In seinem Krieg gegen die Ukraine hat Russland die Führung in Kiew für die Ermordung des kremlnahen Militär-Bloggers Wladlen Tatarski in St. Petersburg verantwortlich gemacht. Von einem «Terroranschlag» sprach am Montag Kremlsprecher Dmitri Peskow (55). Der 40 Jahre alte Tatarski, der mit bürgerlichen Namen Maxim Fomin hiess und von ukrainischen Medien als «kriegslüsterner Sadist» bezeichnet wurde, kam am Sonntag bei einer Explosion in einem Café im Zentrum der Millionenstadt St. Petersburg ums Leben. Das Attentat löste breites Entsetzen im russischen Machtapparat aus.
Auch Moskaus Staatsmedien zeigten Videos der Überwachungskameras von der Explosion in dem Café. Mehr als 30 Menschen wurden verletzt, als der Sprengsatz in die Luft ging. Auf Videos waren zerstörte Tische und Stühle in dem Café und Blutspuren zu sehen. Bei der Detonation am helllichten Tag in der Heimatstadt von Kremlchef Wladimir Putin (70) fielen auch Teile der Fassade auf den Bürgersteig und auf die Strasse.
Die Ermittler nahmen eine 26 Jahre alte Frau fest, die Tatarski eine Büste aus Gips überreicht hatte, bei einer Veranstaltung in dem Café. Dort wollte Tatarski, der selbst die «totale Vernichtung der Ukraine» gefordert hatte, über seine Erfahrungen als Kriegsreporter im Kampfgebiet im Osten der Ukraine sprechen. Auf einem vom russischen Innenministerium veröffentlichten Video vom Verhör räumte die Frau ein, Tatarski die Figur überreicht zu haben.
Nawalny wegen Extremismus vor Gericht
Die Beschuldigte gab aber weder Mordpläne zu, noch sagte sie, von wem sie die Büste erhalten habe. Ihr Ehemann sagte laut russischen Medien, dass sie nicht in der Lage sei, jemanden zu töten. Sie hatte das Café nach Übergabe des Geschenks auch nicht verlassen. Vielmehr sei seine Frau davon ausgegangen, dass in der Büste eine Wanze befestigt gewesen sei, um Tatarski abzuhören. Die Ermittlungen dauerten laut den Behörden an.
Kremlsprecher Peskow warf dem «Regime» in Kiew vor, schon seit langem «Terroranschläge» zu organisieren. Auch deshalb habe Russland seinen Krieg gegen das Land begonnen, sagte er. Das russische Anti-Terror-Komitee behauptete, die ukrainischen Geheimdienste hätten für den «Terroranschlag» die inzwischen inhaftierte Verdächtige herangezogen. Demnach soll die Frau mit der Anti-Korruptions-Stiftung des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny (46) in Verbindung gestanden haben.
Zuvor hatten Medien berichtet, die mutmassliche Täterin habe in der Vergangenheit an Demonstrationen für die Freilassung Nawalnys teilgenommen und sei wie der Oppositionsführer überzeugte Kriegsgegnerin. Nawalnys im Exil arbeitendes Team wies die Anschuldigungen der russischen Behörden kategorisch zurück. Verantwortlich für die Ermordung des Propagandisten seien vielmehr Agenten des Inlandsgeheimdienstes FSB, teilten die Oppositionellen Iwan Schdanow und Leonid Wolkow mit.
Schon seit Jahren versuche der Machtapparat, der Opposition Terror anzuhängen, sagte Schdanow. Entsprechende Vorwürfe des Anti-Terror-Komitees sind insofern heikel, als dass sich Nawalny bald in einem neuen Strafverfahren wegen Extremismus verantworten muss. Für die russischen Ermittler sei der Vorwurf im Fall der Explosion nun insofern bequem, als dass Nawalny so zur Höchststrafe wegen Terrors verurteilt werden könne, sagte Schdanow. Er und Wolkow warfen dem FSB vor, schon seit Jahren politische Morde zu inszenieren.
Prigoschin lobt Blogger als echten Patrioten
Der FSB habe diesen Blogger, der auch die Kriegsführung des Verteidigungsministeriums in Moskau kritisierte, selbst «beseitigt», sagte Schdanow. Tatsächlich hatte Tatarski dem Militärapparat «Systemfehler» bescheinigt und Verbesserungsvorschläge für die Kriegsführung gemacht. Die einflussreichen Militärblogger kritisieren zum Ärger des mächtigen Sicherheitsapparats immer wieder etwa auch Korruption und Amtsmissbrauch in der Staatsführung.
Mehr zu Militärbloggern
Diese Missstände hatte auch der Chef der Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, dem das Café, in dem Tatarski starb, gehörte, wiederholt angeprangert. Prigoschin lobte den Blogger als echten Patrioten und zeigte sich mit einer Russland-Fahne, auf der Tatarskis Name stand. Der Wagner-Chef widersprach zudem der Kremlauffassung und sieht eher eine Gruppierung radikaler Kriegsgegner hinter dem Anschlag. «Ich würde nicht dem Regime in Kiew die Schuld geben an diesen Handlungen», sagte er.
In Kiew sah der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, den Anschlag wie Nawalnys Team auch eher als ein Zeichen von Machtkämpfen in Russland. Auch «Spinnen» würden einander fressen in einem Gefäss, meinte er.
Der Nawalny-Mitarbeiter Schdanow sagte, die Agenten «vergiften und töten einander, teilen ihre Reviere auf. Diese Fälle sind einfach nicht alle publik». Nun wollten die Geheimdienstler Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung etwas anhängen. «Sie brauchen nicht nur den äusseren absoluten Feind in Gestalt der Ukraine, sondern auch einen inneren Feind in Gestalt des Nawalny-Teams», sagte Schdanow.
Sein Kollege Wolkow meinte, dass die «allmächtigen Geheimdienstler» sonst die Lage im Griff hätten, jetzt hätten sie aber ausgerechnet im Zentrum von St. Petersburg so etwas zugelassen – das spreche für den FSB als Verantwortlichen. Es ist bereits der zweite Fall seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor gut einem Jahr, in dem ein russischer Propagandist getötet wurde. Im vergangenen Jahr starb die Publizistin Darja Dugina bei einer Autoexplosion bei Moskau. (SDA)