Schön ist anders. Sorry, mit Italianita und Grazie hat dieser Sportwagen nicht zu tun. Wäre dieses Auto ein Hund, dann eine besonders wilde Promenadenmischung. Es ist eine fliegende Untertasse mit Teilen vom Schrottplatz. Furchtbar, spektakulär, einzigartig und eine Sternstunde des Automobilbaus – das ist der Lamborghini Countach. Für die meisten hässlich wie die Nacht, doch fraglos eines der atemberaubendsten Autos, die es je gegeben hat. Kein Lambo ist mehr Lambo als der Countach.
Doch man würde die Realität verbiegen, würde man beim Gedanken an den fast unaussprechlichen Countach allein in Jubelarien verfallen. Als der Nachfolger des famosen Miura das automobile Licht der Welt erblickte, erzitterte die Sportwagenwelt in ihren Grundfesten. Ferrari schüttelte den unspektakulären 512 BB aus dem Ärmel, Porsche glänzte mit dem ersten 911 Turbo. Bei Aston Martin und Maserati herrschte dagegen ungläubige Schockstarre. Dass das kantige Raketendesign des Countach polarisierte, wäre schlichtweg eine Untertreibung.
Unschlagbar – im Quartett
Auch beim Quartettspiel auf dem Schulhof hatte niemand was entgegenzusetzen. Wer mit einem Countach seine Gegner ausstach, der brauchte in den nächsten zwei Tagen nicht mehr nach den Hausaufgaben zu fragen. Mehr Zylinder, mehr Hubraum waren damals kaum zu finden. Zu den schnellsten gehörte der 4,14 Meter lange Supersportwagen sowieso.
Im Kreise der Kumpane konnte man beim Kartenspiel zwar Anerkennung ernten, doch geliebt wurde man mit dem italienischen Donnervogel nicht. Das war in der Realität kaum anders. Limbo-Erfahrung war beim Countach mit seinen 1,07 Meter Höhe beim Einsteigen von Vorteil. Wer ihn pilotierte, der war anders. Schnell, gewiss. Aber auch extravaganter als erlaubt. Einen Countach fuhr, wem ein Aston, ein Monteverdi, ein Porsche oder ein Ferrari zu langweilig war.
Durch die Stadt mit Gebrüll
Als Aufreger funktioniert er noch heute, wenn der brüllende V12 vorbei an der bayrischen Staatskanzlei in Richtung Museumsviertel verschwindet. Über einen hakeligen Stock wird heruntergeschaltet; oben links in Gang Nummer zwei. Selbst im Trockenen bringen die 345er-Hinterreifen die Kraft kaum auf den Asphalt. Mitarbeiter der städtischen Verkehrsbetriebe blicken auf und zollen dem schwarzen Ufo nur im geheimen Beifall. Aber wüssten sie, wie unbequem man mit 1,90 Metern und über 100 Kilogramm in dem wilden Italoboliden sitzt – sie würden klatschen. Bravo!
Kein Vergleich zu heute, wo sich Lamborghini mit Audis Gnaden dem sinnvollen Allradantrieb verschrieben hat. Valentino Balboni, jahrzehntelang Cheftestfahrer der Marke, schüttelt darüber noch heute den Kopf. «Ich habe nichts lieber gefahren als den Miura. Das war ein Auto – da kommt keines ran. Auch nicht die aktuellen Modelle», erinnert er sich. Denn Allradantrieb, automatisiertes Renngetriebe und elektronische Assistenten machen emotionale Renner wie Aventador oder Huracan ebenso schnell wie berechenbar. Wild war gestern – und der Countach war wohl der Letzte seiner Art.
Der Wildeste auf der Strasse
Auf der Autobahn Richtung Garmisch zeigt der Lambo, was er kann. Die Kupplung erfordert einen starken linken Oberschenkel und die fehlende Servolenkung lässt den Ausritt zum Workout werden. Locker pflügt das Feindbild jeder Ökobewegung durch die billige Tachoskala aus dem Fiat-Regal gen Süden. In engen Kurven oder im Grenzbereich gab es einfachere Renner. Das wilde Heck, das kleine Steuer und mächtig Dampf auf der Hinterachse. Einen Lambo zähmen? Nahezu unmöglich – damals, wie heute. Fussballprofis liebten ihn, Stars und Sternchen parkten ihn ebenso gern in der Hofeinfahrt wie das Rotlichtmilieu, das den Countach gern farbenfroh chauffierte.
Darüber geht oft vergessen, was für ein exzellenter Sportwagen der Mega-Lamborghini eigentlich war. Am deutlichsten wird das in den Jahrgängen 1988 bis Anfang 1990. Die Sonderauflage zum 25. Geburtstag verkaufte sich sagenhafte 658 Mal und ist längst begehrter denn je. Geänderte Front- und Seitenspoiler sowie modifizierte Lufteinlässe unterscheiden das Sondermodell äusserlich vom 1985 eingeführten Countach Quattrovalvole, bei dem die Vierventil-Technik erstmals zum Einsatz kam.
Nicht nur auf dem Highway ist die Hölle los
Der wohl bekannteste Countach ist jedoch keines der 658 Modelle der 25er-Edition, sondern ein früheres Werk von 1979. Der Lamborghini Countach LP 400 S mit der Fahrgestellnummer 1121112 war einer der automobilen Hauptdarsteller in der Actionkomödie «Auf dem Highway ist die Hölle los» von 1981. 40 Jahre nach Erscheinen des legendären Streifens wurde der schwarze Bolide vom National Historic Vehicle Register der US-Kongressbibliothek in die Liste der bis heute gerade einmal 30 Fahrzeuge aufgenommen, denen eine nationale Bedeutung für die Vereinigten Staaten von Amerika bescheinigt wird.
Der letzte Countach wurde schliesslich am 4. Juli 1990 produziert und rollte gleich ins angeschlossene Museum, während der erste des Nachfolgers Diablo vom Band lief. Selbst Nicht-25er-Editionen des Countach aus dem Ende der 1980er-Jahre kosten schnell eine Viertelmillion Franken. Selbst die optisch und technisch oftmals verunglimpften Versionen der Endsiebziger und Anfang Achtziger gibt es längst nicht mehr für fünfstellige Beträge.
Die Sinne beisammen halten
Wer einmal die Möglichkeit hat, eines der letzten Exemplare zu bewegen, kann sich glücklich schätzen. Es ist eng, das Einsteigen die Hölle, und rückwärts einparken geht am besten mit offener Tür und rücklinks auf dem Türschweller sitzend – Limbo eben. Die Grenzen der Fahrdynamik bestimmt allein der Fahrer, der mehr Pilot denn Führerscheininhaber sein sollte. 0 auf 100 km/h in unter fünf Sekunden ist machbar – wenn man seine Sinne und Motorik im Zaum hat. Im Rücken brüllt einen der 5,2 Liter grosse Zwölfender an, wohl um einen anzufeuern, endlich mehr Gas zu geben.
Mehr, immer mehr, bis es nicht mehr geht – die 455 PS machen alles möglich. Das maximale Drehmoment von über 500 Newtonmetern ist bei 5.200 Touren irgendwie vorbeigerauscht. Dürfte am ohrenbetäubenden Lärm und der zunehmenden Affenhitze im Cockpit liegen. Man ist angeekelt und völlig eingenommen. Erst bei 290 km/h wäre auf der Autobahn das Ende des Schauspiels erreicht. Die Hände sind feucht, nein nass, und es ist einfach nur irre. Mehr, mehr. Und haben wollen.
Parkieren? Ein Horror.
Am Münchner Siegestor wird der Dämon abgestellt. Das Einparken ist selbst vorwärts der Horror. Die Lenkung schwer wie ein Medizinball, dazu sieht man exakt nichts. Zum Glück passen andere auf – das Münchner Publikum schart sich um den Countach, als käme er direkt aus dem All. Den Zündschlüssel gedreht und aus. Die Tür schwingt nach oben, und erst jetzt spürt man, dass durch die dreiteiligen Fenster nur ein müdes Lüftchen in den verbauten Innenraum gelangt war. Dieses Auto verschlägt einem den Atem – so oder so.
Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag, lieber Countach. Sieht man dir an – zum Glück. Und wir sind gespannt, ob dein gleichnamiger Nachfolger uns ebenso den Atem nehmen wird.