Schwere Vorwürfe gegen die Polizei im Zusammenhang mit dem Blutbad an der Robb Elementary School in der texanischen Kleinstadt Uvalde: Hätten einige der Opfer durch entschiedeneres Eingreifen der Polizei gerettet werden können? Über eine Stunde verbrachte der Täter in dem Klassenzimmer, in dem er ein Blutbad anrichtete. Anwohner Juan Carranza (24) beobachtete das Geschehen am Dienstag von der gegenüberliegenden Strassenseite aus.
Carranza sagt US-Medien, er habe beobachtet, wie der Angreifer Salvador R.* (†18) seinen Truck vor der Schule in einen Graben gefahren, sein halbautomatisches Gewehr genommen und auf zwei Personen vor einem nahe gelegenen Beerdigungsinstitut geschossen habe. Die beiden seien unverletzt entkommen. Offiziellen Angaben zufolge sei Salvador R. vor der Schule auf einen Sicherheitsbeamten getroffen. Darüber, ob er sich mit diesem einen Schusswechsel lieferte, gibt es unterschiedliche Angaben.
«Geht da rein! Gehen Sie rein!»
Einige Polizisten seien laut Carranza bereits kurz nach den ersten Schüssen bei der Schule eingetroffen. Doch sie hätten das Gebäude nicht betreten. Dem Anwohner zufolge hätten die Beamten die Schule früher betreten sollen. Der Angreifer sei schliesslich alleine gewesen. «Es waren mehr von ihnen da.» Frustrierte Augenzeugen hätten die Beamten aufgefordert, die Schule zu stürmen. «Geht da rein! Gehen Sie rein!», sollen einige Frauen den Polizisten zugerufen haben.
Laut den texanischen Sicherheitsbehörden schoss Salvador R. vom Innern des Gebäudes auf zwei eintreffende Polizisten. Die beiden wurden verletzt. Dann stürmte er ein Klassenzimmer und begann zu töten. «Er verbarrikadierte sich, indem er die Tür verriegelte, und begann einfach, auf Kinder und Lehrer zu schiessen, die sich in dem Klassenzimmer befanden», sagt Christopher Olivarez vom Ministerium für öffentliche Sicherheit zu CNN. «Das zeigt, wie böse der Schütze war.»
«Während der Verhandlungen wurde nicht viel geschossen, ausser dass er versuchte, die Polizisten auf Abstand zu halten», sagte Escalon. Es wurde ausserdem bekannt, dass die Schule nicht abgeschlossen war. Die Polizei sei bereits gerufen worden, als Zeugen den bewaffneten Schützen vor der Schule gesehen hätten.
Umstehende wollten Gebäude selber stürmen
Zuletzt hatte es lautstarke Kritik von Eltern am Vorgehen der Einsatzkräfte gegeben. Sie werfen der Polizei vor, zu lange untätig gewesen zu sein. Diese gerät immer mehr unter Rechtfertigungsdruck. Es sei eine «komplexe Situation» gewesen, sagte Victor Escalon vom Ministerium für öffentliche Sicherheit in Texas an einer Pressekonferenz. Er bat um mehr Zeit, um die Ereignisse genauer zu analysieren.
Auch Javier Cazares, dessen Tochter bei dem Angriff getötet wurde, kritisiert die Polizei. Er sei sofort zur Schule gerannt, als er von den Schüssen hörte. Als er ankam, sei die Polizei immer noch vor dem Gebäude rumgestanden. «Da waren mindestens 40 Polizisten, bis auf die Zähne bewaffnet, die keinen verdammten Finger gerührt haben, bis es zu spät war», so Cazares gegenüber ABC News. Aus Verärgerung darüber, dass die Polizei nicht eingriff, schlug er zusammen mit mehreren anderen Umstehenden vor, in die Schule zu stürmen. «Lasst uns einfach reinstürmen, weil die Polizei nicht tut, was sie eigentlich tun sollte», sagte er. Für Cazares ist klar: «Es hätte mehr getan werden können.» Die Polizisten seien unvorbereitet gewesen.
Ein taktisches Team des Grenzschutzes verschaffte sich schliesslich Zugang zum Gebäude, worauf ein Grenzschutzbeamter zu Salvador R. vorstiess und diesen erschoss. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Angreifer bereits 19 Schüler und zwei Lehrerinnen getötet.
Konnten die Beamten die Tür nicht öffnen?
Der Direktor des Ministeriums für öffentliche Sicherheit in Texas, Steve McCraw, bestätigt, dass zwischen dem ersten Schuss und dem Zeitpunkt, zu dem Salvador R. erschossen wurde, 40 Minuten bis eine Stunde verstrichen seien. «Das Entscheidende ist, dass die Strafverfolgungsbehörden vor Ort waren», sagt McCraw. «Sie haben sofort eingegriffen. Sie haben ihn im Klassenzimmer festgehalten.»
Laut einem mit den Ermittlungen vertrauten Beamten hätten die Agenten der Grenzpatrouille Schwierigkeiten gehabt, die Tür des Klassenzimmers zu öffnen. Sie hätten zuerst einen Mitarbeiter der Schule bitten müssen, den Raum mit einem Schlüssel zu öffnen. Der Beamte will namentlich nicht genannt werden, weil er nicht befugt ist, öffentlich über die laufenden Ermittlungen zu sprechen. (noo/chs/SDA)
*Name bekannt