Angela Merkel (66) kannte keine Gnade. Als die Corona-Neuansteckungen in Deutschland wieder stiegen, beschloss die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer einen Teil-Lockdown. Restaurants, Bars, Kinos und andere Freizeiteinrichtungen mussten schliessen und bleiben voraussichtlich noch bis Anfang Januar dicht. Beim Skitourismus will Merkel, die ihre Winterferien sonst gerne in Pontresina GR verbringt, sogar ein europaweites Verbot bis zum 10. Januar erreichen.
So nicht, sagte unser Bundesrat. Die Massnahmen wurden angesichts der zweiten Welle zwar auch in der Schweiz wieder hochgefahren. Aber sachte. Umso grösser die Verwunderung in Deutschland, dass die Schweiz die Trendwende ohne Lockdown geschafft hat. «Das Corona-Wunder von Bern?», titelt «Bild» am Montag. «Während Deutschland bereits bei unter 15'000 Fällen in den ‹Lockdown light› ging, reagierte die Schweizer Regierung denkbar weich!»
Mehr Fälle, weitere Verschärfungen nur in einzelnen Kantonen
Deutschland hat hochgerechnet auf die Bevölkerungsgrösse deutlich weniger Corona-Fälle als die Schweiz. Zum Vergleich: Anfang November verzeichnete man hierzulande täglich um die 10'000 Neuinfektionen – bei einer Einwohnerzahl, die ungefähr zehn Mal kleiner ist als jene unserer Nachbarn. Trotzdem dürfen Restaurants und Bars hierzulande bis 23 Uhr geöffnet bleiben. Auch gewisse Weihnachtsmärkte sowie die Skilifte bleiben Corona zum Trotz in Betrieb. Weitergehende Verschärfungen wurden nur in einzelnen Kantonen ergriffen.
Die Verärgerung in Deutschland war gross, als die Schweiz sich einem zweiten Lockdown verweigerte. Am deutlichsten wurde der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (57). Ein «unverzeihliches Politikversagen», bezeichnete der Bundestagsabgeordnete den Sonderweg der Schweiz. Ja sogar eine «menschliche Katastrophe». Im BLICK-Interview schimpfte Lauterbach, es wäre «armselig, wenn man stolz darauf ist, die Wirtschaft gerettet zu haben, wenn dafür sehr viele Leute sterben».
Zahlen halbieren sich alle zwei Wochen
Deutschland hatte die Schweiz bereits im Oktober auf die Risikoliste gesetzt. Seither werden Reisende aus der Schweiz in Quarantäne geschickt. Eine Ausnahme gibts nur in Baden-Württemberg. Schweizer aus den Grenzkantonen sind dort für Kurzaufenthalte zugelassen. Doch sie müssen nach 24 Stunden wieder ausreisen.
Nun halbieren sich die Corona-Zahlen in der Schweiz alle zwei Wochen. Trotz der verhältnismässig lockeren Massnahmen. Deutschland staunt. Denn anders als erhofft hat der seit Anfang November geltende Teil-Lockdown noch zu keinem deutlichen Rückgang der Ansteckungen bei unseren Nachbarn geführt. Die sogenannte 7-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner und Woche – schwankt seit mehr als zwei Wochen um 140.
In der Schweiz bewegt sich die 7-Tage-Inzidenz laut neusten Angaben zwischen 172 (Nidwalden) und 456 (Waadt). In der ersten November-Woche war sie vielerorts noch mehr als doppelt so hoch: In Nidwalden war die Inzidenz damals 381, in Waadt 1050. Freiburg und Genf hatten damals sogar eine Inzidenz von über 1300. Inzwischen sind die Inzidenzen in beiden Kantonen unter 500 gesunken.