Frau, Leben, Freiheit! Die iranische Regierung möchte diesen Ruf im Keim ersticken. Mit Gewalt konnten die Demonstranten bisher nicht zum Schweigen gebracht werden – trotz Hunderten Toten. Jetzt sollen offenbar Eingeständnisse die Wogen glätten: Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri (73) zufolge soll die Sittenpolizei aufgelöst worden sein, wie am Wochenende bekannt wurde.
Was sich damit im Alltagsleben der iranischen Bevölkerung genau ändert, ist weitgehend unklar. Viele Iranerinnen und Iraner glauben, dass die Ankündigung nichts weiter als eine kosmetische Massnahme ist, um der Protestbewegung Wind aus den Segeln zu nehmen.
Aktivistin Maryam Banihashemi (40) verliess den Iran vor sechs Jahren nur schweren Herzens. Sie hätte weiter dabei helfen wollen, das Land von innen zu verändern. Heute ist Banihashemi, die im Kanton Zürich wohnt, das Gesicht der iranischen Protestbewegung in der Schweiz. Als Mitglied der Gruppe «Free Iran Switzerland» organisiert sie Kundgebungen und politische Vorstösse. Zur Ankündigung von Generalstaatsanwalt Montaseri sagt sie: «Die Kopftuchpflicht wird damit nicht automatisch abgeschafft. Das ist nur ein Trick des Regimes, um die Proteste zu beruhigen und der Weltöffentlichkeit eine Veränderung vorzugaukeln.»
Bewegung für eine säkulare Demokratie
Das würden auch in ihrem Heimatland viele so sehen. Banihashemi steht in regem Kontakt mit Aktivisten im Iran. «Das Regime will die Demonstranten spalten und den internationalen Druck ableiten», sagt sie zu Blick. «Für das iranische Volk hat die angebliche Auflösung der Sittenpolizei keine Bedeutung. Das Regime versucht nur auf jede erdenkliche Weise, die gesamte Bewegung zu unterbinden. Aber dafür ist es zu spät.»
Selbst wenn die Kopftuchpflicht per Gesetzesänderung aufgehoben würde, wollen sich Banihashemi und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter nicht zufriedengeben. «Wir wollen einen Regimewechsel, keine Gesetzesänderung», sagt die Aktivistin. «Wir wollen eine säkulare Demokratie.»
«Tausende von Verbrechen gegen die Menschlichkeit»
Sie befürworte, dass Menschen ihren Glauben ausüben könnten, betont Banihashemi. «Das ist ihr Recht. Aber Religion und Staat sollten unabhängig voneinander sein. Deshalb kämpfen wir für einen Regimewechsel und das Ende der Islamischen Republik.» Die Kopftuchpflicht sei so gesehen nicht das Hauptproblem, sondern nur eines von vielen Problemen.
«Tausende von Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind vom Regime begangen worden, ohne dass die Sittenpolizei dabei eine Rolle gespielt hätte.» Andere Einheiten des Sicherheitsapparats der Islamischen Republik seien allgegenwärtig und würden weiterhin Verbrechen gegen iranische Bürgerinnen und Bürger begehen.
Auch in dieser Woche gehen die Protestaktionen im Iran weiter. Auslöser der Massenkundgebungen war der Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini (†22) im September. Sie starb schwer verletzt im Spital, nachdem sie wegen Verstosses gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verhaftet worden war. Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern wurden seither mindestens 470 Demonstranten getötet und rund 18'000 verhaftet. Mehrere Demonstranten wurden bereits verurteilt, einige von ihnen zum Tode.