Concept Cars für neue Serienmodelle sind streng geheim. Aber noch geheimer sind jene Studien, die zu verrückt, zu unrealisierbar oder zu absurd erscheinen, um morgen oder nächste Woche auf die Strasse zu kommen. Sie verschwinden spurlos, vom Publikum ungesehen. Porsches Designchef Michael Mauer (58) öffnet nun für einmal die Tür zu seinem verbotenen Keller und zieht einige der Designstudien hervor, die unter seiner Ägide seit dem Jahr 2004 entstanden sind. Wie den roten Van-Boliden namens Vision Renndienst, der wohl stante pede zum Traumauto für Familienväter avancieren würde. Wenn er mehr als nur ein lackiertes Modell im Massstab 1:1 wäre.
All diese Studien waren nie für die Öffentlichkeit bestimmt. Der Porsche-Vorstand durfte schauen, sonst niemand. Weil sie eben keine Ausblicke auf konkrete Serienmodelle sind, sondern Ideen symbolisieren sollen. Ideen, die in die Zukunft weisen und vielleicht auch erst in einem Jahrzehnt technisch umsetzbar sein werden. Also brotlose Designkunst?
Revolution statt Evolution
Für Mauer gibt es zwei Wege, eine Marke auch nach 75 Jahren ihres Bestehens – Porsche baute 1948 den ersten Sportwagen – frisch zu halten: Entweder entwickelt man seine Modelle kontinuierlich weiter. Aber so sei man eben nicht wirklich innovativ und unterliege dem Druck, die Serienreife immer mitzudenken. Für revolutionäre Konzepte müsse man vielmehr weiter in die Zukunft schauen: «Die Idee ist es, gedanklich ins Übermorgen zu springen und sich von dort aus rückwärts zurück ins Morgen zu bewegen.» Auf dem Rückweg setzt Mauer die nötigen Zwischenschritte, um in zehn oder 15 Jahren auch in dieser Zukunft ankommen zu können. Porsche-Chef Oliver Blume lässt Mauer und seinen 120 Mitarbeitenden dabei tatsächlich freie Hand – und genehmigt sogar selbst das Budget.
Ausgangspunkt im Designprozess ist nie ein schon bestehendes Serienmodell, sondern eine Idee: Was wäre, wenn man die Technik des mehrfachen Le-Mans-Siegerautos 919 Hybrid in einen Strassenrenner verpflanzen würde – 919 Street. Ein rallyetauglicher Elfer? Porsche 911 Vision Safari. Der liess sich 2012 sogar als Prototyp fahrfertig aufbauen, aber Realisierbarkeit ist so zweitrangig wie Marktgängigkeit, wenn Mauer die Ideen fliegen lässt.
Strasse oder Schublade?
Kleine puristische Sportwagen liegen ihm vor allem am Herzen, wie die Studien Boxster Bergspyder oder Vision 916 zeigen. Doch noch konnte sich bei Porsche niemand zu einem entsprechenden Serienmodell durchringen. Wie geht man damit um, wenn ein Entwurf, an dem man monatelang gefeilt hat, nicht die erhoffte Resonanz bekommt? «Indem Ihnen bewusst ist, dass ein Grossteil Ihres Gehalts Schmerzensgeld ist.» Mauer lacht, gibt aber auch zu, dass Ablehnung einen Designer kurzzeitig schon ins «Tal der Depression» stürzen könne.
Jedem im Designteam sei aber bewusst, dass die Chance, einen Entwurf zur Serienreife bringen zu können, viel geringer sei als die, dass er schlussendlich in einer Schublade verschwinde. Dort kann Mauer ihn aber jederzeit wieder herausziehen. Mal frage er sich dann kopfschüttelnd, wie es denn zu dieser Idee gekommen sei. Oder aber eine alte Skizze aus dem Übermorgen liefert genau die entscheidende Idee, um ein anderes aktuelles Projekt weiterentwickeln zu können. Wie im Falle des Vision Turismo: Der startete 2016 als viertüriger Supersportler mit Heckmotor – der sich Stand der Technik nicht unterbringen liess. Dafür wurde er zur Inspiration für den Porsche-Stromer Taycan. Wie viele weitere nicht realisierte Entwürfe Mauer noch hinter Schloss und Riegel hält? «Alles zeigen wir dann doch nicht.»