«Nach sechs Monaten geht man nach Hause und wird begnadigt. Man hat fünf Minuten Zeit, sich zu entscheiden.» Das sagte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (61) letzten September, als er in Gefängnissen Häftlinge für den Ukraine-Krieg rekrutierte.
Das Anwerben von verurteilten Straftätern soll aber bereits im Juli, also vor rund sieben Monaten, angelaufen sein. Der Deal: Kämpfe sechs Monate lang im Ukraine-Krieg. Wenn du überlebst, kehrst du als freier Mann nach Russland zurück. «Es gibt keine Möglichkeit, ins Gefängnis zurückzukehren», betonte Prigoschin.
«Ich liebe meine Familie»
Mittlerweile sind die ersten Häftlinge aus dem Krieg zurückgekommen, wie Sky News berichtet. Dabei soll es sich nur um wenige Ex-Häftlinge handeln. Die russische Nichtregierungsorganisation Russia Behind Bars schätzt, dass rund 200 Rekrutierte wieder zurück sein könnten. Zum Vergleich: Je nach Schätzungen sollen bis zu 50'000 Häftlinge in den Krieg gezogen sein.
Trotz der wohl kleinen Anzahl an Rückkehrern herrscht in Russland ein gewisses Unbehagen. Denn die Straftaten, die die meisten Häftlinge begangen haben, sind keine Bagatelldelikte.
So haben Journalisten der unabhängigen russischen Medienagentur Verstka einen Mann als Kirill Neglin identifiziert, der im Januar aus dem Ukraine-Krieg nach Russland zurückkehrte. In den sozialen Medien präsentiert sich Neglin mit einem Baby und einer Frau, vermutlich seiner Ehepartnerin. Dazu schreibt der Russe: «Ich liebe meine Familie.»
Häftling schlug mehrmals seine Frau
Gerichtsdokumente offenbaren allerdings, was Kirill Neglin tatsächlich für ein Mann ist. Vor seinem Beitritt in die Wagner-Gruppe sass er eine zwölfjährige Haftstrafe ab wegen häuslicher Gewalt. Er hatte seine Frau bei zwei Angriffen so schwer verletzt, dass diese in einem lebensbedrohlichen Zustand ins Spital eingeliefert werden musste.
Während des Prozesses schilderte Neglins Frau, dass er zu trinken begann. Vor Gericht drohte Kirill Neglin seiner Frau dann erneut mit dem Tod. Später kam es zu einem weiteren Angriff, der so schwer war, dass sich die Ärzte gezwungen sahen, die Milz der Frau zu entfernen.
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Auch Stanislaw Bogdanow sass im Knast, bis er das Wagner-Angebot annahm und in den Ukraine-Krieg zog. Sechs Monate später ist auch er zurück. Damit ist er nun ein freier Mann.
Richter-Mörder in Freiheit
Vor dem Kriegseinsatz verbüsste Bogdanow eine 23-jährige Haftstrafe wegen «Mordes mit besonderer Grausamkeit». Er schlug laut Gerichtsakten mehr als 40 Mal mit einem Metallhaken auf einen Richter ein. Anschliessend tötete er diesen, indem er eine Hantel dreimal auf den Kopf des Richters schmetterte.
Sowohl Kirill Neglin als auch Stanislaw Bogdanow sind in Russland inzwischen freie Männer – trotz der schrecklichen Taten, die sie vor ihrem Kriegseinsatz verübt haben.
Sky News liegen Videos vor, in denen von Waldimir Putin (70) persönlich unterzeichnete Dekrete zu sehen sein sollen, die den Kämpfern Straffreiheit garantieren. Der Wahrheitsgehalt dieser Dokumente konnte allerdings nicht verifiziert werden.
«Niemand fragt nach Meinung der Opfer»
Stanislaw Bogdanow berichtete in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur RIA FAN, Wagner habe ihm «ein zweites Leben geschenkt». Chef Prigoschin seinerseits erklärte: «Sie waren ein Straftäter, wie man sagt, aber jetzt sind Sie Kriegshelden!»
Dabei teilen bei weitem nicht alle in Russland diese Meinung. Im Dorf Schireken im Südosten Russlands wurde etwa eine Beschwerde gegen die Praktik eingereicht. «Niemand fragt nach der Meinung der Opfer. Wir sind schockiert über die Gesetzlosigkeit, die hier herrscht, und glauben, dass dies langfristige tragische Folgen haben wird», so einige der Anwohnenden. (obf)