Am Dienstag und Mittwoch trifft sich die Nato in der litauischen Hauptstadt Vilnius zum Gipfel. Haupttraktandum: Die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine. Zum ersten Mal dabei sein wird Finnland, das im April aus Angst vor dem mächtigen Nachbarn nach einem nur einjährigen Aufnahmeverfahren dem Verteidigungsbündnis beigetreten war.
Nicht dabei sein wird Schweden, obwohl auch seine Regierung auf ein ebenso schnelles Aufnahmeverfahren gehofft hatte. Doch Nato-Mitglied Türkei verweigerte bisher die Unterschrift, weil Schweden angeblich Türkei-feindlichen Terroristen Schutz biete. Die Zustimmung von Ungarn, das sich auch gegen Russland-Sanktionen stellt, fehlt ebenfalls noch.
Koran vor Moschee verbrannt
Zwar hat Schweden inzwischen seine Anti-Terrorgesetze verschärft und auch die Auslieferung eines PKK-Anhängers an die Türkei genehmigt. Dennoch dürfte sich das Aufnahmeverfahren weiter hinauszögern, nachdem am Mittwoch vergangener Woche der 37-jähriger irakstämmige Salwan Momika vor der Hauptmoschee in Stockholm einen Koran verbrannt hatte.
«Mein Problem sind nicht die Bücher von Juden, Christen oder andern», begründete der Mann gegenüber der Zeitung «Expressen» seinen Protest. «Mein Problem ist das Buch, das zu Gewalt und Mord aufruft – das ist der Koran.» Salwan Momika hatte laut Zeitung 2021 als politischer Flüchtling eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre erhalten. Wegen Drohung mit einem Messer war er im selben Jahr zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden.
Behörden bewilligten die Aktion
Die Aktion sorgt in der muslimischen Welt für Empörung – vor allem deshalb, weil die schwedischen Behörden den Protest bewilligt hatten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) wetterte: «Wir werden den Überheblichen im Westen letztendlich beibringen, dass die Beleidigung der Heiligtümer von Muslimen nichts mit Meinungsfreiheit zu tun hat.» Die Türkei werde entschlossen reagieren, bis ein «entscheidender Sieg gegen terroristische Organisationen und Islamophobie erreicht worden ist».
Erdogans Aussenminister Hakan Fidan (55) doppelte nach und sagte, dass das schwedische Sicherheitssystem offenbar nicht in der Lage sei, Provokationen zu vermeiden. Es entstehe das Bild eines Landes, das der Nato Probleme statt Stärke bringen könnte. Die Türkei müsse sich daher fragen, ob eine Nato-Mitgliedschaft ein Vorteil oder eine Belastung sei.
Ermittlungen wegen Hetze
Das schwedische Aussenministerium bemüht sich um Schadensbegrenzung. Es wies zwar darauf hin, dass Schweden ein «verfassungsmässig geschütztes Recht auf Versammlungs-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit» habe. Aber es verurteilte die Aktion als «islamfeindliche» Tat und erklärte, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit «in Schweden oder Europa keinen Platz» hätten. Auch hat die Polizei trotz Genehmigung der Protestaktion Ermittlungen wegen «Hetze gegen eine ethnische Gruppe» eingeleitet.
Inzwischen ist in Schweden eine Diskussion darüber entbrannt, ob solche Aktionen verboten werden sollten. Die Meinungsfreiheit dürfe nicht eingeschränkt werden, lautet der Grundtenor.
Jonas Trolle, Direktor des schwedischen Zentrums gegen gewalttätigen Extremismus, fordert allerdings eine Änderung des Gesetzes, um Protestaktionen einschränken zu können. In schwedischen Medien sagt er: «Die Verfassung erlaubt eine Verweigerung im Falle einer Bedrohung der nationalen Sicherheit, und es ist offensichtlich, dass das, was im Moment passiert, im Verhältnis zu den Risiken für Schweden wirklich nicht gut ist.»
Inzwischen rechnet man nicht vor Herbst mit einer Zustimmung der Türkei und Ungarns zur Nato-Aufnahme. Und selbst das dürfte sogar optimistisch gerechnet sein. Denn der Iraker in Schweden hat angekündigt, in den nächsten Tagen «die irakische Flagge und den Koran vor der irakischen Botschaft in Stockholm» zu verbrennen.