Die Kurvenkombination vor der langen Start-Ziel-Geraden auf dem «Circuito de Navarra» ist nur der Prolog vor dem wilden Sturm. Der kurze Linksknick geht mit Volllast. Doch wer dann zu spät in die Eisen steigt, zahlt bei der folgenden engen Rechtskurve und vor allem auf der anschliessenden Geraden mit Tempoverlust.
Also kräftig und dennoch gefühlvoll auf die Bremse und gleichzeitig den McLaren 720S GT3X ausrichten. Der Stunt gelingt. Die Schnauze biegt sofort in die Kurve ein, und so können wir schon kurz vor dem Scheitelpunkt wieder aufs Gas.
Bitte überholen
Wie ein visueller Trommelwirbel schnellen die Leuchtdioden nach rechts. Bamm, bamm, bamm! Mit dem Schaltpaddel schnalzen wir die Gänge hoch, hinter uns kreischt und sägt der Vierliter-Achtzylinder-Biturbo voller Inbrunst.
Schon vor der Ziellinie ist die sechste Stufe des sequenziellen Getriebes erreicht und wir drücken den gelben Knopf ganz links oben auf dem Steuer. «PTP» steht für «Push to Pass» (drücken, um zu überholen) und setzt 30 PS (22 kW) zusätzlich zu den 720 PS (529 kW) frei. «Go! Baby go!», feuert uns das Display an. Die Extra-Vitamine wuchten den 1210 Kilogramm schweren GT-Sportler vorwärts. Heissa!
Eine «Rennmaschine»
Wir grinsen übers ganze Gesicht. Doch schon am Ende der Geraden wartet die nächste knifflige Aufgabe: erst ein schneller Rechtsknick, auf den zwei Kurven folgen, von denen die letzte massiv zumacht. Wieder sind die Pirelli-Slicks im Zusammenspiel mit dem mächtigen Heckspoiler gefordert. Kein Problem. Das flache Biest sieht zwar furchteinflössend aus, lässt sich aber perfekt dirigieren. Und weiter geht unser heisser Ritt. Am Steuer dieses «Track Tools» (dt. Rennmaschine) konzentrieren wir uns auf jeden Zentimeter Asphalt.
Rasantes Labor
«Wir haben einfach geschaut, was wir ohne Einschränkungen machen können, um eine optimierte Version des McLaren GT3 zu kreieren», sagt Chef-Designer Sam Purvis. Das Lastenheft war eindeutig: Einfach den schnellsten McLaren ausserhalb der Formel 1 zu bauen. Mission erfüllt! Der 720S GT3X nimmt dem schon nicht gerade langsamen GT3 auf dieser Rennstrecke rund fünf Sekunden pro Runde ab. Im Rennsport sind das Welten.
Das ist aber nicht nur Racing-Wettrüsten. Der 720S GT3X dient als rollendes Labor, weil einige seiner Verbesserungen in künftige Serienmodelle des britischen Sportwagen-Herstellers einfliessen werden. Deshalb lohnt ein Blick in die Geheimnisse des GT-Renners, der auch im Kundensport eingesetzt wird und bei dem mehr als 90 Prozent der Teile von der Serienversion des McLaren 720S übernommen wurden. Aber genau diese restlichen zehn Prozent haben eine grosse Wirkung.
F1-Feinschliff
Im Zentrum steht der handgefertigte V8-Biturbo, bei dem die Ingenieure an einigen Stellschrauben gedreht haben: ein optimierter Zylinderkopf, verstärkte Kolben, grössere Turbolader und konsequenterweise ein verbesserter Ansaugtrakt. Passend dazu bekommen auch die vom GT3 übernommenen Bremsen eine bessere Kühlung.
Aus dem Strassenfahrzeug (hier gehts zum Test) bleiben die Karbon-Fahrgastzelle und die Karosserie aus Verbundstoff. Die gesamte Aerodynamik erhielt im F1-Windkanal den Feinschliff. Dazu gehören vor allem das Heck samt Spoiler sowie der optimierte Unterboden samt Diffusor. Als wenn das Überholen eines McLaren 720S GT3X nicht schon schwer genug wäre, haben die Briten noch Radarsensoren ins Heck gepackt, die den Fahrer warnen, wenn sich Konkurrenten von hinten nähern.
Digitales Racing
Im Boliden steckt jede Menge Rennsport-Hightech. Am Lenkrad lassen sich per Drehschalter das Motor-Mapping, das ABS, die Bremsbalance und die Traktionskontrolle verstellen, und auf dem Display lassen sich alle Parameter wie Reifendruck, die Motor- und Bremsentemperatur sowie die Rundenzeiten ablesen. Das ist Racing pur.
Wer jetzt Lust auf die Jagd nach Bestzeiten bekommen hat, sollte schon mal mehr als 700'000 Euro (umgerechnet 740'000 Franken) auf die Seite legen. Und nicht allzu lange zögern. Denn McLaren baut nur 15 Stück des 720S GT3X.