Verhaftung von Istanbuls Bürgermeister Imamoglu löst politische Krise aus
Verhilft Erdogan seinem Erzfeind zum Erfolg?

Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu wurde überraschend festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, die verbotene PKK unterstützt zu haben. Kritiker sehen darin einen Versuch Erdogans, seinen gefährlichsten politischen Gegner kaltzustellen.
Publiziert: 19.03.2025 um 20:05 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2025 um 22:06 Uhr
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Am frühen Mittwochmorgen wurde Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu (53) überraschend in seiner Wohnung festgenommen.
Foto: AFP

Darum gehts

  • Istanbuls Bürgermeister Imamoglu festgenommen. Erdogan plant mögliche Ausschaltung seines Hauptgegners
  • Imamoglu gilt als liberaler Hoffnungsträger mit proeuropäischer Haltung und Transparenz
  • Insgesamt drohen Imamoglu aktuell bis zu 20 Jahre Haft
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Paukenschlag in der Türkei: Am frühen Mittwochmorgen wurde Ekrem Imamoglu (53), Istanbuls Bürgermeister und politischer Erzfeind des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (71), überraschend in seiner Wohnung festgenommen. Imamoglus Partei – die oppositionelle CHP – nannte seine Inhaftierung einen «Putschversuch gegen unseren nächsten Präsidenten». Denn der Zeitpunkt ist kein Zufall. Am kommenden Sonntag wollte Imamoglu sich zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei küren lassen. Was plant Erdogan?

Gezielte Vorwürfe gegen Erdogan-Rivalen

Die Staatsanwaltschaft Istanbul wirft Imamoglu vorrangig vor, die in der Türkei verbotene kurdische Organisation PKK unterstützt zu haben. Der Hintergrund dieser Anklage: Imamoglus CHP hatte bei den Kommunalwahlen im März 2024 Bündnisse mit kurdischen Politikern geschlossen. Für Erdogans Regierungspartei AKP endeten diese Wahlen mit einer historischen Niederlage, die CHP wurde erstmals seit 1977 stärkste Kraft. Die Wahl galt als entscheidender Stimmungstest, bei dem Imamoglus Erfolg Erdogans Image eines unbesiegbaren politischen Führers empfindlich beschädigte.

Auch Imamoglus Universitätsabschluss wurde am Mittwoch annulliert. Damit fehlt ihm formal die Grundlage, um für das Präsidentenamt kandidieren zu können. Kritiker werfen Erdogan deshalb vor, seinen gefährlichsten politischen Gegner gezielt kaltstellen zu wollen. Tatsächlich laufen gegen Imamoglu seit Wochen mehrere Ermittlungsverfahren, insgesamt drohen ihm aktuell bis zu 20 Jahre Haft.

Imamoglu gilt als liberaler Hoffnungsträger, der sich klar von Erdogans streng religiös-nationalistischer Linie abgrenzt. Mit seiner proeuropäischen Haltung und dem Einsatz für Bürgerrechte und Transparenz konnte er insbesondere junge Wähler für sich gewinnen. Erdogan hingegen vertritt anti-westliche und anti-demokratische Werte. 2019 war Imamoglu der erste Oppositionspolitiker seit Jahrzehnten, der das prestigeträchtige Bürgermeisteramt in Istanbul erobern konnte – eine politische Ohrfeige für Erdogan. Dieser Sieg war symbolisch enorm bedeutsam, da Erdogan selbst einst über Istanbul seinen Aufstieg zur nationalen Macht begonnen hatte.

Autoritäre Massnahmen gegen Proteste

Die türkische Regierung scheint nun alles zu tun, um Proteste zu verhindern: Soziale Medien wurden gesperrt, öffentliche Plätze in Istanbul abgeriegelt und Demonstrationsverbote ausgesprochen. Trotzdem gingen zahlreiche Unterstützer spontan auf die Strassen, um gegen Imamoglus Verhaftung zu demonstrieren. Schon beim jüngsten Parteitag der AKP hatte Erdogan erkennen lassen, dass er die Repressionen gegen seine Gegner verschärfen wolle. «Während wir das Jahrhundert der Türkei schaffen, werden wir nicht vor unserer Verantwortung zurückschrecken, die Opposition Schritt für Schritt zu transformieren», sagte er.

Es ist eine beunruhigende Eskalation autoritärer Massnahmen, die an frühere dunkle Phasen der türkischen Geschichte erinnern – an die massive Unterdrückung oppositioneller Kräfte in den 1980er-Jahren und nach dem Putschversuch 2016. Damals gelang es Erdogan, seinen damaligen Erzfeind Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich zu machen. Der mittlerweile verstorbene Gülen begab sich in ein lebenslanges Exil – bis heute ist unklar, ob er eine Rolle in dem Putschversuch spielte.

Droht Erdogan ein politischer Bumerang?

Ein grosses Rätsel bleibt jedoch: Warum greift Erdogan zu solch drastischen Mitteln, obwohl er im März 2024 bereits angekündigt hatte, bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2028 nicht erneut anzutreten? Die Vermutung liegt nahe, dass Erdogan damit langfristig die Opposition schwächen will, um auch nach seinem offiziellen Rückzug weiterhin Einfluss zu behalten. Möglicherweise plant er sogar eine Verfassungsänderung oder vorgezogene Neuwahlen, um selbst erneut kandidieren zu können – ein Schritt, bei dem ihm die Ausschaltung Imamoglus als Hauptgegner entscheidend helfen könnte.

Doch Erdogans Plan könnte nach hinten losgehen: Die CHP rief ihre 1,75 Millionen Mitglieder auf, am 23. März ihre Stimme bei den Vorwahlen dennoch abzugeben. Ob Imamoglu dort trotz Abwesenheit kandidieren wird, ist aktuell unklar. Ausserdem erinnern die Ereignisse an Erdogans eigene Geschichte: Als Oberbürgermeister von Istanbul wurde er 1998 zu einer Haftstrafe wegen Aufstachelung verurteilt. Die öffentliche Debatte darum und seine viermonatige Haftzeit 1999 gaben Erdogan einen landesweiten Schub an Popularität und trugen letztlich dazu bei, dass seine Partei AKP 2002 einen grossen Sieg bei den Parlamentswahlen einfahren konnte.

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