Willkommenskultur? Das war einmal in Deutschland. 2015 rief die damalige CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel (69) ihr Volk dazu auf, die Arme zu öffnen für die Hunderttausenden, die über die deutschen Grenzen strömten. 2023 überbieten sich die Parteien in unserem nördlichen Nachbarland mit Vorschlägen, wie man den Migranten die Einreise erschweren könnte.
Sogar Nancy Faeser (53), die sozialdemokratische Innenministerin, sagte am Wochenende angesichts der rekordhohen Flüchtlingszahlen an Europas Grenzen, man müsse die «irreguläre Zuwanderung begrenzen». Das betrifft ganz konkret auch die Schweiz. An unserer Grenze zu Deutschland dürften sich die Kontrollen bald deutlich verschärfen – mindestens, wenn es nach dem Willen der Deutschen Bundespolizeigewerkschaft geht.
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Heiko Teggatz(50), Chef der Gewerkschaft mit über 100'000 Mitgliedern, sagt zu Blick: «Mehr Grenzpersonal an der Schweizer Grenze wäre wünschenswert und angebracht.» Der deutsch-schweizerische Polizeivertrag, der es deutschen Grenzpolizisten erlaubt, bereits in Zügen am Bahnhof Basel SBB oder in bestimmten Basler Tramlinien grenzübergreifende Kontrollen durchzuführen, funktioniere zwar grossartig. «Für andere Grenzübergangsstellen ist dieses Abkommen alleine aber nicht ausreichend.» Man brauche zusätzliches Personal für stationäre Kontrollen, betont Teggatz.
Transitland Schweiz bereitet deutschen Nachbarn Sorge
Sprich: Wieder ID vorweisen, Kofferraum öffnen, freundlich lächeln.
Die Zahlen geben Teggatz recht: Die illegalen Grenzübertritte von der Schweiz nach Deutschland haben laut der deutschen Bundespolizei massiv zugenommen: 2022 fingen die deutschen Grenzer 2020 Migranten auf. 2023 sind es bis jetzt bereits 7365.
Nicht nur Polizei-Gewerkschaftschef Teggatz fordert deshalb, dass Deutschland die Kontrolle über seine Grenze wieder selber in die Hand nimmt, solange andere Schengen-Länder die EU-Aussengrenzen nicht effizient kontrollieren können. Politikerinnen und Politiker der CDU und der AfD fordern seit vergangenem Frühling die konsequente Wiedereinführung von stationären Grenzkontrollen, auch an der Schweizer Grenze.
Frontex: So viele irreguläre Einreisen wie zuletzt 2016
Ohne systematische Kontrollen an der 317-Kilometer langen Grenze zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz gehe es nicht mehr, sagt etwa Baden-Württembergs CDU-Innenminister Thomas Strobl (63). Und AfD-Vordenker Björn Höcke (51) forderte im Blick-Interview unlängst die Wiedereinführung des «Grenzschutzes an den nationalen Grenzen», wenn Europas Aussengrenzen weiter so durchlässig bleiben. Laut der EU-Grenzschutzbehörde Frontex versuchten dieses Jahr bereits mehr als 230'000 Migranten, irregulär nach Europa einzureisen, so viele wie zuletzt 2016.
Möglich wäre die Wiederbesetzung der alten Zoll-Häuschen an der deutsch-schweizerischen Grenze theoretisch, auch wenn Binnengrenzkontrollen im Schengenraum nicht vorgesehen sind. Deutschland müsste dazu bloss eine befristete Ausnahme in Brüssel anmelden, genau wie Berlin das 2015 schon für die deutsch-österreichische Grenze gemacht hatte.