«Ein goldener Wladlen. Genial!» Der russische Militärblogger Wladlen Tatarskij hält – kurz vor seinem Tod – eine goldene Statue in der Hand. Er wirkt erfreut über das Geschenk, das er vermutlich von Darja T.* (26) erhält. Sie sitzt bei der Diskussionsrunde für Militärfans in St. Petersburg nur wenige Meter entfernt auf einem Sessel.
Tatarskij fordert T. auf, sich neben ihn zu setzen. Sie lehnt ab, antwortet: «Ich bin schüchtern.» Die beiden lächeln sich zu.
Dann erschüttert eine Explosion das Gebäude. Der Propagandist stirbt. In der Büste soll laut den Ermittlern eine Bombe platziert worden sein. Darja T. wird verhaftet. Experten und Militärblogger diskutieren nach dem Vorfall vor allem eine Frage: Wer steckt wirklich hinter dem Anschlag?
Zwei Tage nach dem Anschlag kommen immer neue Details ans Licht. Am Montag wurde mit Dmitri K. ein weiterer Verdächtiger festgenommen, wie der Ehemann von Darja T. «The Insider» erzählte. Ihm zufolge wusste seine Frau nicht, dass die Büste Sprengstoff enthielt.
Wer steckt dahinter?
Der Kreml beschuldigt die ukrainische Regierung und den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny (46). Putins Pressesprecher Dmitri Peskow (55) kommentierte das Attentat in erwartbarer Weise. Er sagte unter anderem: «Das Kiewer Regime unterstützt terroristische Aktionen und könnte hinter der Ermordung von Wladlen Tatarskij und vielen anderen seit 2014 stecken – deshalb läuft die militärische Spezialoperation.»
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Auch das russische nationale Anti-Terror-Komitee, das den Anschlag untersucht, behauptet, dass der ukrainische Geheimdienst mit dem 2011 von Nawalny gegründeten Antikorruptionsfonds zusammenarbeitete, um den Anschlag auf Tatarskij zu planen.
Experten bezweifeln diese Version. Russland-Expertin Sarah Hurst vermutet eine «False Flag»-Aktion des russischen Geheimdiensts hinter der Attacke. Im Gespräch mit «Bild» sagt sie: «Wie im Fall der Ermordung der Ultranationalistin Daria Dugina ist es möglich, dass der russische Geheimdienst FSB all dies für seine eigenen Zwecke inszeniert hat. Entweder, um jemanden zu beseitigen, der unbequem geworden war, oder um die Botschaft zu senden, dass alle Russen in Gefahr sind, oder beides.» Folglich könnte Kremlchef Wladimir Putin (70) den Anschlag sogar selbst in Auftrag gegeben haben.
Sogar Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin (61) glaubt nicht daran, dass die ukrainische Regierung in den Anschlag involviert gewesen ist. Er sagt: «Ich denke, es gibt eine Gruppe von Radikalen, die wahrscheinlich nichts mit der Regierung zu tun haben.»
Militärblogger uneins
Auch unter russischen Militärbloggern herrschen Zweifel am vom Kreml verbreiteten Narrativ. Die US-Militärexperten vom Institute for the Study of War (ISW) berichteten in ihrem Lagebericht vom Montag von einem russischen Polit-Analysten, der offen die offizielle russische Reaktion auf Tatarskijs Tod kritisierte und anmerkte, dass russische Beamte die endgültigen Ergebnisse der Untersuchung wahrscheinlich im Vorfeld festgelegt hätten.
Der Historiker Jan Behrends von der Europauniversität im deutschen Frankfurt (Oder) hat wiederum eine ganz andere Meinung zu der Tat. Er sieht Kremlchef Putin vor einer innenpolitischen Zerreissprobe. Russland stehe am «Übergang zum Bürgerkrieg».
Er prognostiziert im Gespräch mit «Bild»: «In Putins Russland operieren viele bewaffnete Kräfte, es tobt bereits ein unterirdischer Kampf um die Macht. Repression und Gewalt werden Alltag.» Die fehlende Kohärenz unter den russischen Militärbloggern dürfte jetzt zu zusätzlicher Unruhe führen.
*Name bekannt