Auf einen Blick
Saudi-Arabien ist die Schweiz des 21. Jahrhunderts. Das Königreich hält tapfer an seiner Neutralität fest, häuft mit teils dubiosen Geschäften massenhaft Reichtum an und mausert sich zur ersten Adresse für heikle diplomatische Angelegenheiten. Jüngstes Beispiel: Das Treffen des US-Aussenministers Marco Rubio (53) mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow (74).
Das Treffen der beiden soll die langwierigen Gespräche in Gang setzen, die es zur Beendigung des Ukraine-Krieges brauchen wird. Die weissen Blumen auf dem Verhandlungstisch: symbolische Vorboten der weissen Tauben, die dereinst über den Schlachtfeldern Osteuropas aufsteigen sollten.
Was auch immer die Supermachts-Diplomatie (bislang ohne Miteinbezug der Ukraine und ohne Beteiligung Europas) letztlich bringen wird, eines ist jetzt schon klar: Die Schweiz gehört zu den grossen Verliererinnen des Riad-Treffens am Dienstag – aus drei Gründen.
Diplomatisches Fliegengewicht
Auf dem diplomatischen Parkett hat unser kleines Land jahrzehntelang einen vielbeachteten Tanz hingelegt. Ein Beispiel: Das letzte Mal, als sich Wladimir Putin (72) mit einem US-Präsidenten traf, war am 16. Juni 2021 – in Genf. Joe Biden (82) reiste für den heissen Sommertrip an, um Putin noch vor Kriegsausbruch die Leviten zu lesen. Jetzt, wo es nicht mehr um theoretische Bedrohungsszenarien, sondern um handfesten Krieg geht, wandert die Diplomatie nach Saudi-Arabien ab. Die Schweiz kommt als Plattform trotz ihrer halb-neutralen Haltung gegenüber Russland nicht mehr infrage.
Auch nicht nach der mit viel Pomp inszenierten Bürgenstock-Friedenskonferenz 2024, bei der schon wenig Konkretes herausschaute und die im Nachhinein ganz genau Null Wirkung entfaltet hat. Dass Verteidigungsministerin Viola Amherd (62) damals darauf hinwies, dass Putin trotz des bestehenden internationalen Haftbefehls bei der Teilnahme an einem möglichen zukünftigen Friedensgipfel nicht mit einer Verhaftung rechnen müsste, hat offenbar weder in Moskau noch in Washington Gehör gefunden. Dass Saudi-Arabiens Ankündigung, in den kommenden Jahren 600 Milliarden Dollar in den USA zu investieren, den Ex-Geschäftsmann Donald Trump zusätzlich vom Diplomatie-Standort Riad überzeugt haben dürfte: gut möglich.
Isoliert im zerstrittenen Haufen
Europa sucht im angebrochenen Trump-2.0-Zeitalter weiter nach sich selbst. Bei einer vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron (47) einberufenen Krisensitzung in Paris am Montag gab es wenig Einigung unter den europäischen Schwergewichten bei der Frage, ob man bereit wäre, eigene Truppen für die Sicherung eines Waffenstillstandes in die Ukraine zu schicken. Trump machte klar, dass das Sache der Europäer wäre.
Anders aber als Frankreich und Grossbritannien, die sich die Entsendung eigener Soldaten unter Umständen vorstellen könnten, stellen sich Deutschland, Italien und das militärisch hochgerüstete Polen derzeit quer. Die Schweiz, die von Macron nicht nach Paris eingeladen worden ist, schickt weiterhin nicht einmal schusssichere Westen in die Ukraine. Zu heilig ist der Eidgenossenschaft ihre Neutralität. Mit dieser Verweigerungshaltung steht die Schweiz – neben Österreich und Liechtenstein – europaweit allein da. Eine schwierige Position angesichts der europäischen Solidarität, auf die man nach dem Wegfall des amerikanischen Über-Alliierten zusehends angewiesen sein wird.
Neue Flüchtlingswelle
Amerika hat bereits vergangene Woche klargemacht, dass die Ukraine mindestens auf einen Teil der an Russland verlorenen Gebiete wird verzichten müssen. Für Millionen von Menschen aus ebendiesen Gebieten heisst das, dass sie auf unbestimmte Zeit ihrer Heimat beraubt bleiben. Viele dieser Menschen leben bereits in Westeuropa und werden entsprechend auch hierbleiben.
Mindestens ebenso viele aber harren in der Hoffnung auf einen ukrainischen Sieg in der Zentral- und Westukraine aus. Herrscht erst einmal Klarheit darüber, dass der Donbass und die besetzten Gebiete im Süden des Landes russisch kontrolliert bleiben, dürften auch diese Menschen die Flucht in den Westen antreten. Für Europa heisst das im Extremfall: viele neue Flüchtlinge. Die Schweiz ist mit ihrem vorläufig geltenden Schutzstatus S eine gute Adresse für ukrainische Flüchtlinge. Ein «Friedensdeal» nach Trump’schem Gusto würde die helvetische Solidarität erneut auf die Probe stellen.