einzulegen, ohne den Motor des Millionen-Schmuckstücks abzuwürgen? Entschlossen greife ich zum filigranen Schalthebel, trete das Kupplungspedal durch und ziehe den Hebel zu mir in den zweiten Gang. Auch die Übung gelingt, ohne dass mir der 300 SL absäuft. «Bereit für die Passstrasse?», fragt Oldtimer-Profi Uwe Karrer, bevor es ernst wird.

«Klar doch!», entgegne ich jetzt schon etwas entspannter. Zum Glück sind mir als regelmässiger Passfahrer auch die Kehren des Bernina ganz und gar nicht unbekannt. Einer der schönsten Pässe der Schweizer Alpen mit seinem eindrücklichen Panorama verbindet das Engadin im Norden mit dem italienischen Veltlin im Süden. Doch statt Geografie gibts jetzt Nostalgie – auf gehts!

Sitze wie ein Sofa

Nervös, aber zielstrebig folge ich dem vorausfahrenden Mercedes-Begleitfahrzeug den Pass hoch. Die Instrumente zeigen gemächliche 60 km/h – mit Tachoabweichung könnten es auch bedeutend weniger sein. Erster Eindruck: Der 300 SL fährt sich äusserst komfortabel – besonders die Sitze fühlen sich an wie ein Sofa, auf dem man Stunden verweilen möchte. Die Lenkung ist im Vergleich zu modernen Autos arg schwammig; doch bei solch einem Schmuckstück spielt das eine Nebenrolle.

Ich geniesse jeden Moment im Flügeltürer, auch wenn ich mir an diesem warmen Herbsttag eine Klimaanlage im Oldtimer wünschen würde. Etwas Abhilfe schafft das kleine, dreieckige Kippfenster an der Seitenscheibe, das zumindest bei höheren Tempi für etwas frische Luft im Innenraum sorgt. Frisch muss ich auch im Kopf sein – schliesslich möchte ich nicht derjenige sein, der einen Zwei-Millionen-Franken-Oldtimer in die Leitplanke setzt.

Kein Sparfuchs

Der unter der wohlgeformten Haube längs eingebaute Dreiliter-Sechszylindermotor ist jetzt voll in seinem Element und füllt den Innenraum mit einem angenehmen Dröhnen. Den Verbrauch können wir nur erahnen. Offiziell sind es 16 l/100 km – aufwärts zum Pass dürften es erheblich mehr sein. Liegen bleiben werden wir mit dem 300 SL aber bestimmt nicht – 130 Liter (!) fasst der Tank des Klassikers.

Mercedes-Benz 300 SL (W 198)

Antrieb Dreiliter-R6-Benziner, 215 PS (158 kW), 275 Nm, 4-Stufen-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb
Fahrleistungen 0–100 km/h in 10,0 s, Spitze 260 km/h
Masse L/B/H 4,52/1,79/1,30 m, Gewicht 1220 kg
Preise 1958 ab rund 15’000 Fr., heute je nach Zustand zwischen 1,5 und 2,2 Millionen Franken

Antrieb Dreiliter-R6-Benziner, 215 PS (158 kW), 275 Nm, 4-Stufen-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb
Fahrleistungen 0–100 km/h in 10,0 s, Spitze 260 km/h
Masse L/B/H 4,52/1,79/1,30 m, Gewicht 1220 kg
Preise 1958 ab rund 15’000 Fr., heute je nach Zustand zwischen 1,5 und 2,2 Millionen Franken

Der Motor war schon früher nicht als Sparfuchs bekannt, verfügte dafür aber über eine Benzineinspritzung – damals eine echte Neuheit. Die 215 PS (158 kW) und 275 Nm wirken heute wenig aufregend – dannzumal war der Flügeltürer damit ein echter Bolide. Und mit seinem Leergewicht von nur rund 1200 Kilo marschiert der Benz auch locker leicht den Berg hoch. Die Passhöhe auf 2328 M. ü. M. ist schnell erreicht – kurze Verschnaufpause, bevor wir uns auf den Weg zurück zum Flugplatz Samedan machen.

Schnelles Finale

Im Tal angekommen, gehts mit dem 300 SL auf zum Beschleunigungstest – die Landebahn ist an diesem Tag extra für uns abgesperrt. «Viel Spass», ruft mir Karrer zu – und ich trete das Gas voll durch. Allerdings ist die Beschleunigung nicht mit der eines modernen Boliden zu vergleichen. Gemächliche zehn Sekunden braucht der Flügeltürer laut Datenblatt, um auf Tempo 100 zu kommen – das schaffen heute sogar manche Lieferwagen. Doch was der Oldtimer dafür bietet, sind Emotionen pur: Alles rattert, knarzt und poltert. Die Gasannahme bei Vollgas ist fantastisch, und man spürt sogar, wie die Drosselklappe voll geöffnet ist und die Drehzahl stetig steigt. Die theoretisch mögliche Spitzengeschwindigkeit von 260 km/h machte den Flügeltürer einst zum schnellsten Sportauto der Welt.

Auf dem Flugplatz Engadin dürfen wir den 300 SL voll ausfahren.
Foto: Mercedes-Benz AG

Bei mir zeigt der Tacho «lediglich» 180 km/h an, bevor ich nach den 1000 Metern im Sprint in die Eisen steige. Wegen der Trommelbremsen verzögert das Schmuckstück, wie er beschleunigt – eher gemächlich. Zum Glück ist die Auslaufzone grosszügig dimensioniert und mehr als genug Platz vorhanden, um den Oldtimer unbeschadet zum Stillstand zu bringen.

Schon beim Aussteigen spüre ich aufkommende Wehmut: Wie schön es wäre, einen Mercedes 300 SL sein Eigen nennen zu können. Für mich wird der Oldtimer wohl immer ein Traum bleiben. Je nach Zustand kostet ein Flügeltürer heute zwischen 1,5 und 2,2 Millionen Schweizer Franken – mindestens. Doch am Ende kann ich mich selbst trösten: Die Fahrt in diesem absoluten Klassiker wird mir lange in Erinnerung bleiben.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?