Autogaragen im Wandel
Zwischen Tradition und Technologie

Kaum eine Branche befindet sich so im Umbruch: Digitalisierung, Elektrifizierung und Hightech fordern das Garagengewerbe heraus. Drei Garagistinnen und Garagisten berichten, warum sie dennoch eher Chancen statt Risiken sehen und wie sie innovativ voranfahren.
Publiziert: 16:55 Uhr
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Digitalisierung, Elektrifizierung und Hightech fordern das Schweizer Garagengewerbe heraus. Drei Betriebe berichten, wie sie mit dem Wandel umgehen.
Foto: zvg/AGVS-Medien

Auf einen Blick

  • Schweizer Garagenbranche im Wandel: Digitalisierung und Innovation als Schlüssel
  • Persönlicher Service bleibt wichtig
  • AGVS vertritt 4000 Betriebe und verantwortet Aus- und Weiterbildung
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Timothy Pfannkuchen

Unsere Reise in die Zukunft des Autogewerbes beginnt am Telefon. Bei der Garage Lichtsteiner im aargauischen Brittnau begrüsst vom Band im örtlichen Dialekt Leo, der Garagenkater. Er tigert auch real durch den Betrieb von Dominik Lichtsteiner, 29, Mitglied des Schweizer Auto Gewerbe Verbands (AGVS). Doch vor allem ist Leo als stilisiertes Maskottchen präsent. Marketing!

Innovation und Positionierung lauten heute zwei der Zauberworte, um Garagen zukunftsfit zu machen. Nicht, dass sie keinen Veränderungsdruck gewohnt wären. Ölkrisen, Konjunkturflauten, Pandemie, Inflation, Nachwuchsknappheit: Am Ende landet der Druck dort, wo unsere Autos umsorgt werden. Aktuell kommt allerdings alles aufs Mal. Digital soll es werden, aber persönlich bleiben. Margen sollen sinken, aber mehr Ausbildung und Ausrüstung sind ein Muss. Zwei Beispiele: Wer an E-Autos schraubt, braucht eine sogenannte Hochvoltausbildung. Und Assistenzsysteme wollen kalibriert sein.

Auch E-Autos gehen kaputt

Die Zukunft ist wie ein Facebook-Status: Es ist kompliziert. Unmöglich? Nicht für Lichtsteiner und seine sechs Mitarbeitenden. Er nimmt die Zukunft mit Zuversicht, setzt auf Teamgeist statt Patronage, flexible Arbeitszeiten, Chancen statt Risiken. «Gefragt ist heute Offenheit! Das ist die beste Zeit für unsere Branche – falls man den Mut hat, es anzupacken», sagt er und bietet zum Beispiel Auto-Abos an. «Wir sind Mobilitätsdienstleister!» Knabbern nicht E-Autos Werkstattumsätze weg? «Viele sagen: Damit hast du doch weniger Arbeit. Ich sage: Mag sein, aber Zeit für anderes. Und: Auch E-Autos gehen kaputt, und nach unserer Erfahrung ist der Ertrag quasi gleich. Verschliesse ich mich der Zukunft, habe ich keine.»

Aktuell holt Lichtsteiner Wissenschaft in die Werkstatt: Mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) arbeitet er an Projekten. Etwa an einer Bachelorarbeit: Will die Kundschaft alles aus einer Hand, also Auto samt Versicherung, Servicepaket, Garantieverlängerung und Pannenservice? Lichtsteiner ist davon überzeugt und gibt der Kundschaft gratis eine einjährige Assistance des AGVS mit. «Das schafft Vertrauen. Neun von zehn Kundinnen und Kunden kommen wieder», sagt Lichtsteiner. «Und wichtig ist zeitgemässe Digitalisierung. Finden wir einen Defekt, rufen wir nicht an, sondern schicken ein Video, in dem unser Mechaniker alles erläutert. So haben Sie null Zeitdruck, es ist transparent und persönlicher.»

Kaffee- statt Spritgeschmack

Nichts ersetzt das Persönliche, das gute Bauchgefühl. «Hygge» würde man es in Dänemark nennen, was mit «Wohlfühlen» ungenügend übersetzt wäre. Einen Hauch Dänemark hat es in der innovativen Garage der Jensen AG in Rümlang ZH, ebenfalls AGVS-Mitglied. Bei der Toyota- und Lexus-Markenvertretung ist «Hygge» Teil des Erfolgs. Viel Holz, viel Architektur, ein «Wowroom» – so heisst hier zu Recht der Showroom – und die «Kaffebutik».

Das gemütliche Café ist derart «hygge», dass ausser Garagenkundinnen und -kunden «Gäste aus der ganzen Region kommen», wie Nicole Jensen, 50, Mitglied der Geschäftsleitung, sagt. Die gebürtige Dänin hat das Unternehmen gemeinsam mit Ehemann Lars Jensen, 51, zum Wohlfühltempel mit Spa- statt Sprit-Aroma getrimmt. In der Kaffebutik gibts leckeres Frühstück statt dröger Wartezeit und teils ganze Damencliquen zum Kaffeekränzchen, Cüpli-Frühstück oder Samstagsbrunch. «In unserer Garage sollen sich gerade auch Kundinnen richtig wohlfühlen», betont Nicole Jensen.

Diese werden als Kundengruppe wichtiger – in der Garagenwelt generell. Bei den Jensens sind zehn der 40 Mitarbeitenden weiblich. «Wir fördern Inklusion und bauen Vorurteile ab», sagt Inhaber Lars Jensen, der wie Lichtsteiner übrigens die Digitalisierung als das aktuell grösste Thema sieht: «Uns Herausforderungen zu stellen, Trends zu setzen und uns neu zu erfinden, macht uns als Unternehmer aus. Das ist beim Thema weibliche Mitarbeitende nicht anders. In der Werkstatt gelingt uns noch nicht richtig, Mitarbeiterinnen zu etablieren. Auch mangels Fachkräftenachwuchs.» Aber das ändere sich sicher, hofft Nicole Jensen: «Neue Autoberufe verlangen mehr Köpfchen statt nur Muskeln.»

Diversität wächst stetig

Noch sind Frauen in der Werkstattminderheit, aber ihr Anteil steigt stetig. Wie ein Symbol für mehr Diversität in den Garagenbetrieben holte im September an den Berufsweltmeisterschaften Worldskills die Nutzfahrzeug-Mechatronikerin Sophie Schumacher (22) aus Hagneck BE Gold. «Wichtig ist, dass wir als Branche die Klischees durchbrechen und zeigen: Autoberufe sind nicht wegzudenken. Und alles andere als nur dreckig», sagt Luca Jaquet, 34. Jaquet ist Inhaber der Steiggarage L. Jaquet in Beringen SH sowie als Präsident der AGVS-Sektion Schaffhausen ein Repräsentant des 4000 Betriebe starken Verbands, der die Aus- und Weiterbildung im Garagengewerbe verantwortet.

Im Sechspersonen-Betrieb von Luca Jaquet finden wir weder Garagenkater noch «Kaffebutik». «Es gibt kein Patentrezept», antwortet Jaquet lachend. «Jede Garage muss ihre individuelle Strategie finden. Wir zum Beispiel positionieren uns in der Region als klassische Garage mit Hauptaugenmerk auf der Werkstatt und spezialisiert auf Wohnmobile. Unser Motto: Qualität aus Leidenschaft. Nicht nur Qualität der Arbeit, sondern auch der Kommunikation, ob extern oder mit flachen Hierarchien im Team.»

Zukunft voller Herausforderungen

Mut zu Neuem sei wichtig, dann habe eine Garage Zukunft: «Nur ein Beispiel: Wir haben einen syrischen Flüchtling in die Lehre genommen. Nun ist er 24 Jahre alt, hat die Aufenthaltsbewilligung B, ist im letzten Lehrjahr und bald einer unserer Vorzeigemitarbeiter.»

Wohin sich die Branchenzukunft entwickle? «Ich sehe die Branche im Umbruch. Wir müssen weg davon, dass es nur gut ist, wenn es hinten rausraucht und Lärm macht. Wir müssen flexibler, jünger und moderner werden. Und wir müssen unsere Werte leben.» Damit meint Jaquet auch diejenigen, die als Leitlinie des AGVS bei ihm an der Wand prangen und die Jaquet im Verband mit ausgearbeitet hat. Auch darin steckt die Zukunft: Statt einst «Auto» heisst es «Mobilität». Damit wir künftig auf allen Wegen gut ankommen.

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