Vor fünf Jahren veränderte das Bild des toten Flüchtlingsbuben die Welt
Flammender Appell von Alan Kurdis (†2) Tante

Das Bild des toten Flüchtlingsbuben Alan Kurdi ging um die Welt. Fünf Jahre danach wendet sich seine Tante mit einem flammenden Appell an die Weltgemeinschaft: «Beendet den Krieg in Syrien!»
Publiziert: 01.09.2020 um 12:22 Uhr
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Aktualisiert: 01.09.2020 um 18:15 Uhr
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An Tragik kaum zu überbieten: Der kleine Alan Kurdi starb beim Versuch, nach Griechenland zu gelangen.
Foto: AFP

Ein kleiner Bub in rotem T-Shirt und blauen Hosen. Es sieht aus, als würde er nur schlafen. Das Bild des toten Alan (auch Aylan) Kurdi (†2) ging vor fünf Jahren um die Welt. Es wurde zum Symbol der Flüchtlingskrise, die Europa 2015 in ein Chaos stürzte, als Hunderttausende von Migranten von der Türkei per Boot auf griechische Inseln übersetzten und Richtung Deutschland strömten. Nicht allen gelang es. Viele ertranken auf der Überfahrt, so wie der kleine Alan.

Fünf Jahre nach dem Tod Alans hat seine Tante an die internationale Gemeinschaft appelliert. Diese müsse mehr für die Syrer tun und den Krieg beenden, sagte Tima Kurdi der Deutschen Presse-Agentur. Jedes Land habe zudem die Verantwortung, mehr Flüchtlinge aufzunehmen – diese seien eine «Chance» für das aufnehmende Land.

Sie unterstütze keine Seite im Bürgerkrieg, betonte Kurdi und forderte: «Deutschland und Europa sollten sich darauf fokussieren, wie sie den Menschen helfen können.» Gespräche wie jene in Genf, wo Vertreter von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft unter UN-Vermittlung eine neue Verfassung für Syrien ausarbeiten sollen, reichten nicht aus. Es müsse «dringend» eine Lösung her. «Beendet den Krieg in Syrien.»

Nur Alans Vater überlebte

Die Leiche des damals zweijährigen Alan Kurdi war am 2. September 2015 am Ufer der Türkei angespült worden. Sein Vater Abdullah Kurdi hatte mit seiner Familie versucht, von der Türkei aus mit einem Boot die griechische Insel Kos zu erreichen. Das Boot kenterte. Kurdis Frau und ihre zwei kleinen Kinder ertranken.

Türkische Medien hatten das Alter des Jungen damals mit drei Jahren angegeben, nach Angaben seiner Tante war Alan Kurdi zum Zeitpunkt seines Todes aber zwei Jahre alt. Tima Kurdi lebt im kanadischen Vancouver.

Nur zwei Tage nach der Tragödie in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 entschied Bundeskanzlerin Angela Merkel (66) mit dem damaligen österreichischen Kanzler Werner Faymann (60), Tausende Flüchtlinge über die Landesgrenze einreisen zu lassen.

Lager überfüllt

Das Bild von Alan Kurdi hat auch fünf Jahre danach seine Symbolkraft nicht verloren. Doch die anfängliche Willkommens-Stimmung gegenüber Migranten hat sich gedreht – in Deutschland, Europa und auch in der Türkei.

Die Lager in Griechenland sind überfüllt, die Situation verzweifelt. Europa kann sich nicht auf eine Verteilung von Migranten einigen. Die Türkei kämpft mit einer Wirtschaftskrise, die zuerst die sozial Schwachen trifft, darunter Flüchtlinge und Migranten. In Syrien gibt es auch neun Jahre nach dem Beginn des Bürgerkriegs keine Lösung. Die Corona-Pandemie verschärft die Situation.

Flüchtlinge als Druckmittel

Merkel hatte im Frühjahr 2016 mit der Türkei einen Flüchtlingsdeal ausgehandelt. Er beinhaltet finanzielle Unterstützung für die 3,6 Millionen Syrer in der Türkei. Er sorgte auch dafür, dass die gefährlichen Versuche, über die Ägäis nach Europa zu gelangen, abnahmen. Doch der Deal ist umstritten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (66) benutzt ihn immer wieder als Druckmittel.

Ende Februar etwa hatte Erdogan erklärt, die Landesgrenze nach Griechenland sei geöffnet. Afghanen, Pakistaner und Syrer machten sich auf den Weg Richtung Westen. Sie wurden von griechischen Sicherheitskräften unter Einsatz von Tränengas zurückgedrängt. Wieder gibt es verstörende Bilder, erneut sterben Menschen.

«Menschen stumpfen gegen die Tragödie ab, weil sich jeden Tag eine Tragödie ereignet», sagt Tima Kurdi. Sie war schon 1992 nach Kanada ausgewandert. Wie ihre Brüder Mohammad und Abdullah – Alans Vater – hat sie als Coiffeuse gearbeitet.

Alans Tante kämpft

Der Tod ihrer Neffen und ihrer Schwägerin hat Tima Kurdi verändert. Sie ist nun eine Kämpferin für die Rechte Geflüchteter und will Bewusstsein schaffen und ihnen eine Stimme geben. Mit ihrem Bruder Abdullah hat sie eine Stiftung für Flüchtlingskinder gegründet, sie spricht vor internationalem Publikum und hat ein Buch über die Geschichte ihrer Familie geschrieben, die ein Schicksal von vielen sei, wie sie sagt.

Vor Beginn des Bürgerkriegs waren die Kurdis eine ganz normale Damaszener Mittelklasse-Familie, wie Tima Kurdi es beschreibt. Sie hat fünf Geschwister. Die Kämpfe zwangen die Familie zur Flucht. Zuerst in die kurdische Grenzstadt Kobane, dann, als die Terrormiliz IS vorrückte, in die Türkei. Dort schlugen sich Abdullah und Mohammad mit Gelegenheitsjobs durch. Tima Kurdi wollte ihre Brüder mit ihren Frauen und Kindern aus Istanbul nach Vancouver holen, scheiterte aber an der kanadischen Bürokratie und den Auflagen.

Alan Kurdis Vater wohnt inzwischen im Nordirak und hat wieder geheiratet. Seinen kleinen Sohn hat er nach seinem verstorbenen Kind Alan benannt. Die Familie Kurdi lebt über die Erdkugel verstreut.

Bild schockierte die Familie

Für die Familie Kurdi war die Veröffentlichung des Fotos von Alan damals schwer zu ertragen. Es habe sie im ersten Jahr sehr verletzt, sagt Tima Kurdi heute. Das Bild hatte auch eine Debatte darüber ausgelöst, was Medien zeigen dürfen. Der Deutsche Presserat entschied damals, dass es symbolisch stehe für die Flüchtlinge und ihr Leid und ein öffentliches Interesse an der Aufnahme bestehe.

Ob es am Ende richtig war, das Foto zu zeigen? Tima Kurdi sagt, sie habe dazu «gemischte Gefühle». Ihre Familie sei nicht um Erlaubnis gefragt worden. Aber das Foto habe die Welt erschüttert. «Wenn das Bild Flüchtlingen hilft, die leiden, ist es ok», sagt sie. «Ich jedenfalls werde die Welt weiter erinnern, damit sie das Bild des Jungen am Strand nicht vergisst.» (SDA/gf)

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