Es wird seine 18. Rede seit Beginn des Krieges sein. Um 12 Uhr Ortszeit (10 Uhr Schweizer Zeit) wird sich Wladimir Putin (70) an das russische Volk wenden. Was wird der Kremlchef beinahe ein Jahr nach Kriegsbeginn verkünden? Eine weitere Mobilmachung? Die Schliessung der Grenzen?
Die Gerüchteküche in Russland brodelt. «Ob etwas Grosses ansteht?», titel die Zeitung «Komsomolskaja Prawda». Das Blatt hält sich mit konkreten Prognosen bedeckt. «Vermutlich», wird spekuliert, «werden neue militärische Unterstützungsmassnahmen angekündigt». Die Wörter Ukraine und Krieg fallen in dem Artikel jedoch kein einziges Mal.
Laut «Spiegel» will Putin mit seiner Rede am Dienstag die Einheit des russischen Volkes stärken und den nationalen Zusammenhalt heraufbeschwören. Denn auch wenn sich derzeit wenige Russinnen und Russen aktiv gegen den Krieg auflehnen, tragen sie den Krieg doch eher apathisch als begeistert mit. Ein Krieg, den Putin immer wieder als Krieg gegen den Westen, insbesondere gegen die USA, umzudeuten versucht.
Zuerst Putin, dann Biden
Ein unwillkommener Zwischenfall im Vorfeld seiner Rede ist in diesem Zusammenhang der Überraschungsbesuch von US-Präsident Joe Biden (80) in der Ukraine am Montag. Offiziell wurde dieser mit Schweigen quittiert, doch es ist offensichtlich, dass der hohe Besuch in Kiew die Kreml-Propaganda untergräbt, wonach die westliche Unterstützung der Ukraine schwindet.
Auch Biden soll am Dienstagabend in Warschau eine Rede zum traurigen Jahrestag halten. So will der höchste Amerikaner dem Mann im Kreml die Show stehlen. «Präsident Biden wird deutlich machen, dass die Vereinigten Staaten weiterhin an der Seite der Ukraine stehen werden, wie er schon oft gesagt hat, und zwar so lange, wie es nötig ist», sagte John Kirby (60), Kommunikationsdirektor des nationalen Sicherheitsrates der USA.
Damit stellt sich Biden einmal mehr klar seinem Amtskollegen im Kreml entgegen. Die Botschaft Bidens an den Aggressor ist klar: Der Westen steht weiterhin an der Seite der Ukraine und lässt sich von Russlands Drohungen nicht schrecken.
Sowieso stellt sich die Frage, wer hier Angst vor wem hat. Denn während sich der russische Machthaber wortwörtlich im gepanzerten Zug von Residenz zu Residenz fahren lässt, läuft der Amerikaner am Vortag mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (45) bei Luftalarm durch Kiew.
Bilder, die in die Geschichte eingehen werden – so wie womöglich auch die beiden Reden heute Dienstag. Biden ist dabei übrigens leicht im Vorteil: Der zeitliche Abstand zu Putins Rede gibt ihm die Möglichkeit zum Gegenschlag. Wie auch immer das Duell ausfallen wird – heute werden die beiden Länder, zumindest rhetorisch, ihre Klingen kreuzen.