Die Empfehlung der «New York Times» ist kurz und pragmatisch: «Unser Rat ist es, geduldig zu bleiben». Das amerikanische Leitmedium wagt es nicht, eine Prognose abzugeben, wann mit einem Ergebnis der Präsidentschaftswahl gerechnet werden kann. «Es könnte Tage oder sogar noch länger dauern, bis feststeht, wer gewinnt», so die Zeitung.
Tatsächlich gibt es bei der Auszählung der Stimmen für die amerikanischen Präsidentschaftswahlen grosse Unterschiede, wie lange es gedauert hat, bis klar war, wer das Land in den kommenden vier Jahren regieren wird. Mal waren es Stunden, einmal aber dauerte es aber auch über einen Monat.
Der schnelle Lincoln, der langsame Bush
Bis anhin am längsten auf das Resultat warten mussten die Wähler in den USA im Jahr 2000, wie ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt. Damals lautete das Duell George W. Bush (heute 78, Republikaner) gegen Al Gore (76, Demokraten). Bis das Resultat der Wahl offiziell war, dauerte es sage und schreibe bis zum 12. Dezember 2000. Grund dafür: Eine äusserst knappe Wahl und umstrittene Stimmzettel in Florida führten zu einem Gerichtsprozess, der bis in den Dezember dauerte. Erst durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs konnte George W. Bush als Sieger hervorgehen.
Rassig hingegeben ging es während des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865). Abraham Lincolns Wiederwahl im Jahr 1864 war eine der schnelleren Entscheidungen in der Geschichte der US-Präsidentschaftswahlen. Noch in der Nacht vom 9. November 1864 stand fest, dass Lincoln George McClellan hinter sich gelassen hatte – also nach wenigen Stunden.
Bei der letzten Wahl im Jahr 2020 liess das Ergebnis etwas auf sich warten. Beim Duell Joe Biden (81) gegen Donald Trump (78) dauerte es vier Tage, bis Biden als Sieger feststand. Verantwortlich dafür war einerseits die Corona-Pandemie, andererseits die hohe Anzahl an Briefwählern.
Augen auf die Swing States
Dieses Jahr haben 78 Millionen Amerikaner ihre Stimmen bereits im Vorfeld abgegeben. Die «New York Times» ist sicher, dass es zu einem äusserst knappen Rennen zwischen Trump und Kamala Harris (60) kommen wird. Das Fazit: Bis zum offiziellen Endergebnis könnte es dauern, weshalb die Ergebnisse in den Swing States besonders genau beobachtet werden sollten. «Das Erste, was wir aus diesen Ergebnissen erfahren werden, ist nicht, wer gewinnen wird, sondern wie knapp der Kampf wird und wie lange es dauern könnte, bis der Sieger feststeht», so die «Times».
Der erste Swing State, in dem die Wahllokale schliessen, ist Georgia (1 Uhr nachts am Mittwoch, Schweizer Zeit), dicht gefolgt von North Carolina (1.30 Uhr). Die überwiegende Mehrheit der Stimmen in beiden Staaten wird voraussichtlich bis 6 Uhr ausgezählt und bekannt gegeben sein. In Pennsylvania, einem besonders entscheidenden Swing State, schliessen die Wahllokale um 2 Uhr. Da die Wahlhelfer jedoch erst am Wahltag mit der Bearbeitung der Briefwahlstimmen beginnen dürfen, wird sich die Auszählung voraussichtlich bis am Mittwochmorgen (US-Zeit) hinziehen. In Michigan und Wisconsin, wo um 3 Uhr Schluss ist, dürfte es ebenfalls dauern, bis die Resultate vorliegen.
Die Wahllokale in den beiden westlichen Swing States, Arizona und Nevada, schliessen um 3 Uhr beziehungsweise um 4 Uhr Schweizer Zeit. Beide Staaten sind jedoch stark auf die Briefwahl angewiesen, die Auszählung könnte sich deshalb mehrere Tage hinziehen.
Wahlbeobachter gehen davon aus, dass Trump wohl nur gewinnen kann, wenn er Pennsylvania, Georgia und North Carolina holt. Harris könnte sich mit Erfolgen in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin durchsetzen. Die «Times» schreibt: «Wenn es in diesen fünf Staaten keine klare Angelegenheit gibt, werden wir nach Arizona und Nevada schauen müssen – und das könnte eine lange Wartezeit bedeuten!»
Wartet Trump überhaupt?
Unterdessen geht die Angst um, dass Trump frühzeitig seinen Sieg proklamieren könnte. Das hatte er vor vier Jahren in der Wahlnacht getan und damit massive Zweifel bei seinen Anhängern an der Rechtmässigkeit der Wahl gesät. Die Folge war der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021.
Erst vor wenigen Tagen hatte der Ex-Präsident ein ähnliches Manöver lanciert. «Das Einzige, was uns stoppen kann, ist Betrug», sagte Trump. Die «New York Times» schreibt dazu: «Eine weitere voreilige Siegeserklärung von Trump könnte die Wahrscheinlichkeit von Zwietracht nach der Wahl erhöhen.» Und ein Ergebnis hinauszögern. «Anwälte auf beiden Seiten sind bereit, die Angelegenheiten bis zum bitteren Ende vor Gericht auszufechten.»